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Mittwoch, 17. Oktober 2012

NZZ: «No Staatsbankrott in Greece»


«No Staatsbankrott in Greece»

Berliner Mühen mit der Euro-Sprachregelung

International 
"Ein griechischer Staatsbankrott wird es nicht geben": Mit dieser Aussage sorgte der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble für Aufregung. (Bild: keystone/Everett Kennedy Brown)
Der deutsche Finanzminister Schäuble hat mit seiner Aussage, ein Staatsbankrott Griechenlands sei ausgeschlossen, in Berlin für Aufsehen gesorgt. In der Koalition zeigen sich manche irritiert.
Ulrich Schmid, Berlin
Wie ernst hat man Politikeräusserungen zu nehmen, die fern der Heimat halboffiziell abgegeben werden? «It will not happen that there will be a Staatsbankrott in Greece», sagte der deutsche Finanzminister Schäuble am Wochenende in berückender sprachlicher Unbekümmertheit vor Geschäftsleuten in Singapur, und das Statement brachte die deutschen Medien sofort in Wallung. Von einem Kurswechsel, ja von einem Tabubruch war die Rede, und in der Koalition Kanzlerin Merkels wunderten sich viele über den Schwenk Schäubles, der es bisher tunlichst vermieden hatte, Athen bedingungslose Rettung in Aussicht zu stellen.

Merkel beschwichtigt

Am meisten Verblüffung zeigte der liberale Koalitionspartner der Christlichdemokraten Merkels. Natürlich wolle man den Griechen eine Chance geben, sagte der FDP-Fraktionschef Brüderle am Dienstag. Aber ob Athen sich helfen lasse oder einen Weg ausserhalb des Euro gehe, werde weder in Berlin noch in Brüssel entschieden, sondern in Athen. Brüderle spielte damit auf die Tatsache an, dass die EU-Länder zumindest pro Forma noch immer klare Bedingungen an ihre Hilfeleistungen knüpfen. FDP-Generalsekretär Döring sprach mokant von «Gedankenspielen» Schäubles, Parteichef Rösler gab sich diskret erstaunt. Im Kanzleramt war man dagegen bemüht, die Sache herunterzuspielen. Merkel liess verlauten, «unkontrollierte Prozesse» werde es nicht geben. Dagegen machte sie deutlich, dass sie einen Verbleib Athens in der Euro-Zone nach wie vor für wünschenswert hält.
Ob Schäubles Singapurer Äusserung nur ein verbaler Ausrutscher war oder eine gezielte, beruhigende Botschaft an Dritte – an George Soros etwa, an mächtige Drittstaaten oder an multinationale Unternehmen –, muss vorläufig offenbleiben. Es ist aber auch nicht entscheidend. Wichtiger ist, dass von einer fundamentalen Neuausrichtung der deutschen Griechenland-Politik keine Rede sein kann.

Kein Kurswechsel

Abgewichen ist der Finanzminister in Singapur lediglich vom Skript, von der offiziellen Sprachregelung, die besagt, dass man vor konkreten Entscheidungen über weitere Hilfezusagen den Bericht der Troika abwarten will, die darüber entscheidet, ob Athen die in Aussicht gestellten 31 Milliarden Euro aus dem Hilfepaket erhält. Und natürlich widerspricht die Singapurer Auslassung auch dem in den letzten Wochen oft repetierten Credo Schäubles, neues Geld für Athen gebe es nur im Austausch für echte Reformen. Vieles spricht dafür, dass der «Kurswechsel», von dem nun die Rede ist, in Wirklichkeit längst stattgefunden hat. Auch wenn man noch immer von strikten Auflagen spricht, um Athen nicht vom Reformpfad abzubringen – wahrscheinlich ist doch, dass die Brüsseler Elite bereits vor Wochen übereingekommen ist, Griechenland in der Euro-Zone zu halten, koste es, was es wolle.
So gesehen, hat Schäuble lediglich eine frühe, nicht überall gerne gehörte, aber pragmatische Anpassung an die Realität vollzogen. Diese Einsicht hat sich in Berlin inzwischen selbst bei den «Euro-Rebellen» um den liberalen Abgeordneten Schäffler durchgesetzt, von denen manche gehofft hatten, die Regierung werde zur Not einen «Grexit» eben doch zulassen. Ausschlaggebend für die Desillusionierung der Skeptiker ist primär die Zusicherung der EZB, ohne Limit Staatsanleihen von Krisenstaaten aufzukaufen.
Die Wünschbarkeit eines Verbleibs Athens in der Euro-Zone ist in Berlin im Übrigen ein verbreitetes Mantra. Das Beste wünschen den Griechen alle, diese Form der Solidarität ist wohlfeil. Gleichzeitig pochen aber vor allem die Christlichsozialen unermüdlich darauf, ein Austritt Athens aus der Euro-Zone müsse prinzipiell möglich bleiben, ebenso das Reden darüber. Der konfliktfreudige CSU-Generalsekretär Dobrindt warnt davor, ein schwaches, zahlungsunfähiges Griechenland in der Euro-Zone zu belassen und trotz faktischem Reformstillstand längerfristig «an den Tropf» zu hängen. Alles dürfe man den Krisenstaaten nicht durchgehen lassen. Daran, dass Athen schon bald neue Finanzspritzen oder einen weiteren Schuldenschnitt benötigt, zweifelt in Berlin allerdings niemand.

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