Unterkünfte werden knappZwangsvermietungen an Flüchtlinge?
Die Möglichkeiten zur Unterbringung von Flüchtlingen werden knapp. Ein Oberbürgermeister fordert ungewöhnliche Maßnahmen: Er will leerstehende Immobilien beschlagnahmen. Doch es gibt schon Protest.
14.08.2015, von JAN HAUSER
© DPAWohin? Die Unterbringung der Flüchtlinge wird für die Städte und Gemeinden zur großen Herausforderung.
Wegen der wachsenden Zahl der Flüchtlinge sorgen sich die Städte, Gemeinden und Landkreise darum, wie sie die Asylbewerber unterbringen. Der Oberbürgermeister der niedersächsischen Stadt Salzgitter, Frank Klingebiel (CDU), schlägt für den Notfall schon die Beschlagnahmung leerstehender Wohnungen vor: Flüchtlinge sollen in seit Jahren leerstehende Mietwohnungen „unter Einschränkung des Grundrechtes auf Eigentum“ gegen „Kostenerstattung“ eingewiesen werden können. Es gehe ihm nicht um einzelne Wohnungen, sagte Klingebiel, der auch im Präsidium des Deutschen Städtetages sitzt, der F.A.Z.: „Ich denke an Investorengruppen, die sagen: Mich interessiert das nicht.“ Eine solche Zwangsbeschlagnahmung sei zwar über Ländergesetze schon jetzt möglich, aber nur, wenn „Gefahr im Verzug“ sei. „Die Unterbringung muss auch befristet gegen die Investorengruppe durchgesetzt werden können“, erläuterte er. Auch der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) hatte angeregt, leerstehenden Wohnraum zu beschlagnahmen, um Flüchtlinge darin unterzubringen.
Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann (Grüne), hatte jüngst vorgeschlagen, dass mehr Flüchtlinge dort unterkommen sollen, wo Wohnungen leer stehen, wie zum Beispiel in Ostdeutschland. Als Kriterien nennt Klingebiel einen langen Leerstand und eine hohe Leerstandsquote. Die Maßnahme könnte etwa im November oder Dezember angewandt werden, wenn Zeltstädte zu kalt werden: „Sie haben dann hier die Flüchtlinge vor der Tür.“ Er sieht eine solche Beschlagnahmung als eine von mehreren Maßnahmen.
Klingebiel sagte, er erwarte, dass Bundestag und Länderparlamente entsprechende „Gesetze zur Bewältigung einer Notlage“ rasch verabschieden, damit Kommunen schnell und flexibel auf drohende Notstandssituationen vor Ort reagieren können. Zur Flüchtlingsunterbringung sollten die gesetzlichen Vorgaben im Bau-, Vergabe- und Haushaltsrecht befristet außer Kraft gesetzt werden. Dabei geht es ihm auch darum, schneller Wohncontainer bestellen zu können, die er mit einer Ausschreibung wohl erst im kommenden Jahr erhalten würde. Es gehe ihm um mehr Spielraum und Handlungsfreiheit: „Sonst werden wir Ende des Jahres nicht mehr handlungsfähig sein.“
Mehr Asylbewerber als erwartet
Die Wohnungswirtschaft lehnt den Vorschlag ab. „Enteignungen halten wir aus Sicht unserer Unternehmen nicht für das richtige Mittel. Wir setzen auf Kooperation“, sagte eine Sprecherin des Bundesverbandes deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW). Mit der Beschlagnahmung von Immobilien greife man ins Eigentumsrecht ein. „Wir haben ganz viele Kooperationsmodelle, mit denen Flüchtlinge über die Städte in Mietwohnungen untergebracht werden“, sagte sie. „Wir sehen dieses Problem nicht.“ Ähnlich reagierte der Eigentümerverband Haus & Grund. „Wer eine leerstehende Wohnung hat, wird die auch gerne vermieten“, sagte ein Sprecher. Flüchtlinge werden in von Kommunen angemieteten Wohnungen untergebracht. In manchen Städten leitet der Verband Aufrufe der Kommune auch an Wohnungseigentümer weiter. „Überall, wo die Stadt sich bemüht, klappt das reibungslos.“
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Die Kommunen erwarten eine weitere Zunahme der Flüchtlinge. „Die höchste Priorität hat für uns, ob wir die Unterbringung schaffen oder nicht“, sagte der Präsident des baden-württembergischen Landkreistages, der Tübinger Landrat Joachim Walter (CDU), dieser Zeitung. Die Städte, Gemeinden und Landkreise errichten Zeltstädte, lassen Containerunterkünfte bauen, bringen vorübergehend Flüchtlingen in Turnhallen unter und zahlen auch Hoteliers für die Unterbringung. Tübingen richtet derzeit die Kreissporthalle für 250 Plätze ein und mietet mehrere Stockwerke eines Hochhauses für weitere 250 Plätze an. „Und trotzdem reicht es nur so, dass wir Monat für Monat schauen müssen“, sagte Walter.
Er erwartet, dass dieses Jahr mehr Asylbewerber nach Deutschland kommen als erwartet. „Die Zahlen sind enorm angestiegen.“. Allein im vergangenen Monat sind zehntausend Flüchtlinge zusätzlich in Baden-Württemberg eingetroffen. Daher rechnet er allein für das Bundesland nun mit 75.000 bis 80 000 Asylbewerbern im Gesamtjahr. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hatte für das Bundesland zunächst 26 000 Flüchtlinge vorhergesehen und die Anzahl dann verdoppelt. Nach Walters Erwartung wäre es nun tatsächlich eine Verdreifachung im Vergleich zur ersten Einschätzung für dieses Jahr. Für Deutschland würde das mehr als 600.000 Flüchtlinge bedeuten. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hatte seine Prognose im Mai von 300.000 auf 450.000 Asylbewerber erhöht.
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Für besonderen Zorn in Salzgitter sorgte, dass das niedersächsische Innenministerium vor einer Woche zusätzlich 3000 Asylbewerber auf die Städte und Gemeinden verteilte und sich nicht mit den kommunalen Spitzenverbänden abstimmte, wie Oberbürgermeister Klingebiel anführt. „Die Kommunen werden von den Entscheidungsträgern in Landes- und Bundespolitik ziemlich allein gelassen“, sagte er. „So droht bis Ende des Jahres ein Kollaps des bislang noch einigermaßen funktionierenden Systems der Flüchtlingsunterbringung und -betreuung in den Kommunen und ein Stimmungswandel in der Bevölkerung.“
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