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Sonntag, 12. Juli 2015

Gewarnt wird vor einem Zusammenbruch des Bankensektors. „Ein unkontrollierter Kollaps des griechischen Bankensystems und von Griechenland als souveränem Schuldner würde bedeutsame Zweifel über die Integrität der Eurozone als Ganzes schaffen“, heißt es in der Expertise.


Griechische SchuldenkriseAthen braucht mindestens 74 Milliarden Euro neue Kredite

Nach Informationen der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung liegt der Finanzbedarf Griechenlands in den nächsten drei Jahren weit höher als bisher erwartet. Eine EU-Expertise warnt zugleich vor den Folgen eines „unkontrollierten Kollaps des griechischen Bankensystems“.

© DPAAbendrot über der Akropolis: Ein finanzieller Kollaps von Staat und Banken Griechenlands träfe womöglich ganz Europa
Die Finanzminister der Eurogruppe haben am Samstag sehr kontrovers über ein neues Hilfsprogramm für Griechenland beraten. Eine Einigung sei unwahrscheinlich, die Standpunkte lägen zu weit auseinander, hieß es am frühen Abend.
Zuvor war schon eine Runde der Finanzstaatssekretäre ohne Ergebnis auseinandergegangen. Der Vorsitzende der Eurogruppe, Jeroen Dijsselbloem, sprach deshalb vor dem Ministertreffen von „schwierigen“, Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sogar von „außergewöhnlich schwierigen“ Beratungen.

12 Seiten lange Expertise

Wie sich herausstellte, benötigt Griechenland mindestens 74 Milliarden Euro an frischen Krediten – weit mehr, als bisher erwartet worden war. Die griechischen Reformvorschläge, sagte Schäuble, reichten „bei weitem“ nicht aus. „Wir können uns nicht allein auf Zusagen verlassen. Das Vertrauen ist in den letzten Monaten, bis in die letzten Stunden hinein, auf unfassbare Weise zerstört worden.“  Zuvor hatten EU-Kommission, EZB und IWF den Athener Vorschlag verhalten positiv eingestuft und als „Grundlage für Verhandlungen über ein neues ESM-Programm“ bezeichnet.
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Dieser Bewertung schlossen sich dem Vernehmen nach Frankreich, Italien und Zypern an. Dagegen teilten die nordosteuropäischen Eurostaaten die deutsche skeptische Haltung. Es wurde deshalb erwartet, dass allenfalls die Staats- und Regierungschefs an diesem Sonntag noch eine Entscheidung herbeiführen können.  Das deutsche Finanzministerium hatte seine Beurteilung der griechischen Vorschläge am Samstagmorgen den anderen Eurostaaten zugeleitet. „In diesen Vorschlägen fehlen zentral wichtige Reformbereiche, um das Land zu modernisieren und um über lange Sicht Wirtschaftswachstum und nachhaltige Entwicklung voranzubringen“, hieß es darin. Deshalb könnten sie „nicht die Grundlage für ein komplett neues, auf drei Jahre angelegtes ESM-Programm bilden“.

Ein Exit auf Zeit?

Stattdessen fasste das Finanzministerium zwei Wege ins Auge, die stattdessen blieben. Weg eins: Griechenland verbessert seine Vorschläge; es überträgt zudem Vermögenswerte in Höhe von 50 Milliarden Euro an einen Treuhandfonds, der sie verkauft und damit Schulden abträgt. Weg zwei: Mit Athen wird über eine „Auszeit“ verhandelt. Es verlässt die Eurozone für mindestens fünf Jahre und restrukturiert seine Schulden, bleibt aber EU-Mitglied.
EU-Kommission und EZB legten in einer Expertise am Samstag den hohen Finanzierungsbedarf Griechenlands dar. Sie machten folgende Rechnung auf: Das Land benötigt in den nächsten drei Jahren 53,7 Milliarden Euro, um seine Schulden samt Zinsen zu tilgen. Weitere 25 Milliarden Euro sind erforderlich, um den angeschlagenen Bankensektor mit frischem Kapital auszustatten. Und schließlich sollen 11,5 Milliarden in den griechischen Staatshaushalt fließen, damit das Land sein Haushaltsdefizit ausgleichen, Rechnungen, Löhne und Renten bezahlen kann.
Das ergibt zusammen gut 90 Milliarden Euro. Zieht man davon die Zinsgewinne aus griechischen Staatsanleihen (7,7 Milliarden Euro), Privatisierungsgewinne (2,5 Milliarden Euro) und erwartete Haushaltsüberschüsse (6 Milliarden) ab, bleibt ein Kreditbedarf von 74 Milliarden Euro. Anfang des Jahres war mit einem Drittel dieser Summe kalkuliert worden. Athen hatte diese Woche 53 Milliarden Euro beantragt – nur für den Schuldendienst.

„Neue Umstände“

Die Expertise führte auch Gründe für den stark gestiegenen Kreditbedarf auf. Das nicht abgeschlossene zweite Hilfsprogramm und die Einführung von Kapitalverkehrskontrollen hätten „neue Umstände geschaffen, die zu einer starken Verschlechterung der Schuldentragfähigkeit geführt haben“. Offenbar ist die griechische Wirtschaft in den vergangenen Wochen und Monaten dramatisch eingebrochen.
Noch im Frühjahr war die EU-Kommission davon ausgegangen, dass die Wirtschaftskraft in diesem Jahr um ein halbes Prozent wächst. Nun rechnet sie damit, dass die Wirtschaft um zwei bis vier Prozent schrumpft, im nächsten Jahr sollen es 0,5 bis 1,75 Prozent sein. Frühestens 2017 soll es wieder zu Wachstum kommen.  Gewarnt wird vor einem Zusammenbruch des Bankensektors. „Ein unkontrollierter Kollaps des griechischen Bankensystems und von Griechenland als souveränem Schuldner würde bedeutsame Zweifel über die Integrität der Eurozone als Ganzes schaffen“, heißt es in der Expertise.

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