Russlands BörseIm Schwitzkasten des Rubel
Der Rubel schlägt wilde Kapriolen und der Aktienmarkt leidet zusätzlich unter der Wirtschaftsschwäche. Eine schnelle Trendwende ist unwahrscheinlich – auch wenn sich Russland weiter für Investoren öffnet.
22.12.2014, von BENJAMIN TRIEBE, MOSKAU
Es kursiert ein Witz in Moskau. Fragt ein Russe den anderen: „Wenn du zurück in die Vergangenheit reisen könntest, um etwas zu ändern – was würdest du tauschen?“ Sagt der andere ohne Zögern: „Rubel.“ Tatsächlich hat die russische Währung im Jahr 2014 eine enorme Talfahrt hingelegt, kontinuierlich Tiefststände markiert und stand zu Beginn der vergangenen Woche kurz vor dem Kollaps. Am Dienstag schwankte sie im Tagesverlauf um 36 Prozent zum Dollar. Die Notenbank konnte die Währung erst in den folgenden Tagen beruhigen, als ein Mix aus einer sehr markanten Leitzinserhöhung sowie der geringeren Bereitstellung von Rubel-Liquidität und einem größeren Angebot an Fremdwährungen ihre Wirkung taten. Der Staat versprach Hilfe zur Stützung der russischen Banken, sollte dies nötig werden. Jetzt steht der Rubel wieder etwa dort, wo er kurz vor der vergangenen Woche war – vor jenen verrückten Tagen, die in Russland kaum jemand für möglich gehalten hatte.
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Ein Euro kostet derzeit etwa 69 Rubel, ein Dollar 57 Rubel. Das sind immer noch 53 beziehungsweise 72 Prozent mehr als zu Jahresbeginn. Fundamental betrachtet gibt es durchaus Gründe, warum sich der Rubel 2015 erholen könnte. Das Problem: Solche Analysen scheinen derzeit höchstens für die Galerie geeignet. In dem Klima der hohen Verunsicherung halten Analysten kurzfristig weiterhin hohe Ausschläge für möglich. Das Währungsrisiko ist zurück in einem Markt, in dem man sich in den vergangenen Jahren um vieles Gedanken machen musste – aber nicht um den Rubel, der von der Zentralbank auf konstantem Niveau gehalten wurde. Die Folgen sind so frappierend wie unterschiedlich: Wegen des Währungseffekts hat der eine russische Leitindex, der RTS, im Jahr 2014 rund 42 Prozent verloren. Das andere wichtige Barometer hingegen, der Micex, steht etwa unverändert.
Konzerne aus dem Metall- und Bergbausektor halten sich gut
Beide Leitindizes bilden die 50 liquidesten Aktien der größten russischen Konzerne ab. Doch der RTS besteht aus in Dollar notierten Aktien. Lange Zeit wählten große russische Unternehmen diese Emissionsvariante, um internationale Investoren anzulocken. Der Micex hingegen bildet Rubel-Papiere ab. Fällt der Rubel zum Dollar, muss auch der RTS korrigieren, sonst wären Arbitrage-Gewinne zwischen Aktien derselben Firma in unterschiedlichen Währungen möglich. Schaut man nur auf den RTS, der gewissermaßen den Währungseffekt für ausländische Anleger einbezieht, zeigt sich ein schauderhaftes Bild: Er notiert bei rund 800 Punkten; im Frühjahr 2011 waren es über 2000. Der Micex allerdings steht „erst“ bei 1450 Punkten; damals war er bei 1800. Beispiel Energie: Die Moskauer Rubel-Aktien von Rosneft, dem weltgrößten börsennotierten Erdölkonzern, haben seit Jahresbeginn 21 Prozent verloren; die Dollar-Aktien in London 51 Prozent. Die Titel des Erdgasriesen Gasprom stehen in Moskau (Rubel) nahezu unverändert, die Papiere in London (Dollar) büßten 43 Prozent ein.
Bereits 2013 begann das aus strukturellen Gründen immer schwächere Wirtschaftswachstum des drittgrößten Schwellenlandes auf die Währung durchzuschlagen. Seit dem Frühjahr 2014 kamen geopolitische Faktoren hinzu: Die Ukraine-Krise, die Annektierung der Halbinsel Krim, die westlichen Sanktionen und die russischen Gegenmaßnahmen. Im Sommer folgte der letzte Streich: der Verfall des Erdölpreises. Zwei Drittel der russischen Exporte bestehen aus Erdöl oder Erdgas, wobei sich der Preis für Gas an jenem für Öl orientiert. Die Hälfte des Staatshaushalts wird mit Steuern auf die Förderung der beiden Energieträger bestritten. Der Preis für ein Fass der Nordseesorte Brent, dem die Notiz für die russische Sorte Urals eng folgt, steht heute 45 Prozent niedriger als Anfang Juli.
In diesem Jahr dürfte die russische Wirtschaft noch schwach wachsen, aber für 2015 gilt im drittgrößten Schwellenland eine Rezession als durchaus möglich. Entscheiden wird darüber der Erdölpreis. Vor diesem Hintergrund wird es nochmals wichtiger, wie Währungsschwankungen in den Geschäftsverlauf eines Unternehmens und damit in den Aktienkurs hineinspielen können. Prinzipiell im Vorteil sind Unternehmen, die möglichst hohe und verlässliche Erlöse in Fremdwährungen erzielen, deren Kosten aber in Rubel anfallen, und die nur geringe Auslandsschulden bedienen müssen. 2014 haben sich Konzerne aus dem Metall- und Bergbausektor relativ gut geschlagen: Das beste Beispiel sind die in Hongkong und in Hongkong-Dollar notierten Aktien des weltgrößten Aluminiumproduzenten UC Rusal, die um 110 Prozent avancierten. Die Sberbank hält den Sektor auch im kommenden Jahr für den attraktivsten, selbst wenn die Performance natürlich vom Verlauf der Rohwarenpreise abhängt.
Leichter investieren dank Clearstream und Euroclear
Grundsätzlich geht die größte russische Bank davon aus, dass der Aktienmarkt auf diesem niedrigen Bewertungsniveau im Jahr 2015 stark von Einzelereignissen getrieben sein wird. Das könnte ihn wie in den neunziger Jahren zu einem Tummelplatz für Hedgefonds machen. Allgemein wachse bei ausländischen Anlegern allerdings die Meinung, dass Russland „nicht-investierbar“ sei. Die Bank VTB erinnert an einen zweiten Stolperstein neben dem auf Fünfjahrestief befindlichen Erdölpreis: die Finanzsanktionen der EU und der Vereinigten Staaten. Dortigen Investoren ist es verboten, neue Anleihen beispielsweise der größten russischen Banken und neue Aktien zu kaufen. Die Sorge, ob diese Strafmaßnahmen nicht noch ausgeweitet werden, lässt Anleger zögern.
Angesichts all dieser Unsicherheiten wirkt es wie ein Kontrapunkt, dass sich der russische Finanzplatz für ausländische Investoren öffnet. Über den Aufbau einer zentralen Clearingstelle an der Moskauer Börse und den Einbezug der internationalen Abwicklungssysteme Clearstream und Euroclear wurde die Grundlage für eine Erleichterung des Aktienhandels geschaffen; nach einer Gesetzesänderung sollen Investoren davon 2015 in der Breite profitieren können. Bereits möglich ist nach Reformen in den Jahren 2013 und 2014 der Kauf einiger Unternehmensobligationen sowie von Rubel-Staatsanleihen („OFZ-Bonds“) über die beiden führenden Clearingsysteme. Doch auch an festverzinslichen russischen Papieren haben Investoren nicht nur Freude: Die Benchmark-Staatsanleihe mit zehn Jahren Laufzeit rentiert bei über 13 Prozent; Anfang 2014 waren es unter 8 Prozent. Ähnlich verhält es sich mit dem breiten Unternehmensanleihen-Index der Moskauer Börse.
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