allplan für GriechenlandUnion erwägt Hartz IV für Athen
Nicht nur in der griechischen Syriza-Regierungspartei gibt es Widerstände gegen Kompromisse im Schuldenstreit. Auch in der Unions-Fraktion der deutschen Kanzlerin steigt die Unzufriedenheit. In Berlin beginnen Gedankenspiele für den Fall, dass die Gespräche tatsächlich scheitern.
23.05.2015, von MANFRED SCHÄFERS, BERLIN
Reisen bildet. Das gilt in der aktuellen Griechenland-Krise mehr denn je. Einige Abgeordnete der Union haben in den vergangenen Wochen den Staat besucht, der derzeit am Tropf der anderen Euroländer hängt. Die Erkenntnisse waren offenbar niederschmetternd. Viel ist seither in der Fraktion die Rede von einem Fass ohne Boden, von einer faktischen Pleite, von verlorenen Milliarden, denen man nicht neue hinterherwerfen solle. Noch hat diese Stimmung keine Konsequenzen, da keine Entscheidung ansteht. Solange sich die Regierung in Athen nicht mit den drei Gläubigerinstitutionen – EU-Kommission, Europäische Zentralbank, Internationaler Währungsfonds (IWF) – einigt, ändert sich an der politischen Hängepartie erst einmal nichts.
Doch der Spielraum für die Bundesregierung wird spürbar kleiner, muss doch jede Änderung am bestehenden Hilfspaket vom Bundestag genehmigt werden. Dass Bundeskanzlerin Angela Merkel eher als Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble bereit ist, neben ökonomischen Fakten auch geopolitische Faktoren zu berücksichtigen, gilt als gesicherte Erkenntnis. Auch dürfte ihre eigene Fraktion sie kaum im Regen stehen lassen wollen, wenn sie eine Vereinbarung aus Brüssel vorlegen sollte. Die SPD-Fraktion scheint eher willens zu sein, den Griechen neues Geld zu geben – das lassen zumindest die Einlassungen von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel erwarten.
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Schmerzgrenze in der Unionsfraktion spürbar gesunken
Über Widerstandsnester in der Unionsfraktion gegen Hilfspakete für überschuldete Euroländer ist mehr geschrieben worden, als es Hilfsprogramme gibt. Jedes Mal ging die Sache eindeutig aus: Die Zahl der Abweichler war im Vergleich zur Mehrheit im Bundestag verschwindend gering. Das war zu schwarz-gelben Zeiten nicht anders als jetzt mit Schwarz-Rot. Geht es diesmal ähnlich aus? Werden die Abschlusszahlungen aus dem zweiten Hilfspaket für Griechenland ebenfalls im Bundestag durchgewinkt, auch wenn die Regierung aus extremen Linken und Rechten in Athen nur einen Teil der früheren Zusagen umsetzt? Der Verdacht liegt nahe. Aber es könnte dieses Mal tatsächlich anders kommen.
So wird Merkel zu berücksichtigen haben, dass die Schmerzgrenze in der Unionsfraktion spürbar gesunken ist. Als unvorstellbar gilt, dass die Abgeordneten von CDU und CSU einem Ergebnis zustimmen, das dazu führt, dass sich der IWF aus der Aktion verabschiedet. Ein Szenario, das vermutlich EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mehr als recht wäre. Aber für die Union wäre das politischer Selbstmord. Merkel selbst hat darauf gedrungen, die multilaterale Institution einzubinden, um faule Kompromisse zu verhindern. Gerade konservative Wähler halten wenig von einer Zusammenarbeit mit einer Regierung, die geschlossene Verträge einseitig aufkündigt.
Schäubles Sprecher stellte am Freitag offiziell fest: „Ohne den IWF läuft da nichts.“ Der Währungsfonds kann sich allerdings nur weiter an der Rettungsaktion zugunsten Griechenlands beteiligen, wenn die Staatsfinanzen der hellenischen Republik so weit saniert sind, dass zumindest perspektivisch eine finanzpolitische Tragfähigkeit erreicht wird. Sonst müsste es nach seinem üblichen Vorgehen einen weiteren Schuldenschnitt geben, was aber nicht nur Deutschland, sondern auch Frankreich und Italien kategorisch ablehnen. Rom und Paris haben schon genug Schwierigkeiten mit ihren eigenen Schulden.
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Die Einbindung des IWF verbietet wiederum Szenarien, in denen erst das aktuelle Hilfsprogramm weichgespült wird, um anschließend ein neues nachzuschieben. Die EU-Kommission wird verdächtigt, darauf hinzuarbeiten. Man verlässt sich in Berlin darauf, dass da die Länder, die wie die Spanier, Portugiesen oder die Balten selbst harte Reformen durchlitten haben, weiterhin nicht mitspielen werden. Das ist aus deutscher Sicht extrem wichtig, da man mehr als alles andere fürchtet, am Ende als der Schuldige dazustehen, der Griechenland aus dem Euro geboxt hat. So wird intensiv über mögliche Kompromisse nachgedacht. Nachdem die Regierung Tsipras ein Referendum zu den verlangten Reformen ins Spiel gebracht hatte, gab es Überlegungen über ein abgestuftes Vorgehen: Athen bekennt sich zum laufenden Anpassungsprogramm. Weil dies den eigenen Wahlversprechen diametral entgegensteht, folgt dem eine Volksbefragung nach dem Motto „Seid ihr für das Memorandum oder für einen Austritt aus dem Euroraum?“. Bis zur Abstimmung würde das Land weiter durchgeschleppt. Doch das scheint auch schon wieder überholt zu sein. In Berlin hat man inzwischen den Eindruck gewonnen, dass Athen vom Referendum wieder abrückt.
Angesichts des desolaten Auftretens der Regierung aus extremen Linken und Rechten in Athen taucht das einst Undenkbare als zunehmend wahrscheinliche Möglichkeit am Horizont auf: ein Scheitern der Verhandlungen, der Staatsbankrott. Schäuble schließt schon in Interviews den größten Unfall aus Sicht der Euro-Rettungs-Politiker nicht mehr aus. Offiziell arbeitet die Regierung an keinem Plan B, aber es wäre naiv, wenn sie sich auf den Fall nicht in einer Geheimoperation vorbereiten würde.
In der Unionsfraktion gibt es zunehmend Gedankenspiele für den Fall Was-wäre-wenn: Ein Hilfsprogramm „light“ nach Brüsseler Vorstellungen wird ausgeschlossen, also neue Kredite gegen blutleere Reformzusagen aus Athen. Vielmehr drehen sich die Überlegungen um mögliche Minimalinfusionen, die an der Regierung in Athen vorbeifließen würden, um minimale Lebensfunktionen in dem darniederliegenden Staat aufrechtzuerhalten, so dass beispielsweise die Krankenhäuser und die Banken weiterarbeiten könnten. Ein Stichwort in diesem Zusammenhang lautet: Hartz IV für Euroländer. Ganz fallenlassen will man die Griechen offenbar doch nicht. Ein zerfallender Staat in der Europäischen Union bleibt eine Schreckensvorstellung.
Athen erwartet Einknicken von Merkel
Der griechische Regierungssprecher Gabriel Sakellaridis hält eine Einigung seines Landes mit den Gläubigern über weitere Kredite innerhalb von zehn Tagen für möglich. Die Bedingungen für einen weiteren Fortschritt der Verhandlungen hätten sich verbessert, sagte der Regierungssprecher nach dem Treffen des griechischen Regierungschefs Alexis Tsipras mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem französischen Staatspräsidenten François Hollande. Politische Beobachter in Athen sehen dagegen nur Stillstand bei den Verhandlungen Griechenlands mit den Gläubigern.
Ungerührt von diesen Umständen wenden sich die Mitglieder der von Tsipras geführten Linkspartei Syriza weiterhin gegen jegliche Reformauflagen, die von den Gläubigern bisher als Bedingung für weitere Kredite an Griechenland angesehen wurden. An diesem Wochenende soll für zwei Tage das Zentralkomitee von Syriza tagen, davon werden weiterhin kritische und laute Töne gegenüber den Vertragspartnern und Geldgebern Griechenlands erwartet. Dabei hat die Regierung Tsipras ohnehin versprochen, es werde weder Lohn- noch Rentenkürzungen geben, zudem werde man sich weiteren Haushaltskorrekturen widersetzen. Doch die Taktik von Tsipras, mit politischen Gesprächen auf Ebene der Regierungschefs die Finanzminister, damit auch die Reforminhalte selbst zu umgehen, ist bisher fehlgeschlagen. Dennoch sagen immer noch Regierungsmitglieder in Athen, dass Merkel unter allen Umständen einen finanziellen Zusammenbruch des Landes oder gar ein Ausscheiden Griechenlands aus der Währungsunion vermeiden wolle. In Griechenland schreiben die Medien, Merkel sähe ein solches Ereignis als politische Katastrophe. Tobias Piller
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