Finanzministerin Natalija Jaresko im Gespräch
Kiew will Entscheidung im Schuldenpoker
In den nächsten Tagen soll es eine Entscheidung über einen Schuldenschnitt für die Ukraine geben. Dies fordert Finanzministerin Natalija Jaresko von den Gläubigern. Im Gespräch erläutert sie die Gründe.
Das monatelange Ringen um einen Schuldenschnitt für die Ukraine steuert auf eine Entscheidung zu. Die ukrainische Finanzministerin Jaresko hat das Konsortium der Gläubiger rund um das US-Investmenthaus Franklin Templeton zu einem Treffen nach London geladen, das Anfang kommender Woche stattfinden soll. Anlässlich eines Interviews in Kiew wollte Jaresko nicht von einem Ultimatum an die Gläubiger sprechen. Aber sie machte die Bedeutung des Treffens klar: «Bis spätestens kommende Woche muss es einen Entschluss geben.»
Einigung oder Default
Kiew und seine ausländischen Privatgläubigerverhandeln seit über vier Monaten darüber, wie der Schuldendienst des Landes in den kommenden vier Jahren um 15,3 Mrd. $ reduziert werden kann. Die Entlastung ist eine wichtige Forderung des Internationalen Währungsfonds (IMF): Die Gläubiger sollen – parallel zum laufenden IMF-Hilfsprogramm – einen Beitrag leisten, um das kriegs- und rezessionsgeplagte Land finanziell zu stabilisieren.
Grösster Streitpunkt zwischen den Parteien ist aber die Notwendigkeit eines Schuldenschnitts. Kiew möchte den Nennwert der Staatsanleihen um bis zu 40% reduzieren. Nur so lasse sich die Schuldentragfähigkeit wieder herstellen, bekräftigte Jaresko im Gespräch. Die Gläubiger hingegen lehnten einen Haircut lange ab mit dem Argument, dass «weichere» Massnahmen wie ein Strecken der Fälligkeiten genügten. Erst in den letzten Tagen haben sie die harte Haltung offenbar aufgegeben.
Die plötzliche Eile Kiews kommt eher unerwartet. Jaresko erklärte dies damit, dass es aus juristischen Gründen einige Wochen an Vorbereitungszeit brauche, wenn man einen Schuldenschnitt umsetzen wolle. Die Zeit dränge nun, weil im September wichtige Termine anstünden. So ist am 23. September eine Staatsanleihe der Ukraine über 500 Mio. $ zur Rückzahlung fällig. Zum einen könne man sich diese Tilgung nicht leisten, sagte Jaresko. Zum anderen würde man damit eine Gruppe von Gläubigern bevorzugen, was die Schuldenrestrukturierung aus dem Gleichgewicht brächte. Ferner wird der Internationale Währungsfonds im September für seine zweite Überprüfung des Hilfsprogramms und der Reformfortschritte in Kiew weilen. Bis dahin will man Klarheit schaffen.
Falls in den nächsten Tagen keine Einigung zustande kommt, könnte Kiew ein einseitiges Schuldenmoratorium verkünden. Dies würde einen Zahlungsausfall («Default») des Landes bedeuten. Jaresko wollte nicht sagen, ob man gegebenenfalls zu diesem Instrument greifen werde. Das Schuldenmoratorium gilt vor allem als Drohmittel, um die Gläubiger notfalls zum Einlenken zu bewegen. Darüber hinaus wären die Auswirkungen eines Defaults wohl beschränkt. Jaresko scheint indessen stärker auf eine Verhandlungslösung zu setzen. Sie sei hoffnungsvoll, dass es noch zu einer Einigung mit den Gläubigern komme, erklärte sie.
Kiew hat mittlerweile einen dritten Verhandlungsvorschlag an die Gläubiger gesandt. Dies zeigt laut Jaresko auch, dass man flexibel sei in der Frage, wie man die Entlastung von 15 Mrd. $ erreichen könne. Es ist demnach möglich, dass sich Kiew auch mit einem Schuldenschnitt von weniger als 40% zufriedengibt. Mit dem neuesten Vorschlag komme man vielen Bedenken der Gläubiger entgegen, gleichzeitig könnten die Vorgaben des IMF-Programms eingehalten werden, sagte die Finanzministerin. So sollen die Gläubiger etwa weniger belastet werden, wenn das Wirtschaftswachstum in der Ukraine stärker ausfällt als erwartet.
Zeichen der Stabilisierung
Jaresko will auch deshalb eine Entscheidung im Schuldenpoker, weil dies eine wichtige Voraussetzung für die Rückkehr zu Wachstum sei. «Die gegenwärtige Unsicherheit darüber, ob das Land zu tragfähigen Schulden zurückkehren kann, lastet schwer auf unserem Unternehmens- und Bankensektor. Wir müssen wieder Vertrauen herstellen.» Je länger sich das Ringen hinziehe, umso schädlicher seien die Auswirkungen auf die ukrainische Wirtschaft.
Die wirtschaftliche Lage in der Ukraine scheint sich derweil langsam zu normalisieren. In seinem jüngsten Statusbericht von dieser Woche spricht der IMF von ersten Anzeichen einer Stabilisierung. Zwar hat das Land eine scharfe, bis ins zweite Quartal dauernde Rezession hinter sich. Seit dem Ausbruch der Krise dürfte damit das Bruttoinlandprodukt (BIP) um rund ein Fünftel geschrumpft sein. Jüngste Konjunkturdaten deuten aber darauf hin, dass es jetzt wieder aufwärtsgehen könnte. Nach den IMF-Prognosen dürfte das Land 2016 zu einem realen BIP-Wachstum von 2% zurückkehren.
Der IMF lobt dabei ausdrücklich die Reformfortschritte Kiews in vielen Bereichen. Dennoch bleiben im Urteil des Währungsfonds die Risiken gross. Dies bestätigt auch Jaresko. Zwar sieht sie die Umschuldung der Ukraine als wichtigen Schritt, um dem Land zu einer wirtschaftlich besseren Zukunft zu verhelfen. Aber die Bemühungen zur Stabilisierung des Landes würden durchkreuzt, wenn der Konflikt im Osten des Landes wieder eskalierte.
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