Putin und der WestenMächtig verzockt
Wladimir Putin sah erst wie ein Sieger aus. Doch er hat die Ukraine für lange Zeit verloren. Und ist zum Gefangenen seiner selbst geworden. Ein Kommentar.
27.12.2014, von MARKUS WEHNER, BERLIN
© AFPFalls Putin an Silvester, wie hier anlässlich des Gewinns der Eishockeyweltmeisterschaft durch Russland im Mai 2014, ein Glas Sekt zu sich nimmt, könnte er ins Grübeln kommen.
Wird Wladimir Putin still lächeln, wenn er Silvester vielleicht mit einem Glas Krimsekt auf das neue Jahr anstößt? Wird er zufrieden zurückblicken auf die vergangenen zwölf Monate, die er – mehr als alle anderen – zu einem turbulenten, verrückten, ja dramatischen Jahr für Russland und Europa gemacht hat? Der Mann im Kreml hätte ein paar gute Gründe dafür. Er hat der Welt gezeigt, wozu Russland fähig ist. Er hat die Krim für den russischen Staat erobert, handstreichartig und ohne unmittelbare Verluste. Er muss nicht mehr um die russische Schwarzmeerflotte bangen. Mehr noch: Die Annexion der Halbinsel, auf der einst sowjetische Atom-U-Boote stationiert waren, ist ein großer strategischer Gewinn für Putin. Von ihr aus kann er das gesamte Schwarze Meer bis hin zur türkischen Küste kontrollieren.
In der Ostukraine hat Putin klargemacht, dass er in der Lage ist, das Geschehen in einem Nachbarstaat zu dominieren. Die Ukraine ist militärisch zu schwach, um einen Sieg zu erringen. Und der Westen kann nicht unmittelbar mit Waffengewalt eingreifen – „mourir pour Kiev“ war für ihn ausgeschlossen. Putin hat das vorausgesehen und ausgenutzt. Er hat den Krieg im ukrainischen Osten zwischenzeitlich gedämpft und dann wieder angefacht, ganz nach Belieben.
Das Ganze ließ er begleiten mit einer Propaganda-Kampagne im In- und Ausland, die ihresgleichen sucht. So phantastisch die Konstruktionen Moskaus über ein angeblich faschistisches Regime in Kiew und das Anrecht der russischen Mutternation auf ein „Neurussland“ auch waren, so sehr haben sie doch bei der Mehrzahl der Russen gewirkt. Und die angeblichen Einkreisungsängste, die Putin für sein Land geltend macht, sind sogar in Europa und nicht zuletzt in Deutschland als Rechtfertigung für das Handeln des Kremlherrn akzeptiert worden.
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Nicht zuletzt hat der russische Präsident ein innenpolitisches Problem mit der Heimholung der Krim gelöst. Genauer gesagt: nicht irgendein Problem, sondern sein größtes. Es bestand darin, dass die Russen ihn nicht mehr mochten wie früher, und das, obwohl sie nach wie vor an einen charismatischen Führer glauben wollen. Putin galt als verbraucht. Nun ist er wieder so beliebt wie zu seinen besten Zeiten. Sein Krim-Abenteuer hat einen nationalen Rausch ausgelöst, eine neue Putin-Manie. Waren zu Jahresbeginn noch deutlich weniger als die Hälfte der Russen mit ihrem Präsidenten zufrieden, so sind es heute siebzig Prozent und mehr. Putin hat das Zerbröseln der Legitimität, das sein Regime erlebte, gestoppt. Er hat einen Rückhalt wie seit Jahren nicht mehr.
Taktisch gut aber strategisch miserabel
Das zweite Glas, das Putin sich zum neuen Jahr gönnen könnte, wird allerdings bitter schmecken. Die wirtschaftliche Lage ist, darüber wurde in den vergangenen Wochen viel geschrieben, schlecht. Der Verfall des Ölpreises, von Amerikanern und Saudis befördert, trifft Russland hart. Auch die Sanktionen machen der russischen Ökonomie schwer zu schaffen. Die Inflation nähert sich der Zehn-Prozent-Marke, die Wirtschaft wächst nicht mehr, eine Rezession steht ins Haus. Die Aussichten für das kommende Jahr sind düster.
Als die Stimmung auf dem Majdan in Kiew eskalierte und Janukowitsch floh, hatte Putin rasch reagiert – und scheinbar taktisch klug. Doch strategisch hat er versagt. Er glaubte damals nicht, dass der Westen geschlossen reagieren würde. Das war sein erster Fehler. Dabei hat Putin die Europäische Union dazu getrieben, endlich außenpolitisch nachvollziehbar und abgestimmt zu reagieren. Die EU hat, unter der Führung Berlins, ihre Einheit wichtiger genommen als das Verhältnis einzelner Staaten zu Moskau. Das ist bemerkenswert, weil es nicht selbstverständlich war.
Verrechnet hat sich Putin aber auch, was die Ukraine selbst angeht. Er hat das Vermögen der Ukrainer unterschätzt, eine politische Einigung voranzutreiben und militärisch gegenzuhalten. Natürlich ist die Ukraine wirtschaftlich und politisch nicht über den Berg, sondern immer noch in einer heiklen Lage. Moskau kann viel dafür tun, sie zu destabilisieren. Aber eines hat Putin mit Sicherheit erreicht. Die Ukrainer verstehen sich heute mehr denn je als Nation – gerade in ihrer Frontstellung zu Moskau. Was in 25 Jahren Unabhängigkeit nur unvollkommen gelang, hat Putins Aggression binnen weniger Monate geschafft: eine Nationenbildung im Zeitraffer. Wie erfolgreich dieser Prozess auch weitergehen wird – so viel lässt sich schon sagen: Putin hat die Ukraine auf lange Zeit für Russland verloren.
Russland ist in nationalistischer Hochstimmung
Das war kurzsichtig, gerade mit Blick auf Putins Pläne, eine Eurasische Union zu bilden. Für die Ukraine ist dieser Zug abgefahren. Sie hat mit der Aufkündigung ihres blockfreien Status in dieser Woche noch einmal klargemacht, wohin die Reise für sie geht – gen Westen. Der Krieg, den Putin im Südosten der Ukraine anzettelte, hat auch jene Bürger der Ukraine, die sprachlich und kulturell eng mit Russland verbunden sind, verschreckt. Und Putin hat diese hybride Kriegsführung zwar mit viel Tamtam, aber ohne Plan betrieben. Putin wollte dem Westen klarmachen: Die Ukraine ist unser Einflussgebiet, das müsst ihr akzeptieren. Eine politische Zukunftsvision für die „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk aber hat er nicht.
Wird Putin nun versuchen, die Konfrontation mit dem Westen zu beenden? Rhetorisch hat er bisher wenig dafür getan, einen gesichtswahrenden Ausweg aus der verfahrenen Situation zu finden. Im Gegenteil. Seine Worte von der Krim als „Tempelberg“ Russlands und seine Vergleiche der heutigen Lage Russlands mit dem Abwehrkampf gegen Hitler zeugen davon, dass er vom hohen nationalistischen Ross nicht mehr herunterkommt. Vielleicht kann er auch einfach nicht mehr absteigen. Schließlich hat er seine Landsleute in eine nationalistische Hochstimmung versetzt. Sie erwarten von ihm kein Zurückweichen, sondern weitere patriotische Großtaten. Putin ist damit zum Gefangenen seiner selbst geworden.
Noch ist die Stimmung in Russland so patriotisch getränkt, dass die Russen glauben, die gegenwärtigen Schwierigkeiten würden sich wieder geben. Putin machen sie dafür bisher nicht verantwortlich.
Der russische Präsident wird versuchen, die Partner in der EU gegeneinander auszuspielen. Ob es ihm gelingt? Putin ist ein Spieler, er kennt die Spieltheorie. Er kalkuliert, wie weit sein Gegner zu gehen bereit ist. Die Schmerzgrenze des Westens wie auch der Ukraine aber hat er falsch eingeschätzt. Wenn der russische Präsident in seiner eigenen Elite irgendwann als verschlissen gelten sollte, wenn sein Verhältnis zu den Führern der westlichen Welt als zu belastet angesehen wird, dann wird ein anderer an seine Stelle treten, um die Glaubwürdigkeit der russischen Politik wiederherzustellen. Ob es dazu kommen wird, ist ungewiss. Gewiss ist: Putin hat sich in diesem Jahr mächtig verzockt.
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