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Mittwoch, 7. Dezember 2016

Und ab wann wird es unangenehm? Wenn ich das Gefühl habe, dass die Belastung in keiner Relation mehr zu meinem Bruttoeinkommen steht. Aber im Moment ist das nicht der Fall.

Präsident des BundesfinanzhofsSind Steuern gerecht, Herr Mellinghoff?

Der Präsident des Bundesfinanzhofs, Rudolf Mellinghoff, über die Verlockung von Steueroasen und die Macht der großen Konzerne.
 von 
© JAN ROEDERSteuern sind wichtig. Genauso wichtig ist es, dass sie als gerecht empfunden werden. Das sagt Rudolf Mellinghoff.
Herr Mellinghoff, zahlen Sie gerne Steuern?
In angemessenem Umfang zahle ich wirklich gerne Steuern, weil unser Staat nur so funktionieren kann.
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Und ab wann wird es unangenehm?
Wenn ich das Gefühl habe, dass die Belastung in keiner Relation mehr zu meinem Bruttoeinkommen steht. Aber im Moment ist das nicht der Fall.
Wie wichtig ist es, dass Steuern gerecht sind?
Sehr wichtig. Aber es spielt auch eine Rolle, ob die Besteuerung auch tatsächlich als gerecht empfunden wird. Viele Menschen wissen zum Beispiel nicht, dass Steuerzahler mit einem hohen Einkommen einen erheblichen Anteil zum Steueraufkommen beitragen. Nach Daten des Bundesfinanzministeriums für 2015 tragen die oberen zehn Prozent der Einkommensteuerpflichtigen 54,5 Prozent des gesamten Einkommensteueraufkommens, was ich auch für richtig halte. Die meisten Menschen haben aber das Gefühl, Reiche würden zu wenig Steuern zahlen, weil immer wieder spektakuläre Einzelfälle von Steuerhinterziehung herausgegriffen werden. Die überwiegende Mehrheit der Deutschen ist steuerehrlich – auch die Reichen.
Wissen das auch die Grünen? Die haben jetzt gerade einen neuen Vorstoß für eine Vermögensteuer gemacht.
Ich gehe davon aus, dass sie diese Daten genau kennen. Sie legen aber einen anderen Verteilungsmaßstab zugrunde. Das Entscheidende an einer gerechten Besteuerung ist aber die Gleichmäßigkeit der Besteuerung, also dass alle, die gleich viel verdienen, auch gleich hoch besteuert werden.
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Wer eine Vermögensteuer einführen will, muss das gesamte Vermögen berücksichtigen und darf sich nicht nur auf einen kleinen Teil, etwa das Aktienvermögen, beschränken. Das verursacht einen enormen Verwaltungsaufwand, weil es nicht ausreicht, das Vermögen einmalig zu bewerten. Es muss jedes Jahr neu und auch weltweit ermittelt und bewertet werden.
Was ist denn wichtiger: Dass Steuern gerecht oder dass sie einfach sind?
Das hängt unmittelbar zusammen. Schwer verständliche und komplizierte Regelungen sind häufig auch ungerecht. Die gegenwärtige Vollverzinsung, bei der Steuernachzahlungen und Steuerforderungen nach einer bestimmten Frist pauschal mit sechs Prozent verzinst werden müssen, ist zum Beispiel sehr kompliziert ausgestaltet. Gleichzeitig führt sie zu großen Ungerechtigkeiten, weil der Zinssatz von sechs Prozent wegen des Niedrigzinsumfelds seit einigen Jahren völlig irreal ist und zu einer willkürlichen Belastung oder Begünstigung führt, auf die der Steuerpflichtige keinen Einfluss hat. So können hohe Zinsen anfallen, weil die Bearbeitung eines Falles lange dauert. Ist diese wirklich sehr komplizierte Berechnung, die auch von vielen Steuerzahlern als ungerecht empfunden wird, wirklich nötig? Es wäre eine große Vereinfachung, wenn die Vollverzinsung gegenwärtig zumindest ausgesetzt würde.
Einkommenssteuer© DPAVergrößernSteuern sind mit „Papierkram“ verbunden. Komplizierte Regelungen können ungerecht sein.
Steuern sind eher eine trockene Materie, trotzdem regen sich viele Menschen auf. Warum?
Menschen müssen nicht nur Geld an den Staat abführen, sondern gleichzeitig über sehr private Lebensumstände Auskunft geben. Um Aufwendungen geltend zu machen, teilen wir dem Staat unsere familiären Verhältnisse, im Zusammenhang mit außergewöhnlichen Belastungen unsere Krankheiten, das gesamte Vermögen oder bei Parteispenden auch unsere politischen Auffassungen mit. Es gibt keine Behörde und keine Institution, die so viel über den Bürger weiß wie das Finanzamt. Deshalb ist das Steuergeheimnis so wichtig.
Ist das in Gefahr?
Es ist in Gefahr, nicht hier direkt in Deutschland. Aber wir haben einen internationalen Datentransfer organisiert, wie wir ihn uns früher nie vorgestellt haben. Das führt zwangsläufig dazu, dass die Gefahr besteht, dass die Daten irgendwann öffentlich werden. Auch passieren immer wieder Fehler.
Trifft das den normalen Bürger?
Jedenfalls dann, wenn er im Ausland arbeitet oder Vermögen im Ausland hat. Deshalb ist es wichtig, dass alle Staaten die Daten geheim halten. Außerdem muss der Bürger wissen, welche Daten wohin übermittelt werden. Der Steuerzahler muss in der Lage sein, Fehler rechtzeitig zu korrigieren. Inzwischen beteiligen sich mehr als hundert Staaten an diesem Datenaustausch. Wie die Verwaltung dies bewältigt, steht auf einem anderen Blatt.
Spätestens seitdem bekannt ist, wie wenig Steuern Apple in Irland zahlt, ahnt der Bürger, dass Unternehmen die Möglichkeit haben, sich ihre Steuersätze auszusuchen. Ist das gerecht? Das wird immer mit einer großen moralischen Entrüstung berichtet. Doch ich zögere mit einer Bewertung, weil mir wesentliche Informationen fehlen. Aber wenn es stimmt, dass ein Unternehmen nur im einstelligen Prozentbereich Steuern auf seinen gesamten Ertrag zahlt, dann ist das ganz offenkundig ungerecht. Das ist gar keine Frage.
Tim Cook© APVergrößernApple zahlt in Irland nur wenig Steuern. Die Bürger empören sich darüber.
Gibt es denn individuelle Steuerabsprachen auch in Deutschland?
Mir ist nicht bekannt, dass in Deutschland Unternehmen und Finanzverwaltung individuelle Absprachen treffen, die keine Grundlage im Gesetz haben. Es gibt aber verbindliche Auskünfte darüber, wie ein bestimmter Sachverhalt steuerlich zu bewerten ist. Hier sollte die Finanzverwaltung großzügig sein, weil das Steuerrecht kompliziert ist und die Steuerbelastung eine wesentliche Grundlage für Investitionsentscheidungen eines Unternehmers ist. Derzeit hat der Steuerpflichtige keinen Anspruch auf derartige Auskünfte.
Können amerikanische Konzerne den Staaten ihre Bedingungen diktieren?
Diese geballte Wirtschaftsmacht der Silicon-Valley-Konzerne muss uns Sorgen machen, wenn wir sehen, wie die Unternehmen unser Leben beherrschen, ohne dass wir angemessen reagieren können. Die EU-Kommission hat unglaubliche Schwierigkeiten, gegen Google oder Facebook beim Datenschutz vorzugehen. Dabei muss man berücksichtigen, dass Daten die Währung des 21.Jahrhunderts sind. Die gegenwärtige Besteuerung ist darauf nicht ausgerichtet.
Wir sollen Daten besteuern?
Man sollte jedenfalls überlegen, ob und inwieweit dieses Wirtschaftsgut angemessen besteuert werden kann. Daten bedeuten in der Wirtschaft heute Macht und Geld; warum sollte man dies bei der Besteuerung nicht berücksichtigen? Man kann doch überlegen, ob man an die Zahl der Nutzer oder an die Datenanwendung anknüpft. Das geht allerdings nur, wenn wir das international abstimmen. Bei einer isolierten Versteuerung in Deutschland reagieren die Unternehmen, sie könnten entsprechendes Besteuerungssubstrat auslagern oder sogar abwandern. Vielleicht würde auch der Zugang zu bestimmten Anwendungen für Deutsche eingeschränkt.
Das wäre für Sie als Twitterkönig der Bundesgerichte ein herber Schlag.
Ich twittere gerne, aber sehr bewusst und vorsichtig - im Wesentlichen zu steuerrechtlichen und zu justizpolitischen Themen. Für mich gehören private Angelegenheiten nicht ins Netz. Die sozialen Medien sind Teil unseres Lebens geworden, davor können wir nicht die Augen verschließen. Darauf muss die Besteuerung der Zukunft reagieren.
Das international abzustimmen ist schwierig. Uns gelingt es ja noch nicht einmal in Europa, die Steueroasen auszutrocknen.
Da stellen sich auch politische Machtfragen. Das sehen wir nach der Brexit-Entscheidung: Die britische Premierministerin Theresa May möchte zum Beispiel die Steuern senken, damit Großbritannien für Unternehmen attraktiv bleibt.
Panama © © BILDAGENTUR HUBERVergrößernOh, wie schön ist Panama...
Bundesfinanzminister Schäuble warnt vor Steuerdumping.
Man muss aber auch berücksichtigen, dass die Ausgangslage in den Ländern sehr unterschiedlich ist. Unternehmen siedeln sich in manchen wenig entwickelten Länder nur an, wenn die Steuern niedrig sind. Im Übrigen locken Staaten schon immer Unternehmen mit Steuersubventionen. Ein Beispiel sind die Patentboxen, die dazu dienen, Einnahmen aus Lizenzen und Patenten in ein Land zu verlagern. Man kann natürlich über Mindeststeuersätze nachdenken. Aber wir sind ja nicht alleine auf der Welt, es wird dann noch immer Steueroasen wie Delaware oder die Cayman Islands geben. Auf OECD-Ebene wird an Maßnahmen gegen Gewinnverlagerung und Steuervermeidung gearbeitet. Aber die Besteuerung hängt auch eng mit der Wirtschaftspolitik zusammen. Die Amerikaner machen eine knallharte Wirtschaftspolitik zu ihren eigenen Gunsten, wie man an Apple sieht. Da fehlt ein internationaler Schiedsrichter.
Die EU-Kommission hat gar keine Kompetenz in diesen Steuerfragen. Sie kann nur deshalb gegen Apple einschreiten, weil sie die Steuernachlässe als irische Beihilfe wertet. Da stimmt doch etwas nicht?
Das ist ein echtes Problem, denn die Maßstäbe des Beihilferechts sind sehr vage und bieten den Steuerpflichtigen keine Rechtssicherheit. So wird derzeit etwa darüber diskutiert, ob es sich bei der Begünstigung von Familienunternehmen in der Erbschaftsteuer um eine verbotene Beihilfe handelt. Den Staaten kann das egal sein, denn selbst wenn sich herausstellt, dass es sich bei einer Steuervergünstigung um eine unzulässige Beihilfe handelt, bedeutet das nur, dass der Steuerpflichtige nachzahlen muss, wie im Fall Apple. Der Staat trägt keinerlei Risiko, aber der betroffene Steuerpflichtige ist den Forderungen der EU ausgeliefert, auch wenn er sich an die Regelungen seines Staates gehalten hat.
Wird es gerechter, wenn die EU mehr Kompetenzen im Steuerrecht bekommt?
Das ist eine politische Entscheidung. Es werden aber schon heute immer mehr steuerrechtliche Maßnahmen auf europäischer Ebene geregelt. Das kann zu einer Versteinerung des Steuerrechts führen, weil in diesem Bereich auf europäischer Ebene das Einstimmigkeitsprinzip gilt. Selbst der kleinste Mitgliedstaat kann eine flexible Anpassung an veränderte wirtschaftliche Rahmenbedingungen verhindern. Dabei wissen wir, dass der Staat insbesondere im Ertragssteuerrecht schnell und flexibel reagieren können muss. Das muss man bei einer weiteren Verlagerung von Regelungen auf die EU berücksichtigen.
Warum lässt Schäuble das zu?
So weit ist es noch nicht, und viele Maßnahmen, die jetzt auf die EU verlagert worden sind, gibt es schon im deutschen Steuerrecht. Aber die Dinge, die bereits auf europäischer Ebene geregelt sind, können auch nur dort – und zwar einstimmig – geändert werden. Wenn nicht nur das Umsatzsteuerrecht, sondern auch das Ertragssteuerrecht im Wesentlichen auf die EU übertragen wird, stellen sich weitere kompetenzrechtliche und demokratietheoretische Fragen. Die Steuern sind der Lebensnerv eines jeden demokratischen Staates. Diese Fragen werden leider in der Öffentlichkeit viel zu wenig diskutiert; das Thema ist eben nicht sexy.
Das Gespräch führte Corinna Budras.

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