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Samstag, 2. Mai 2015

Britische Parlamentswahl In Europa geht das „Brexit“-Gespenst um Die britische Parlamentswahl am 7. Mai birgt enorme wirtschaftliche Risiken: Sie könnte zum Ausstieg der Briten aus der EU und einer Abspaltung Schottlands führen. Ein Volksentscheid über Europa ist derzeit noch das kleinste Problem.


Britische ParlamentswahlIn Europa geht das „Brexit“-Gespenst um

Die britische Parlamentswahl am 7. Mai birgt enorme wirtschaftliche Risiken: Sie könnte zum Ausstieg der Briten aus der EU und einer Abspaltung Schottlands führen. Ein Volksentscheid über Europa ist derzeit noch das kleinste Problem.

© APVergrößernWill über die Zukunft in der EU abstimmen lassen: Großbritanniens Premierminister David Cameron
Was ist bloß mit den Briten los? Nächsten Donnerstag wird auf der anderen Seite des Ärmelkanals ein neues Parlament gewählt. Und kurz vor der Wahl spielen die Analysten in den Bankentürmen des Londoner Finanzviertels Albtraumszenarien durch, die unwirklich erscheinen mögen - und doch eintreten könnten. Eines davon geht so: Premierminister David Cameron wird im Amt bestätigt und hält, wie angekündigt, einen Volksentscheid über den Austritt seines Landes aus der EU ab. Bei dem Referendum Ende 2017 stimmt eine Mehrheit der Briten für den sogenannten „Brexit“. Doch im Norden der britischen Insel, in Schottland, haben die Bürger mehrheitlich für die EU gestimmt. Daraufhin setzt die nationalistische Regionalregierung in Edinburgh einen weiteren Volksentscheid durch: Dieses Mal geht es um den „Sexit“ - die Gründung eines souveränen schottischen Staates, der, anders als der große Rest des Vereinigten Königreichs, Teil der EU sein soll.
„Ein ,Brexit‘ würde wahrscheinlich zur Zerschlagung des Vereinigten Königreichs führen“, erwartet Holger Schmieding, Chefvolkswirt des Bankhauses Berenberg. „Schottland würde in der EU bleiben, wenn der Rest des Landes sich für den Ausstieg entscheiden sollte“, glaubt er. „Die Wahrscheinlichkeit, dass Großbritannien zerbricht, würde im Falle eines EU-Referendums eindeutig größer“, sagt auch Pawel Swidlicki, Analyst der Londoner Denkfabrik Open Europe.

Prognose 2015

  • Labour
  •  
  • SNP
  •  
  • Lib Dem
  •  
  • Green
  • Sonstige
  •  
  • UKIP
  •  
  • Conservative
325 Sitze zur Mehrheit
2.5.2015, Quelle: The Guardian

Ergebnisse der Wahlkreise 2015
(erscheinen am Wahlabend)

Quelle: Press Association
Ergebnisse im Detail
Europas Wirtschaftsführer beginnen sich Sorgen zu machen: Einer Umfrage der Steuerberatung Grant Thornton zufolge glauben rund 60 Prozent der deutschen Unternehmensmanager, dass ein „Brexit“ Europa beschädigen würde. Einen eventuellen Ausstieg Griechenlands aus der europäischen Währungsunion halten dagegen nur gut ein Drittel der Befragten für bedenklich. In anderen europäischen Ländern ist das Meinungsbild, der Umfrage zufolge, ähnlich.

„Brexit“ würde für Briten teuer werden

Umso erstaunlicher ist, dass das wichtige Europa-Thema im britischen Wahlkampf selbst bisher kaum eine Rolle spielte. Dabei könnte eine folgenschwere Kettenreaktion aus „Brexit“ und „Sexit“ Großbritannien binnen weniger Jahre in ein gespaltenes und vom europäischen Kontinent isoliertes „Little England“ verwandeln. Die Briten würden dafür vermutlich teuer bezahlen: Europas drittgrößte Volkswirtschaft würde zumindest einen Teil der Handelsprivilegien verlieren, die der EU-Binnenmarkt bietet. Dabei gehen mehr als die Hälfte der britischen Exporte in andere EU-Staaten. Die wichtigste Exportbranche auf der Insel sind die Banken und andere Finanzdienstleister.
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Ökonomen der London School of Economics schätzen, der EU-Ausstieg könnte die Briten bis zu 10 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung kosten. Das Münchner Ifo-Institut taxiert den Preis für den „Brexit“ sogar auf bis zu 14 Prozent. Jeder Einwohner würde demnach langfristig rund 4900 Euro im Jahr an Einkommen einbüßen. Für Deutschland und andere europäische Länder wären die unmittelbaren wirtschaftlichen Kosten zwar überschaubar. Doch die Signalwirkung wäre bedenklich: Ein „Brexit“ lieferte das Exempel dafür, dass die europäische Integration - und damit auch der Binnenmarkt - nicht unumkehrbar sind.
Natürlich muss es nicht so weit kommen. Die meisten Beobachter gehen davon aus, dass die Gefahr eines britischen Alleingangs deutlich sinken würde, wenn Camerons Konservative nächste Woche die Wahl verlören. Der Gegenspieler des Premierministers im Wahlkampf, Ed Miliband, der Parteichef der sozialdemokratischen Labour Party, hat klargestellt, dass er gegen ein EU-Referendum ist. Sollte Miliband also der nächste britische Premierminister werden, wäre der Europa-Showdown an den Wahlurnen vom Tisch, glauben viele Analysten im Londoner Finanzviertel. Doch diesen Optimismus teilen nicht alle Beobachter.
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© AFP, AFPVergrößernSchrille Vögel im britischen Wahlkampf
Eine derart unberechenbare Wahl hat es in Großbritannien seit vielen Jahrzehnten nicht gegeben. Umfragen zufolge liegen die Konservativen und Labour im Rennen um die Wählergunst nahezu Kopf an Kopf. Zugleich kann keine der beiden großen Volksparteien mit einer ausreichenden Mehrheit rechnen, um allein regieren zu können, wie dies über viele Jahrzehnte hinweg quasi ein politisches Naturgesetz war.

„Volksentscheid über Europa ziemlich unausweichlich“

Jetzt dagegen steht ein Wahltag der unbegrenzten Möglichkeiten bevor. Viele Beobachter halten eine mehr oder weniger labile Minderheitsregierung, die auf die Unterstützung anderer Parteien angewiesen wäre, als das wahrscheinlichste Ergebnis. Die Karrieren der beiden Spitzenkandidaten Cameron und Miliband könnten ein jähes Ende finden. „Ein unklares Wahlergebnis, das eine schwache Regierung hervorbringt, wäre definitiv das schlechteste aller Ergebnisse“, sagt Bill O’Neill, der bei der Großbank UBS die britische Vermögensverwaltung leitet.
Kleinere Parteien wie die Scottish National Party (SNP) und die Liberaldemokraten könnten zu Königsmachern werden. Vor allem die SNP gilt dabei als potentielle Gefahrenquelle für die politische Stabilität Großbritanniens. Schottlands Nationalisten wird im Norden der britischen Insel ein Erdrutschsieg zugetraut, und zentrales politisches Anliegen der SNP ist die Gründung eines souveränen schottischen Nationalstaats. Die antieuropäische UK Independence Party (Ukip) dagegen könnte zwar, manchen Prognosen zufolge, bis zu 18 Prozent der Stimmen erzielen, doch sind die Anhänger regional versprengt. Wegen des strikten Mehrheitswahlrechts kann Ukip deshalb nur mit einer Handvoll Parlamentssitzen rechnen.
Der Politologe Simon Hix von der London School of Economics warnt davor, den Wahltag in der kommenden Woche als eine Art Vorentscheidung über Großbritanniens Zukunft in der EU zu deuten: „Egal, wer diese Wahl gewinnt, ein Volksentscheid über Europa ist in den kommenden Jahren ziemlich unausweichlich“, sagt Hix. Es sei ein Trugschluss anzunehmen, dass mit einem Labour-Wahlsieg das „Brexit“-Szenario vom Tisch wäre, nur weil Parteichef Miliband kein EU-Referendum wolle. „Auch innerhalb der Labour Party gibt es keinen proeuropäischen Konsens.“ Wenn es hart auf hart komme, werde Miliband das „Brexit“-Referendum im Parlament nicht verhindern können, sagt Hix voraus.
Aus Sicht der Wirtschaft sind das unerfreuliche Perspektiven. Schon allein die Ungewissheit über „Brexit“ und „Sexit“ könnte teuer werden. Unternehmen aus dem In- und Ausland könnten wegen der voraussichtlich jahrelangen Hängepartie Investitionen auf Eis legen oder gar das Land verlassen. „Sowohl die Zukunft Schottlands als auch die Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU macht den Investoren Sorgen“, sagt James Knightley, Volkswirt der Großbank ING in London.
Dabei ist das Land von ausländischen Geldgebern stärker abhängig als fast alle anderen Industriestaaten: Das Land lebt auf Pump, denn die Briten importieren weit mehr an Waren und Dienstleistungen, als sie selbst durch Exporte und ausländische Vermögensanlagen einnehmen. Abzulesen ist diese Lücke am tiefroten Saldo der volkswirtschaftlichen Leistungsbilanz: Das britische Defizit entspricht mit rund 140 Milliarden Euro im Jahr 5,5 Prozent der Wirtschaftsleistung - ein einsamer Rekord unter den großen Industrieländern.
Quelle: F.A.Z.
http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/britische-parlamentswahl-in-europa-geht-das-brexit-gespenst-um-13569528.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2

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