Echte Freunde, so heißt es, erkennt man in der Not. So gesehen könnte sich Igor Setschin als einer letzten Verbündeten von Venezuelas Präsident Nicolás Maduro bezeichnen. Seit Monaten schon wird das Land von gewalttätigen Ausschreitungen erschüttert, während in den Läden bereits Alltagsgüter wie Klopapier knapp werden. Erst kürzlich drohte US-Präsident Donald Trump dem Regime in Caracas mit einer "militärischen Option", sollte die Lage eskalieren. Analysten hingegen rätseln, wie lange sich das Land finanziell noch über Wasser halten kann.
Für Setschin, Russlands mächtigsten Ölmanager und Chef des Staatskonzerns Rosneft, ist das alles kein Grund zur Aufregung. "Momentan fördern wir in Venezuela neun Millionen Tonnen Öl pro Jahr. Wir werden dort nie weggehen und niemand wird uns von dort vertreiben können", sagte er kürzlich.
Das sind keine bloßen Lippenbekenntnisse. Denn Russlands Staatskonzern hält nicht nur Minderheitenanteile an fünf Förderprojekten des venezolanischen Ölmonopolisten PDVSA. Er greift Maduro auch finanziell unter die Arme. Schon ein Blick in die frische Halbjahresbilanz von Rosneft zeigt, dass das Unternehmen erst vor wenigen Monaten dem klammen Land mit etwa 900 Millionen Euro ausgeholfen hat. Das Geld gilt als Vorauszahlung für künftige Öllieferungen von PDVSA an Rosneft.
Mittel, die der Pleitestaat dringend benötigt. Im vergangenen Jahr beliefen sich solche Geschäfte auf 1,35 Milliarden Euro. Insgesamt hat Rosneft in den vergangen Jahren gut fünf Milliarden Euro nach Caracas überwiesen. Selbst für einen russischen Ölriesen, dessen Umsatz im vergangenen Jahr etwa 68 Milliarden Euro betrug, ist das kein Geld aus der Kaffeekasse. Im ersten Halbjahr betrug der Reingewinn des Unternehmens gerade einmal 1,4 Milliarden Euro.   

Rosneft soll ein Global Player werden

Die Großzügigkeit der Russen wirft Fragen auf. Der Verdacht: Russland wolle die Gunst der Stunde nutzen, um an die riesigen Ölreserven des Landes zu kommen. Medienberichten zufolge stecke Rosneft derzeit in Verhandlungen über Beteiligungen an neun Förderprojekten in Venezuela. Zwar gab es dazu keine Bestätigung von russischer Seite. Überraschend wäre das aber nicht. Noch vor zwei Jahren hatte Rosneft erklärt, bis zu zwölf Milliarden Euro in die venezolanische Ölbranche investieren zu wollen.
Russische Experten sehen dagegen vor allem politische Interessen der Regierung als Antrieb für Rosnefts Hilfsbereitschaft. "Rosneft bezahlt Öllieferungen im Voraus, dabei hat der Konzern nicht nur die größten Förderkapazitäten weltweit", meint etwa Wladimir Milow, einst Vize-Energieminister des Landes und heute Chef des Moskauer Instituts für Energiepolitik. "Sollte der Konzern tatsächlich zusätzliches Öl benötigen, könnte er dies auf dem Weltmarkt kaufen, ohne solche Zugeständnisse machen zu müssen." Tatsächlich gehe es bei den Vorauszahlungen darum, das Regime von Maduro zu stützen, ohne dem Staat oder staatlichen Banken toxische Aktiva aufzubürden.
In Wirklichkeit sind beide Erklärungen Teil der Wahrheit. Denn in Venezuela treffen sich die Interessen von Igor Setschin mit jenen von Präsident Wladimir Putin. Setschin arbeitet seit Jahren daran, den von ihm geleiteten Konzern Rosneft zum Global Player zu machen. So wollen die Russen in den kommenden Tagen eine zwölf Milliarden Euro schwere Übernahme des indischen Ölverarbeiters Essar eintüten. Vor wenigen Monaten hatte Rosneft durch einen Anteiletausch mit BP etwa zwölf Prozent der deutschen Ölverarbeitungskapazitäten unter seine Kontrolle gebracht.
Wladimir Putin seinerseits braucht Verbündete, die Russlands Rolle als wichtige Ordnungsmacht der Welt akzeptieren. So setzte Putin noch zu Zeiten des verstorbenen Hugo Chavez auf enge Beziehungen zu Caracas. Venezuela war etwa eines der wenigen Länder weltweit, das 2009 Abchasien und Südossetien, zwei von Russland besetzte Teile Georgiens, als unabhängige Staaten anerkannt hat. Damals reiste Igor Setschin noch als Putins Vizepremier nach Caracas, um bei Chávez dafür zu werben. 

Chávez-Lobhudelei

Seitdem ranken sich Legenden um seine Freundschaft zu Maduros Vorgänger. Im vergangenen Jahr traf sich Setschin mit der Familie von Chávez und eröffnete ein sechs Meter hohes, von Russland gespendetes Denkmal für den verstorbenen Präsidenten in seiner Heimatstadt. "Commandante Chávez", so Setschin, sei zum Symbol des Freiheitskampfes geworden. Im Juli dann lobte Putin Chávez' Nachfolger Nicolás Maduro während eines Telefonats für den Mut, mit dem er sein Land regiere.
Ob sich diese Lobhudelei politisch und wirtschaftlich für Russland auszahlt, bleibt allerdings mehr als fraglich. Insbesondere im ökonomischen Bereich zeigen sich bereits die ersten Risse. So musste Venezuela im Frühjahr Verzögerungen bei der Erfüllung der Lieferverbindlichkeiten einräumen, die das Land gegenüber Rosneft, aber auch gegenüber chinesischen Energiekonzernen eingegangen ist. Im vergangenen Jahr hatte Rosneft eine Vorauszahlung in Höhe von 500 Millionen Dollar in 23 Prozent der Anteile an der PDVSA-Tochter Petromongas umwandeln lassen. 

Wie einst die sowjetische Bruderhilfe

Ein Deal, der im venezolanischen Parlament, das von der Opposition beherrscht wird, für Proteste sorgte. Der Schluss liegt nahe, dass die heutige Opposition nach einem möglichen Machtwechsel in Caracas alles daran setzen wird, um die Anteile zurückzufordern. Erschwerend kommt hinzu, dass ausländische Investoren nach venezolanischem Recht maximal 40 Prozent Anteile an Förderprojekten haben dürfen, sodass Rosneft immer in der Rolle des Juniorpartners bleiben wird.
Auch bei einem zweiten Deal, bei dem Rosneft fällige Kredite und Vorauszahlungen in Anteile umwandeln könnte, droht dem russischen Konzern Ungemach. So hatte Venezuela einen 49-prozentigen Anteil an seiner US-Tochter Citgo für einen Rosneft-Darlehen in Höhe von 1,3 Milliarden Euro verbürgt. Ob Rosneft diese Anteile im Falle einer Pleite Venezuelas bekommt, ist allerdings ungewiss. Schließlich fordert derzeit der kanadische Goldförderer Crystallex die Pfändung dieser Anteile. Chávez hatte einst die Minen der Kanadier in Venezuela verstaatlicht.
So könnte Moskaus Festhalten an Maduros Regime am Ende zu einem teuren Spiel werden, ganz nach dem Vorbild der sowjetischen Bruderhilfe aus den Zeiten des Kalten Krieges. Erst vor drei Jahren hatte Russland  Schulden Kubas in Höhe von 31 Milliarden Dollar abschreiben müssen. Eine Hoffnung auf Tilgung gab es ohnehin nicht mehr.