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Mittwoch, 17. Oktober 2012

NZZ: Nachschlag für Athen ja, aber wie?


Griechenland-Hilfe

Nachschlag für Athen ja, aber wie?

Wirtschaftsnachrichten 
Deutlicher kann man es kaum mehr sagen: Er denke, dass es keinen Staatsbankrott in Griechenland geben werde, erklärte der deutsche Finanzminister Schäuble am Wochenende in Singapur.
Deutlicher kann man es kaum mehr sagen: Er denke, dass es keinen Staatsbankrott in Griechenland geben werde, erklärte der deutsche Finanzminister Schäuble am Wochenende in Singapur. (Bild: Rungroj Yongrit / Keystone)
Das Griechenland-Programm steht vor zwei Hürden. Umstritten ist weniger, ob die Geber eine zusätzliche Entlastung gewähren, sondern wie. Der Ball liegt bei den Euro-Staaten.
René Höltschi, Brüssel
Deutlicher kann man es kaum mehr sagen: Er denke, dass es keinen Staatsbankrott in Griechenland geben werde, erklärte der deutsche Finanzminister Schäuble am Wochenende in Singapur. Deutschland werde sicherstellen, dass von Griechenland «keine Schockzustände» für die Weltwirtschaft ausgingen, fügte Bundeskanzlerin Merkel am Montag hinzu. Bisher hatten Euro-Politiker auf Fragen zu Griechenland stets gebetsmühlenartig geantwortet, man warte vor weiteren Entscheiden den Bericht der Troika ab. Die von Experten der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank (EZB) und des Internationalen Währungsfonds (IMF) gebildete Troika verhandelt derzeit mit der griechischen Regierung über weitere Spar- und Reformmassnahmen. Ihr Bericht über dieses Paket und die griechischen Reformfortschritte bildet die Grundlage für den Entscheid der Euro-Staaten und des IMF über die Freigabe der nächsten Kredittranche aus dem gemeinsamen zweiten Hilfsprogramm («Griechenland II»). Auf dem Spiel stehen Kredite von über 30 Mrd. €, von denen Athen zumindest einen Teil dringend Mitte November benötigt.

Ein zweifaches Problem . . .

Die deutschen Äusserungen scheinen zu bestätigen, was man seit Wochen ahnt: Die Geber wollen Griechenland möglichst über Wasser und im Euro-Raum halten, wie immer der Troika-Bericht ausfällt. Zu viel Geld und politisches Kapital haben sie in die Sanierung gesteckt, und zu katastrophal sind die möglichen Folgen eines Austritts aus der Euro-Zone, als dass sie leichten Herzens einen Entzug der Hilfe riskieren wollten. Dass dies beide Seiten wissen, macht die Verhandlungen nicht einfacher. Man habe nun jenen «Moral Hazard», den man immer habe vermeiden wollen, sagt ein EU-Beamter.
Zugleich wird immer deutlicher, dass das Hilfsprogramm vor zwei miteinander verknüpften Problemen steht. Beide haben ihre Ursache darin, dass Griechenland – nicht zuletzt infolge der beiden Parlamentswahlen hintereinander – mit den Sanierungsarbeiten im Rückstand ist und dass die Rezession länger dauern dürfte als bei der Vorbereitung von «Griechenland II» erwartet. Damit ist es für Athen zum einen kaum mehr möglich, wie geplant ab nächstem Jahr einen Primärüberschuss (Saldo des Staatshaushalts vor Zinszahlungen) zu erzielen und diesen bis 2014 auf 4,5% des Bruttoinlandprodukts (BIP) auszubauen. Dies umso weniger, als eine weitere Aufstockung des derzeit verhandelten Sparpakets, das für 2013 und 2014 Einsparungen und Mehreinnahmen von etwa 13,5 Mrd. € vorsieht, als politisch und sozial kaum durchsetzbar gilt. Auch in Brüssel macht man sich Sorgen, ob Griechenland den trotz allen Verzögerungen harten Kurs durchstehen wird. Die griechische Regierung fordert vor diesem Hintergrund seit längerem zwei Jahre mehr Zeit für die Umsetzung des Konsolidierungsplans. Letzte Woche hat die IMF-Chefin Lagarde diese Forderung erstmals öffentlich unterstützt.
Die beschriebene Situation gefährdet zum andern auch die Tragfähigkeit der griechischen Schulden. Je langsamer der Defizitabbau erfolgt, desto länger steigt die Verschuldung, und je tiefer das BIP sinkt, desto höher wird die Schuldenquote in Prozent des BIP. Das EZB-Direktoriums-Mitglied Asmussen hat denn auch öffentlich eingeräumt, dass das erklärte Ziel, die Schuldenquote bis 2020 auf 120% des BIP zu senken, nach derzeitigem Stand «deutlich» verfehlt werde.

. . . und eine unbequeme Wahl

Dass Griechenland die sich abzeichnende Finanzierungslücke durch zusätzliche Privatisierungseinnahmen, die Aufnahme kurzfristiger Kredite und Ähnliches ganz aus eigener Kraft decken kann, gilt als wenig wahrscheinlich. Damit erscheint eine zusätzliche Entlastung durch die Geber unumgänglich, und dies umso mehr, falls man dem Land tatsächlich zwei Jahre mehr Zeit gewähren will. Im Zentrum der Debatte der Geber stehen folgende Optionen: Zusätzliche Hilfskredite: Sie würden eine zeitliche Streckung der Konsolidierung des griechischen Haushalts ermöglichen. Sie müssten wohl primär von den Europäern (über den Euro-Krisenfonds EFSF) gewährt werden, deren Ermessensspielraum grösser erscheint als jener des IMF. Zweiter Schuldenschnitt: Er würde die Schuldenquote reduzieren, und auch «weichere» Formen des Schuldenerlasses (z. B. Senkung von Zinsen) würden Athen entlasten. Da die privaten Gläubiger bereits beim ersten Schuldenschnitt zur Kasse gebeten worden sind, geht es diesmal um die öffentlichen Gläubiger («official sector involvement», OSI). Da aber der IMF auf seinen «bevorzugten Gläubigerstatus» und die EZB auf das Verbot der monetären Staatsfinanzierung pochen, würden Zugeständnisse vor allem von den Euro-Staaten erwartet, die Griechenland im Rahmen des ersten Hilfsprogramms 53 Mrd. € geliehen haben. Geben sie nach, wird allerdings das Versprechen gebrochen, dass alle Hilfskredite auf den letzten Cent zurückbezahlt werden. Schuldenrückkauf: Bei dieser etwa von Asmussen ins Spiel gebrachten Option würde Athen zusätzliche Hilfskredite (wohl aus der EFSF) erhalten und mit diesem Geld am Markt eigene Staatsanleihen zurückkaufen. Die Schuldenquote könnte per saldo sinken, weil die Anleihen mit einem Discount gehandelt werden, und Griechenland würde weiter entlastet, wenn es für die neuen Kredite einen tieferen Zins zahlt als für die zurückgekauften Bonds. Direkte Bankenrekapitalisierung: Kredite im Umfang von bis zu 48 Mrd. € aus «Griechenland II» sind für die Rekapitalisierung griechischer Banken vorgesehen. Würden diese nicht via Staat gewährt, sondern (rückwirkend) direkt vom neuen Euro-Krisenfonds ESM an die Banken geleitet, zählten sie nicht mehr zur Staatsschuld. Noch darf der ESM aber keine direkten Rekapitalisierungen vornehmen; dies ist erst später geplant, und Details stehen aus.

Noch nicht entscheidungsreif

Klar ist, dass eine mit zusätzlichen Krediten verbundene Fristverlängerung allein die Probleme kaum auf Dauer löst. Denn Kredite tragen zur Verschuldung bei und akzentuieren damit die Schwierigkeiten mit der Schuldentragfähigkeit noch. Deshalb muss ein solcher Schritt wohl früher oder später mit Massnahmen zum Abbau der Schuldenquote verbunden werden. Welche Instrumente in welchem Mass und wann zur Anwendung kommen, ist aber noch unklar. Jede Option ist mit rechtlichen und politischen Hindernissen verbunden. Gegen einen Schuldenschnitt durch öffentliche Gläubiger gebe es unter den Euro-Staaten viel Widerstand, hatte Schäuble letzte Woche nach einer Sitzung der Finanzminister der Euro-Zone (Euro-Gruppe) gesagt. Finanzpsychologisch etwas einfacher zu schlucken mag ein Schuldenrückkauf sein.
Der Umfang des nötigen Nachschlags hängt auch davon ab, von welchen BIP-Prognosen man ausgeht (auch diese sind offenbar umstritten). In Brüssel ist vorläufig die Rede von einem zusätzlichen Finanzbedarf von insgesamt etwa 30 bis 40 Mrd. €, davon rund 20 Mrd. € «frisches Geld» und der Rest für den Abbau der Verschuldung.
Bis jetzt ist nicht vorgesehen, dass die Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone bereits am Rande des EU-Gipfels von Ende Woche Entscheide fällen. Wahrscheinlich sei aber, sagen hohe EU-Beamte, dass in einer Erklärung die griechischen Sanierungsbemühungen gewürdigt würden. Ende Oktober oder Anfang November werde der Troika-Bericht erwartet, und danach sei es an der Euro-Gruppe, Beschlüsse zu fassen.

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