Dienstag, 17. November 2015
Das Finanzsystem des Terror-KalifenDer IS lässt sich nicht einfach aushungern
Die wichtigsten Industriestaaten der Welt wollen den IS in den Bankrott treiben. Doch es reicht nicht, die Konten der Islamisten einzufrieren. Auch ein Angriff auf die Öl-Infrastruktur des Kalifats wird oft überschätzt.
Die Amerikaner tauften die Mission "Tidal Wave" - Flutwelle: Am Montag stiegen von einer türkischen Luftwaffenbasis sechs auf Bodenziele spezialisierte A10- und AC-130-Kampfflugzeuge auf. Über dem syrischen Ort Deir Ez Zor entluden sie ihre Fracht: zwei Dutzend 500-Pfund-Bomben und unzählige Salven aus ihren 30 und 105 Millimeter Kanonen. Das Ziel: Tanklastwagen des sogenannten Islamischen Staats (IS). Den Amerikanern gelang es, mehr als 100 Fahrzeuge zu zerstören.
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Die Mission "Tidal Wave" ist das jüngste Beispiel für den Versuch, die Islamisten dort zu treffen, wo sie besonders verwundbar erscheinen: bei ihren Finanzierungsquellen. Die 20 wichtigsten Industrie-Nationen verkündeten bei ihrem Gipfel in Antalya dann auch noch am selben Tag ihre Hingabe für den Kampf gegen die Terrorfinanzierung. In einem Abschlussdokument bekannten sich die G20 zu einer Reihe an Schritten:
- Besserer Informationsaustausch zwischen den Staaten über die Finanzaktionen des IS
- Einfrieren von Konten von IS-Unterstützern
- Terrorfinanzierung als Straftatbestand
- Sanktionen gegen Regime, die den Terror unterstützten.
Doch es ist ungewiss, ob diese Maßnahmen den IS wirklich treffen können. Denn der hat sich längst darauf eingestellt, dass es Versuche gibt, seine Einnahmequellen auszutrocknen. Wie finanziert sich der IS? Und wie verhindert er, dass man ihn dabei stört?
Dass die Mission "Tidal Wave" Tanklastern galt, lässt erahnen, dass Einnahmen aus dem Verkauf von Öl eine besondere Rolle spielen. Die Islamisten kontrollieren in Syrien und dem Irak Gebiete von der Größe Großbritanniens. Vor allem im syrischen Nordosten gibt es theoretisch etliche lukrative Ölfelder. Anfangs gingen Experten noch davon aus, dass die Islamisten damit bis zu einer Milliarde US-Dollar im Monat einnehmen könnten. Doch davon ist längst nicht mehr die Rede. Recherchen der "Financial Times" zufolge flog die Allianz unter US-amerikanischer Führung mehr als 10.000 Luftangriffe auf die Öl-Infrastruktur des IS. Vor allem aber leidet diese unter mangelnder Wartung. Dem IS fehlen Expertise und Arbeitskräfte, um die Kapazitäten der Anlagen voll auszunutzen. Hinzu kommt der massive Fall des Ölpreises. Mittlerweile schätzen Experten die maximalen Öleinnahmen des IS nur noch auf 30 bis 40 Millionen Dollar pro Monat.
Geleakter Haushalt gibt Aufschluss über die wichtigste Erlösquelle
Die Einnahmen des IS aus dem Verkauf von Öl lässt sich weiter drücken. Nicht nur durch Luftangriffe. Um das Öl auf den Markt bringen zu können, setzt der IS laut Günter Meyer auf Mafia-Strukturen im irakischen Kurdistan, die das Öl der Islamisten über die Türkei in die Welt bringen. "Wichtig ist es, bei der Türkei anzusetzen", sagt der Leiter das Zentrum für Forschung zur arabischen Welt an der Universität Mainz deshalb. "Sie ist nach wie vor das wichtigste Einfallstor für die Finanzierung des IS. Außerdem muss massiver Druck auf die Regierung in Kurdistan ausgeübt werden." Laut Meyer sind die Mafia-Strukturen in dem autonomen Gebiet eng mit der Führungsriege Kurdistans verbunden.
Das klingt zunächst paradox, schließlich zählen die irakischen Kurden mit ihren Peschmerga zu den stärksten Gegnern der Islamisten. Doch wenn es ums Öl geht, davon ist Meyer überzeugt, überlagerten die finanziellen Interessen der Kader noch ihre politischen Interessen.
Der Angriff auf die Öleinnahmen des IS kann wirkungsvoll sein, ist aber sicher kein Allheilmittel. Denn die Bedeutung des Öls für die Islamisten wird oft maßlos überschätzt. Experten von der Denkfabrik Rand Corporation oder dem US-Finanzministerium gehen davon aus, das Öl nur die drittwichtigste Erlösquelle des IS darstellt. Deutlich mehr Geld bekam der IS im vergangenen Jahr durch ausgeraubte Banken bei ihren Eroberungsfeldzügen. Dabei handelte es sich allerdings um einmalige Gewinne. Entscheidend sind die Einnahmen des IS durch die Erpressung und Besteuerung der Millionen von Menschen, die im sogenannten Kalifat leben.
Ein geleakter Haushalt der Provinz Deir Ez Zor wirkt wie ein deutlicher Beleg dafür. In der ölreichen Region nahm der IS im Dezember 2014 und Januar 2015 demnach rund 8 Millionen US-Dollar ein. Davon entfielen:
- 44,7 Prozent auf sogenannte Konfiszierungen
- 23,7 Prozent auf Steuern
- 27,7 Prozent auf Öl- und Gaseinnahmen
- 3,9 Prozent auf Geschäfte mit Elektrizität
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Unter dem Begriff Konfiszierungen sind dabei alle erdenklichen erpresserischen Methoden zusammengefasst, die der IS einsetzt. Aymenn Jawad Al-Tamimi, der die Dokumente veröffentlicht hat, sagt dazu: "Wenn du dreimal hintereinander ein Gebet verpasst, wird dein Laden konfisziert. Wenn du verbotene Güter wie Zigaretten transportierst, wird dir das Geld, das du bei dir trägst, weggenommen."
Auf diese Erlöse können die Gegner des IS schlicht keinen Einfluss nehmen. Sie können nur darauf warten, dass die Islamisten die Bevölkerung in ihrem sogenannten Kalifat eines Tages derart geschröpft haben, dass aus ihnen nichts mehr herauszusaugen ist.
Kuriere bringen Bargeld ins Kalifat
Und es gibt noch eine weitere Einnahmequelle, die schwer trockenzulegen ist. Lange mussten sich die reichen Golfstaaten vorwerfen lassen, sunnitische Islamistengruppen in Syrien und dem Irak finanziert zu haben. Bei diesem Vorwurf ist zu berücksichtigen, dass es nicht etwa die Regierungen Saudi-Arabiens oder Katars waren, die Geld überwiesen, sondern wohlhabende Privatleute und gewiefte Spendensammler aus diesen Ländern. Die Regierungen ließen sie gewähren, weil sie dem IS anfangs noch keine so große Bedeutung beimaßen.
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Nach etlichen Anschlägen des IS in Golfstaaten - das "Haus Saud" steht offiziell auf der Feindesliste des IS - hat sich diese Laissez-faire-Haltung laut Meyer aber geändert. "Saudi-Arabien geht mittlerweile massiv gegen Finanztransaktionen vor", sagt er. Das Geld fließe aber längst verdeckt.
Dem Experten zufolge funktioniert das so: Der IS verfügt über mehr als 100 Bankfilialen in seinem sogenannten Kalifat. Direkte Überweisungen sind nicht mehr möglich. Doch die Filialen verfügen über gute Verbindungen in die Nachbarstaaten und zu Dienstleistern, die dort Geldtransfers ermöglichen. Terrorspender zahlen bei diesen Dienstleistern, die zum Teil mit falschen Adressen und Namen operieren, ein. Dann übernehmen Kuriere. Sie heben Bargeld ab und bringen es über die Grenze nach Syrien oder in den Irak.
Meyer nennt die libanesische Hauptstadt Beirut als einen zentralen Umschlagplatz für diese Finanzgeschäfte, aber wieder auch die Türkei. "Die Türkei, die nicht nur Waffenlieferungen und den Zustrom von Dschihadisten für die Nusra-Front und den IS ermöglicht hat, die medizinische Versorgung und Erholungsmöglichkeiten für Kämpfer des IS bereitgestellt hat, hat auch im großen Stil zugelassen, dass finanzielle Mittel an den IS geflossen sind", sagt er. Erst nachdem die ersten Anschläge von IS-Kämpfern das Land trafen, habe in Ankara ein Umdenken begonnen.
Das Problem ist womöglich, dass auch dieses Umdenken nicht reichen könnte. Die verdeckten Geschäfte lassen sich laut Meyer kaum verhindern. Ganz sicher zumindest nicht mit den Mitteln, die nun die G20 in den Vordergrund stellen. "Die Maßnahmen, die beim G20-Gipfel verkündet worden sind, entsprechen dem Standardrepertoire üblicher Sanktionen", sagt er. Das Einfrieren von Konten der IS-Unterstützer etwa könne man vergessen. "Die Führer des IS unterhalten keine Konten in den USA." Über das Vorhaben, Terrorfinanzierung strafbar zu machen, sagt er, dass dies längst der Fall sei. Der deutsche Justizminister brachte ein entsprechendes Gesetzespaket bereits im Frühjahr auf den Weg. Meyer sagt: "Dass die G20-Experten keine schnellen und effektiven Maßnahmen gefunden haben, zeigt, wie schwierig es ist, die Finanzierung des IS zu stören." Und er verweist ausdrücklich darauf, dass das Geld für den sogenannten Kalifen Abu Bakr Al-Baghdadi nicht nur aus dem Nahen Osten, sondern auch von Spendern aus dem Westen stammt.
Quelle: n-tv.de
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