Schuldenstreit mit AthenDas große Griechenland-Rauschen
Schon wieder hauen die beiden Finanzminister Wolfgang Schäuble und Giannis Varoufakis öffentlich auf den Putz. Auch viele andere, etwa EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker, kommentieren ständig den Schuldenstreit. Entscheiden werden drei andere.
24.05.2015, von ALEXANDER ARMBRUSTER
© DPAWer glaubt, man müsste wie der griechische Finanzminister Varoufakis (r.) auf Twitter sein und einen Blog betreiben, um überall gehört zu werden, hat die Rechnung ohne Wolfgang Schäuble gemacht.
Giannis Varoufakis ist 54 Jahre alt, twittert regelmäßig, betreibt sein eigenes Blog, gibt unzählige Interviews und Kommentare. Nicht nur in Griechenland, auch im Rest Europas und darüber hinaus weiß mittlerweile jeder, wer gerade Griechenlands Finanzminister ist. Varoufakis wirkt medial allgegenwärtig und seine Äußerungen haben es immer in sich. Vor Kurzem erst verkündete er mit deutlichen Worten: Wenn seinem Land das Geld ausgehe, dann sei die Reihenfolge klar - erst würden die eigenen Angestellten bezahlt, und wenn dann noch etwas übrig sei, bekomme der Internationale Währungsfonds seine Kredite pünktlich zurück. Wenn nicht, soll das heißen, dann nicht. Rums. Allerdings zeigte sich Varoufakis optimistisch, mit den Gläubigern sehr zeitnah eine Einigung zu erzielen.
An diesem Sonntag fordert er in der britischen BBC die Geldgeber auf, seinem Land mehr entgegen zu kommen. „Wir sind ihnen drei Viertel des Weges entgegengekommen, sie müssen uns ein Viertel des Weges entgegenkommen.“ Der griechische Innenminister Nikos Voutsis sekundiert im Athener Fernsehen: Der IWF werde im Juni sein Geld nicht fristgerecht zurück bekommen - weil es nicht da sei.
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Der sonst eher ruhige und besonnen auftretende Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem soll angesichts der unzähligen öffentlichen Äußerungen griechischer Politiker sogar einmal, ebenfalls vor Journalisten, gesagt haben, Athens Führung solle weniger Interviews geben und mehr Zeit darauf verwenden, das Land aus seiner schwierigen Situation zu befreien.
Ihr wollt abstimmen? - Nur zu!
Wer allerdings glaubt, nur der wird gehört, der in den „neuen Medien“ versiert ist, hat die Rechnung ohne Wolfgang Schäuble gemacht. Der Bundesfinanzminister wird im September 73 Jahre alt. Er hat keinen Twitter-Account und führt kein privates Internet-Tagebuch - und steht in Sachen Aufmerksamkeit seinem griechischen Widerpart (mittlerweile) in nichts nach. Kein Tag vergeht, an dem keine Zitate des Politik-Veteranen zum Schuldenstreit die Runde machen.
Natürlich hängt das auch damit zusammen, dass Schäuble der Finanzminister Deutschlands ist, der größten Euro-Volkswirtschaft, von deren Bereitschaft zu (weiteren) Krediten wesentlich abhängt, wie der Schuldenstreit ausgeht. Die angelsächsische Finanzzeitung “Financial Times“ hatte zum Beispiel in einem Zeitungsaufmacher unlängst ein Schäuble-Zitat eingeleitet mit „der mächtige deutsche Finanzminister sagt...“. Es ist aber mehr als das. Denn Schäuble sorgt selbst dafür, dass seine Worte die Runde machen, in dem er ein Interview nach dem anderen gibt, einen Kommentar nach dem anderen loslässt. Und seine Aussagen geschickt setzt.
Ein Beispiel: Kurz nachdem von griechischer Seite eine Volksabstimmung über weitere Sparmaßnahmen ins Gespräch gebracht worden war, sagte Schäuble sinngemäß und beinahe beiläufig in Richtung Syriza: Wenn ihr abstimmen wollt, bitte - ich zumindest habe nichts dagegen. Ein kluger Schachzug, weiß doch Schäuble (und natürlich auch die griechische Regierung) anhand zahlreicher Umfragen, dass die Griechen langsam die Nase voll haben vom Konfrontationskurs ihrer Regierung und zugleich um fast jeden Preis den Euro behalten wollen.
Merkel, Tsipras, Draghi
An diesem Sonntag, just zu dem Zeitpunkt, als der griechische Innenminister dem IWF mit Zahlungsausfall droht und Varoufkis mit der BBC spricht und während das Zentral-Komitee der Syriza-Partei tagt, stellt Schäuble im Deutschlandfunk noch einmal klar: Mehr Entgegenkommen ist nicht drin. Deutschland habe sich zuletzt am 20. Februar (während eines wichtigen Euro-Finanzministertreffens) verpflichtet, seine Zusagen einzuhalten. „Deswegen brauchen wir nicht über Alternativen zu reden.“ Und über Griechenland sagte er: Das Land habe noch „ziemlich viele Anstrengungen vor sich, um das zu erfüllen, wozu es sich verpflichtet hat“.
Neben Schäuble und Varoufakis äußert sich immer wieder eine Vielzahl anderer direkt an den Verhandlungen Beteiligter, etwa EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker, Währungskommissar Pierre Moscovici, Eurogruppenchef Dijsselboem, gelegentlich IWF-Chefin Christine Lagarde und einige ranghohe Vertreter der Europäischen Zentralbank. Wer nur einer Seite zuhört, oder zum Beispiel nur die Aussagen Schäubles und Varoufakis gegenüberstellt, kann schnell zu dem Schluss kommen: Eine Einigung ist unmöglich.
Angesichts dieser öffentlichen Vielstimmigkeit stellt sich zunehmend die Frage: Welche Aussagen sind eigentlich wichtig? Oder vielleicht noch treffender: Wessen Aussagen sind in diesem monatelangen Geschacher eigentlich wichtig?
Wahrscheinlich gerade die derjenigen Entscheider, die sich nach außen ziemlich bedeckt halten. Von denen wenige und dann eher zurückhaltende Stellungsnahmen kommen, wenn überhaupt: Von der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, vom griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras und von EZB-Präsident Mario Draghi. „Wer wissen will, in welche Richtung sich der Streit gerade bewegt, sollte sich an diesen dreien orientieren“, brachte es Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der niederländischen Bank ING Diba, gegenüber dem Finanzdienst Bloomberg auf den Punkt.
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Die deutsche Bundeskanzlerin ist bekannt dafür, dass sie generell keine spektakulären Aussagen in ihren Reden und öffentlichen Kommentaren unterbringt. Gleichwohl ist klar, dass sie innerhalb der deutschen Regierung letztlich auch in dieser Frage entscheiden wird - sollte sie sich zu Kompromissen gegenüber Griechenland entschließen, werden weder ihre Minister noch die Fraktion (lange) dagegenhalten.
Auf der anderen Seite gibt innerhalb der griechischen Führung Ministerpräsident Tsipras die Richtung vor - wenngleich seine Position nicht unbedingt mit der eines Vorsitzenden einer etablierten Partei in Deutschland zu vergleichen ist. Da mag sein Finanzminister medial noch so auf den Putz hauen. Auffällig ist, dass sich Tsipras wesentlich moderater äußert als viele andere Vertreter aus der neuen Athener Administration. Außerdem gewinnen Aussagen, in denen er „rote Linien“ gegenüber den Gläubigern betont, auch Plausibilität angesichts einer radikalen Plattform innerhalb Syrizas, der rund 30 der etwa 140 Parlamentssitze der Partei zugerechnet werden. Tsipras muss den innerparteilichen Widerstand möglichst gering halten.
Und die Amerikaner?
Draghi schließlich entscheidet maßgeblich mit über den Druck auf die griechische Regierung, Zugeständnisse zu machen. Denn die griechischen Geldhäuser hängen wesentlich an Notkreditlinien der griechischen Notenbank, über die wiederum die EZB in Frankfurt entscheidet. Außerdem bestimmt die EZB indirekt auch darüber, welchen kurzfristigen Finanzierungs-Spielraum der griechische Staat hat (über die Ausgabe entsprechender Wertpapiere).
Die deutsche Kanzlerin hat sich öffentlich noch nicht klar festgelegt. Im Februar, kurze Zeit nach dem Machtwechsel in Athen, sagte sie diesen Satz: „Europa ist darauf ausgerichtet, und das ist auch der Erfolg Europas, einen Kompromiss zu finden.“ Damit ging sie zunächst auf Athen zu. Vor wenigen Tagen, nach einem Gespräch mit Tsipras und dem französischen Staatspräsidenten François Hollande am Rande des EU-Gipfels in Riga, dämpfte sie die Hoffnung auf eine nahende Einigung. „Es muss sehr, sehr intensiv gearbeitet werden“, sagte sie. Zwischen den beiden Äußerungen wiederholte sie im Bundestag die von ihr ausgegebene Direktive „Scheitert der Euro, dann scheitert Europa - ich bleibe dabei“. Aber dieser Satz muss ja nicht bedeuten, dass der Euro ohne Griechenland scheitern würde.
Bekannt ist schließlich, dass die Amerikaner die Bundesregierung drängen, Zugeständnisse zu machen. Und gerade die haben nun wohl signalisiert, dass der Internationale Währungsfonds sich an künftigen Hilfsprogrammen beteiligen würde, was eine wichtige Bedingung Deutschlands ist.
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