sylbewerber bringen GeldDie Flüchtlingsindustrie
Deutschland ist für Flüchtlinge das Land der Träume. Und für viele Deutsche sind Flüchtlinge eine traumhaftes Einnahmequelle. Einblicke in ein Milliardengeschäft.
09.08.2015, von BRIGITTE KOCH UND JOHANNES PENNEKAMP
© ACTION PRESSWohnungen und Aufträge stapeln sich: An den Flüchtlingen wie hier in Berlin verdienen die Hersteller von Wohncontainern genauso wie...
Wenn das Hotel Anna jemals so gestrahlt hat wie die edel aussehende Internetseite, auf der das Hotel angepriesen wird, dann müssen diese Zeiten lange her sein. Die graue Fassade macht einen tristen Eindruck, blass weht vor dem Eingang eine Deutschlandfahne. Das Ambiente ist wenig einladend: Nebenan gibt es einen Lidl-Supermarkt, auf der Straßenseite gegenüber verkauft ein Großhändler Handyzubehör. Kann man hier im Frankfurter Stadtteil Griesheim heutzutage erfolgreich ein Zwei-Sterne-Hotel betreiben, in dem ein Doppelzimmer zu Messezeiten 139 Euro kostet (ohne Frühstück)? Besonders einfach scheint es nicht zu sein. „Es gibt ja viele Hotels direkt in Frankfurt, und wir liegen etwas außerhalb“, sagt die Frau, die sich am Telefon als Hoteldirektorin vorstellt und ihren Namen unter keinen Umständen in der Zeitung lesen will.
Autorin: Brigitte Koch, Wirtschaftskorrespondentin in Düsseldorf. Autor: Johannes Pennekamp, Redakteur in der Wirtschaft, zuständig für „Die Lounge“.
Besonders besorgt klingt die Frau dennoch nicht: Seit etwa einem Jahr muss man sich in dem Hotel über die Gästezahlen viel weniger Gedanken machen. Denn das neue Geschäftsmodell funktioniert anders. 89 Asylbewerber sind in dem Hotel derzeit untergebracht, zudem knapp 80 Menschen, die zuvor keinen festen Wohnsitz oder keine Wohnung hatten. Ein guter Teil der Zimmer ist jetzt dauerhaft belegt, die Rechnung zahlt die Stadt. Für einen Hotelier muss das ein Traum sein, selbst wenn der Preis niedriger ist als die übliche Übernachtungsgebühr. Der normale Hotelbetrieb läuft weiter, betont die Direktorin. Man habe sogar einen zusätzlichen Hausmeister eingestellt. „Bei uns ist alles sauber, alles ruhig“, sagt die Frau, die verhindern will, dass das Hotel Anna nur noch als Flüchtlingsunterkunft wahrgenommen wird.
Wie viel Geld die Stadt je Flüchtling überweist, wollen weder das Frankfurter Sozialdezernat noch die Hoteldirektorin verraten. Der Preis ist Verhandlungssache und wird nicht öffentlich gemacht. Anderswo ist man weniger schweigsam. Ein Mann, der in zwei unterfränkischen Orten 35 Asylbewerber aus Pakistan, Syrien und Iran in seinen Pensionen einquartiert hat, lässt durchblicken, dass 25 Euro je Nacht und Flüchtling in seinem Fall ein realistischer Preis sind. Bei 35 Asylbewerbern und ganzjähriger Belegung würde die Pauschale so fast 320.000 Euro im Jahr in die Kasse spülen.
Dem Pensionsbetreiber, einem bodenständig wirkenden Typ, nimmt man ab, dass ihm das Schicksal seiner bedürftigen Gäste nicht egal ist. Er macht aber auch keinen Hehl daraus, dass sich die Sache lohnt: „Natürlich haben auch finanzielle Erwägungen eine Rolle gespielt. Vorher war die Auslastung nicht so hoch wie heute.“ Auch wenn 25 Euro je Nacht eher ein vergleichsweise hoher Wert sind – auch bei einer etwas geringeren Pauschale kann sich das Geschäft lohnen.
Einnahmequelle Flüchtlinge: lange Liste an Profiteuren
Das Hotel und die Pension sind nur zwei Beispiele für Dutzende Hotels im ganzen Land, die Flüchtlinge als Einnahmequelle entdeckt haben. Etwa 5,6 Milliarden Euro kostet die Versorgung der erwarteten 450.000 Asylbewerber in diesem Jahr, schätzen die Bundesländer. Zentrale Statistiken, die zeigen, wohin das Geld fließt, existieren nicht. „Es ist völlig unübersichtlich, wofür das Geld ausgegeben wird, da wissen wir kaum etwas“, kritisiert Bernd Mesovic, der stellvertretende Geschäftsführer der Organisation Pro Asyl.
Am Beispiel einzelner Kommunen lässt sich ablesen, dass dort etwa die Hälfte des Geldes direkt an die Asylbewerber ausgezahlt wird. Die andere Hälfte wird für Unterbringung, Betreuung, Verwaltung, Arztbesuche und weitere Leistungen ausgegeben. Es geht um Milliarden, und von diesem Kuchen wollen nicht nur Hoteliers etwas abhaben: Baufirmen, Heimbetreiber, Planungsbüros, Sicherheitsfirmen, Wohlfahrtsverbände – die Liste der Profiteure ließe sich fortsetzen.
Ein Stück vom Kuchen hat sich European Homecare, der nach eigenen Angaben größte private Betreiber von Flüchtlingsheimen in Deutschland, gesichert: 90 Einrichtungen, zuletzt rund 15.000 untergebrachte Asylbewerber, lässt das Unternehmen wissen. „Wir sind der Aldi in diesem Markt“, sagt ein Sprecher. Ein Discounter also, dessen Preise günstig und dessen Leistungen nicht schlecht seien. Zumindest was die Preise angeht, gab es daran niemals Zweifel.
Durchschnittlich verlange der Heimbetreiber etwa 11 Euro je Tag und Asylbewerber, war in einem Zeitungsbericht zu lesen. Der Sprecher bestätigt diesen Niedrigpreis. Er sei vor allem möglich, weil das Unternehmen im Einkauf mit großen Stückzahlen arbeiten könne. In öffentlichen Ausschreibungen, in denen es um den niedrigsten Preis geht, ist das Gold wert. „Die Gewinnspanne ist besser als bei Aldi – aber nicht viel“, behauptet der Sprecher. Das Unternehmen hat im vergangenen Jahr nach eigenen Angaben 30 Millionen Euro Umsatz erwirtschaftet.
Es fehlt ein unabhängiges Kontrollsystem
Was die Leistungen des Betreibers angeht, gab es im vergangenen Herbst allerdings Kritik, als Bilder aus einem Flüchtlingsheim im nordrhein-westfälischen Burbach öffentlich wurden. Darauf zu sehen waren Sicherheitskräfte in Uniform, die einen gefesselten Flüchtling misshandelten. Die Männer in Uniform gehörten zu einer Sicherheitsfirma, die Heimbetreiber European Homecare engagiert hatte. Inzwischen habe Vorkehrungen getroffen, um solche Vorfälle zu verhindern, betont der Sprecher. Das Unternehmen führe eigene „Sicherheitsaudits“ durch.
So soll verhindert werden, dass ungeeignetes Personal in den Heimen sein Unwesen treibt. Sogar als Flüchtlinge getarnte Ermittler schicke man in die Unterkünfte, um potentiell brenzlige Situationen frühzeitig zu erkennen und zu entschärfen. Eine solche freiwillige Selbstkontrolle ist das eine – Fachleute vermissen jedoch eine bessere öffentliche Aufsicht für Flüchtlingsheime. „Ein unabhängiges Kontrollsystem auf der Grundlage von klaren Gesetzen fehlt “, sagt Pro-Asyl-Vertreter Mesovic.
Ist es unmoralisch, wenn Privatunternehmen mit der Not der Flüchtlinge Geld verdienen? Oder ist es das vielleicht gerade nicht – ist es gut, wenn Unternehmen mit kostengünstigen Leistungen die stark gestiegene Nachfrage der Kommunen bedienen? Fest steht, dass die Kommunen und Landkreise vielerorts händeringend nach Unterkünften suchen und den wachsenden Andrang der Asylbewerber ohnedie Privaten nicht bewältigen könnten. Beispiel Rhein-Neckar-Kreis: Eigentlich hatte man in dem einwohnerstärksten Landkreis Baden-Württembergs mit 200 Asylbewerbern im Monat gerechnet, jetzt kommen 600. „Bei dem derzeitigen Zugangsdruck ist uns die Zusammenarbeit mit Privatinitiativen lieber als eigene öffentliche Bauvorhaben“, sagt der Erste Landesbeamte Joachim Bauer. Während es zwei Jahre dauern könne, eine eigene Unterkunft auszuschreiben und zu bauen, könnten Verträge mit Hoteliers, Vermietern und Bauherren innerhalb weniger Wochen unterschrieben werden. Die Unterkünfte betreut man dann selbst.
Geschultes Personal gibt es nicht zum Mindestlohn
„Es gibt Haifische auf diesem Markt, die schnell Geld verdienen wollen und überhöhte Vorstellungen von Miet- und Kaufpreisen haben“, sagt Bauer. Das sei aber die Ausnahme. Zum allergrößten Teil habe man in Verhandlungen mit den Besitzern kleiner Gaststätten und leerstehender Gebäude sowie privaten Bauherren gute Erfahrungen gemacht. „Wir geben Steuergelder aus, wir schauen da sehr genau hin“, sagt Bauer. Wenn der Preis nicht stimme, komme man nicht ins Geschäft. Um als Flüchtlingsunterkunft genutzt werden zu können, müssen die Immobilien entsprechend umgebaut werden. Inzwischen gebe es spezialisierte Planungsbüros, die genau wissen, wie groß die Zimmer für Flüchtlinge sein und welche Standards sie erfüllen müssen.
„Bei dem niedrigen Zinsniveau lohnen sich Neu- um Umbauten für beide Seiten“, sagt Bauer. Für die Verwaltung, weil sie rasch Wohnplätze bekommt, und für die Investoren, weil sie dank der sicheren Mieteinnahmen günstige Kredite bekommen. Es muss schnell gehen. Auch wenn man es eigentlich vermeiden wollte, werden im Rhein-Neckar-Kreis jetzt auch eine Turnhalle und eine ehemalige Industriehalle zu Flüchtlingsunterkünften umfunktioniert. Eine andere Lösung sind Wohncontainer, die in relativ kurzer Zeit gemietet und bezogen werden können: Dann schlägt die Stunde von Unternehmen wie der Bolle System- und Modulbau GmbH aus dem nordrhein-westfälischen Telgte. Der familiengeführte Betrieb mit 110 Mitarbeitern bietet Wohncontainer und Modulhäuser an. Ein einfacher Container ist sechs Meter lang und drei Meter breit, passt auf einen Lastwagen und bietet Platz für zwei Flüchtlinge.
Die kostengünstigste Variante können Kommunen für etwas weniger als 200 Euro im Monat mieten. „Wir kommen bei den vielen Aufträgen kaum nach“, sagt Bolle-Prokurist Raphael Bruns. Trotz Urlaubszeit laufe der Betrieb mehrschichtig, für die Fertigung wurden neue Mitarbeiter eingestellt. Doch offenbar reicht das noch nicht. „Wie suchen händeringend Leute: Schlosser, Trockenbauer, Elektriker, Dachdecker“, sagt Bruns. Die Preise für die Container seien wegen der großen Nachfrage zwar etwas gestiegen. „Gegen den Verdacht, dass wir uns die Taschen voll machen, würde ich mich aber ganz klar wehren“, sagt der Bolle-Mitarbeiter. Weil man in kurzer Zeit große Mengen liefern müsse, seien auch die Kosten für die Produktion gestiegen.
Einerseits will niemand, dass unverhältnismäßig hohe Preise gezahlt werden. Andererseits können zu niedrige Preise genauso zum Problem werden. Die Sicherheitsbranche stört sich an der Vergabepraxis für öffentliche Aufträge, die sich vor allem am niedrigsten Preis orientiere. „Sicherheitsaufgaben in Asylbewerber- und Flüchtlingsunterkünften sind ein hochsensibler Bereich. Die dort zu erbringenden Qualitätsstandards stehen auf einer Stufe mit dem Schutz kritischer Infrastrukturen“, sagt Friedrich Kötter, Geschäftsführer der Kötter Security. Der Einsatz von angemessen qualifiziertem Personal, das pädagogisch und interkulturell geschult ist, sei zum Mindestlohn nicht zu haben, moniert Harald Olschok, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Sicherheitswirtschaft. 3000 bis 4000 private Sicherheitskräfte schützen inzwischen bundesweit Unterkünfte, schätzt der Verband. Tendenz steigend.
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Wie man es dreht und wendet: Aus der Not der einen werden die Profite der anderen. Man muss das nicht in jedem Fall gerecht finden – aber wohl akzeptieren, das der Flüchtlingsansturm anders nicht bewältigt werden kann.
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