In einem aufsehenerregenden Aufsatz warnt der US-Politologe Paul D. Miller vor einem dritten Weltkrieg. Der frühere Berater der Präsidenten Bush und Obama sagt, eine russische Invasion im Baltikum könnte der Anlass sein.
Vor vier Jahren sagte Paul D. Miller die russische Intervention in der Ukrainevoraus. Nun blickt der amerikanische Politikwissenschaftler von der University of Texas wieder in die Glaskugel. In einem Aufsatz im Magazin "Foreign Policy" kündigt Miller eine Besetzung Lettlands durch das russische Militär an. "Putins nächster Schritt ist gefährlicher als die vorherigen. Denn er wird wahrscheinlich in die baltischen Staaten einfallen - und die sind Nato-Mitglieder”, schreibt der frühere Berater von George W. Bush und Barack Obama.
Die Folge könnte laut Miller dramatisch sein: der dritte Weltkrieg.

Russlands Ziel: Nato zerbrechen

Wie begründet Miller seine beunruhigende Vorhersage? Zunächst stellt er fest, dass Wladimir Putin im Moment das günstigste internationale Umfeld seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs vorfindet, um die russische Expansion weiterzuführen. Die europäische Einheit ist brüchig.
Der künftige US-Präsident Donald Trump hatte im Wahlkampf den Wert des Sicherheitspakts in Frage gestellt. Zudem scheint Trump offen mit Russland zu sympathisieren und bereit zu sein, dessen "unverantwortliches Verhalten" zu entschuldigen, so Miller.
Der Politologe behauptet, dass Putin - durch die Brille des russisch geprägten religiösen Nationalismus - die Nato als feindlichen Agenten eines "degenerierten Westens" und als "Haupthindernis für russische Machtbestrebungen" ansieht. Sein Ziel sei es daher, das Militärbündnis zu zerbrechen, indem er "Artikel 5 der gegenseitigen Sicherheitsgarantien bedeutungslos macht", schreibt Miller weiter.
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Tillerson wird US-Außenminister
Der künftige Präsident Trump bestätigt die Personalentscheidung.

Angriff "äußerst unwahrscheinlich"

Die Länder des Baltikums, die 2004 der Nato beitraten und in denen große russische Minderheiten leben, sind aufgrund der Politik des großen Nachbarn beunruhigt. Russland erhebt einen historischen Anspruch auf die Vormachtstellung in seinen direkten Nachbarländern, von denen viele früher Teil der Sowjetunion waren. So sind auch die Invasionen in Georgien 2008, die Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim 2014 und die Unterstützung russischer Separatisten in der Ostukraine zu erklären. Beiden Ländern war zum Ärger Moskaus eine Nato-Mitgliedschaft in Aussicht gestellt worden.
Nach Ende des Kalten Krieges und der Auflösung des östlichen Militärbündnisses Warschauer Pakt galt die Nato-Osterweiterung ursprünglich als ausgeschlossen. Heute ist sie trotz früherer Warnungen – auch von namhaften US-Politikern wie Ex-Verteidigungsminister Robert McNamara – längst Realität.
Die These eines möglichen russischen Einmarschs ins Baltikum ist allerdings umstritten. "Ich halte kein Szenario für völlig ausgeschlossen, aber ein Angriff Russlands auf einen Nato-Staat ist doch äußerst unwahrscheinlich", sagte Dr. Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik kürzlich im Gespräch mit unserer Redaktion. Moskau wolle keinen Nato-Bündnisfall riskieren.
Nichtsdestotrotz werden aufgrund der Bitten Estlands, Lettlands und Litauens ab Februar 2017 rund 4.000 Nato-Soldaten im Baltikum und in Polen stationiert, darunter ein Bataillon unter deutscher Führung. Dem stehen schätzungsweise 300.000 russische Soldaten an der Nato-Ostgrenze gegenüber. "Die Allianz konzentriert ihre Kräfte darauf, eine nicht existierende Gefahr aus dem Osten einzudämmen", hieß es aus dem Moskauer Außenministerium, nachdem die Pläne zur Nato-Aufrüstung veröffentlicht wurden. Moskau warf der Nato eine "Dämonisierung" Russlands vor.
Der russische Ministerpräsident Dmitri Medwedew sprach nach den neuen Spannungen mit dem Westen sogar von einem "neuen Kalten Krieg".
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Er ist Putins Favorit
Wieso Russland auf Tillerson als neuen US-Außenminister hofft.

Riskiert Trump einen dritten Weltkrieg?

Wie könnte es nun im Baltikum weitergehen? In dem Szenario, das Miller entwirft, kommt es nicht zu einem direkten Angriff auf Lettland. Es würden keine großen Formationen uniformierter russischer Soldaten in das 2-Millionen-Einwohner-Land einfallen, weil selbst die zaghaftesten Nato-Mitglieder eine offene Invasion nicht ignorieren könnten. Stattdessen könnte Putin wie in der Ukraine einen Aufstand unter der russischstämmigen Bevölkerung anzetteln, die für ihre Rechte demonstrieren, Verfolgungen beklagen und "internationalen Schutz" fordern. Schutz durch: Russland. "Eine merkwürdig gut ausgerüstete `Volksfront für die Befreiung des russischen Baltikums` wird auftauchen. Ein paar Attentate und Bombenangriffe bringen das Baltikum an den Rand des Bürgerkriegs", sagt Miller voraus. Nach seiner Prognose in den kommenden zwei Jahren.
Während Polen sich bis an die Zähne bewaffnen und den Bündnisfall ausrufen würde, würden sich Deutschland und Frankreich dem widersetzen. Und: Alle Augen wären auf die USA gerichtet. Auf Donald Trump. Putin hätte sein Ziel, einen zersplitterten Westen und ein offenes Feld in Europa, erreicht. "Und dann wird sich Trump entscheiden müssen", schlussfolgert Paul D. Miller, "ob die Verteidigung von Lettland es wert ist, einen dritten Weltkrieg zu riskieren."
Ein neues Jahrzehnt der Aufrüstung beginnt
Schlechte Nachrichten für Pazifisten: Die Ausgaben für das Militär steigen weltweit wieder an. Zwar bremst der niedrigere Öl-Preis die russischen und arabischen Aufrüstungswünsche ein wenig. Doch dafür geben Staaten wie China, Indien umso mehr aus.