AIA-Abkommen paraphiert
Schweiz und EU-Staaten tauschen Daten
Die Schweiz und die EU haben ein Abkommen über den automatischen Informationsaustausch in Steuersachen paraphiert. Formelle Gegengeschäfte sind damit nicht verbunden.
Der Schweizer Paradigmawechsel vom Bankgeheimnis und der Quellensteuer zum automatischen Informationsaustausch (AIA) hat eine weitere wichtige Etappe hinter sich: Am Donnerstag paraphierten der Schweizer Staatssekretär Jacques de Watteville und der EU-Generaldirektor für Steuerfragen, Heinz Zourek, in Brüssel ein Abkommen zur Einführung des globalen Standards für den AIA in Steuersachen. Damit sind die bilateralen Verhandlungen in dieser Sache abgeschlossen. Die Schweiz und die 28 EU-Staaten beabsichtigen, ab 2017 Kontodaten zu erheben und diese ab 2018 auszutauschen. Dabei geht es um Konten von Kunden, die in einem der anderen beteiligten Staaten steuerpflichtig sind. Ziel ist die Bekämpfung der Steuerhinterziehung: Die Daten sollen es den Steuerbehörden ermöglichen, auch im Ausland angelegte Gelder ihrer Steuerzahler bzw. deren Erträge korrekt zu besteuern.
Ersatz für Zinsbesteuerung
Das bilaterale AIA-Abkommen ersetzt de facto das seit 2005 geltendeZinsbesteuerungsabkommen mit der EU; formell ist es ein Änderungsprotokoll zu Letzterem. Die Unterzeichnung soll noch vor der Sommerpause erfolgen, wozu die Zustimmung der EU-Staaten nötig ist. In der Schweiz wird das Abkommen danach dem Parlament vorgelegt; zudem unterliegt es dem fakultativen Referendum. Laut einer ergänzenden gemeinsamen Erklärung streben die beiden Parteien eine Inkraftsetzung per 1. Januar 2017 an. Inhaltlich enthält das Abkommen keine Überraschungen, vielmehr wird der von der OECD entwickelte globale AIA-Standard vollständig übernommen. Der bei der Paraphierung anwesende EU-Steuerkommissar Pierre Moscovici sprach von einem «historischen Abkommen». In der Tat hat die EU während vieler Jahre versucht, den AIA unter allen Mitgliedstaaten und mit wichtigen Drittstaaten einzuführen. Am Ende war der Paradigmawechsel aber vor allem dem Druck der Vereinigten Staaten zuzuschreiben. Bern hat der Einführung des Standards letzten Herbst auf internationaler Ebene zugesagt.
Was erhält die Schweiz, abgesehen von Daten über Konten von Schweizern in EU-Staaten, als Gegenleistung? Immerhin hat der Bundesrat noch im letzten Oktober festgehalten, in den AIA-Verhandlungen Fragen der Vergangenheits-Regularisierung und des Marktzutritts für Finanzdienstleistungen anzusprechen. Doch weil der AIA zum internationalen Standard geworden ist und die Schweiz daran mitgearbeitet sowie dessen Übernahme zugesagt hat, konnte Bern mit Brüssel keine formellen Gegengeschäfte mehr machen.
Man könne die Umsetzung eines internationalen Standards nicht an Bedingungen knüpfen, sagte de Watteville am Donnerstag. Vor zehn Jahren wäre dies anders gewesen. Es gebe aber ein gemeinsames Interesse, den gegenseitigen Marktzugang zu verbessern. Er hob hervor, dass er am Mittwoch exploratorische Gespräche mit dem zuständigen EU-Generaldirektor, Jonathan Faull, über die Machbarkeit und die Wünschbarkeit eines Finanzdienstleistungsabkommens aufgenommen habe. Ähnlich äusserte sich Zourek: Die Logik, «für das Bankgeheimnis etwas zu erhalten», sei heute kein Thema mehr. Wichtig seien heute beste wirtschaftliche Beziehungen auch im Bereich Finanzdienstleistungen. Zudem hat die Schweiz Fragen des Marktzugangs, soweit es um nationale Kompetenzen geht, auf bilateraler Ebene mit Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich und Grossbritannien angesprochen.
Ob man nach den exploratorischen Gesprächen zwischen Bern und Brüssel tatsächlich auf Verhandlungen über ein Finanzdienstleistungsabkommen eintreten will, ist auf beiden Seiten offen. Die EU hat stets bekundet, dass sie vor einer Lösung der institutionellen Fragen und der Personenfreizügigkeit keine neuen Abkommen über den Zugang zu Teilen des Binnenmarkts abschliessen wolle. Zu klären sind sodann spezifische Fragen, darunter die Vereinbarkeit eines auf Finanzdienstleistungen statt auf alle Dienstleistungen beschränkten Abkommens mit den Regeln der Welthandelsorganisation oder der Umgang mit möglicherweise nicht EU-konformen Schweizer Regelungen wie die Staatsgarantien für die Kantonalbanken und das Gebäudeversicherungsmonopol.
Lösungen für Regularisierung
Die Kompetenzen zur Regularisierung von undeklarierten Geldern von EU-Bürgern auf Schweizer Konten wiederum liegen auf nationaler Ebene. Die Kommission habe aber den Mitgliedstaaten immer erklärt, dass geordnete Verfahren hierfür in ihrem eigenen Interesse seien, sagte Zourek. Verschiedene EU-Staaten haben unterschiedliche Regularisierungsprogramme lanciert oder forciert, darunter zum Beispiel die straflose Selbstanzeige in Deutschland. Nach der im Februar erzielten Einigung in Steuerfragen mit Italien könne die Vergangenheits-Regularisierung mit den Nachbarstaaten und den wichtigsten EU-Staaten als «weitgehend gelöst betrachtet werden», hält die Schweizer Medienmitteilung fest.
Wieder in Kontakt mit Athen
Ht. ⋅ Dank dem AIA-Abkommen der Schweiz mit der EU wird auch der griechische Staat, der derzeit besonders dringend auf Steuereinnahmen angewiesen ist, ab 2018 Daten erhalten. Zudem sei man in Kontakt mit den griechischen Behörden, um zu sehen, wie man die Regularisierung von in der Schweiz deponierten Geldern erleichtern könnte, sagte der Schweizer Staatssekretär de Watteville am Donnerstag in Brüssel. Diese Frage wurde zwischen den beiden Staaten bereits wiederholt angesprochen, zuletzt im Februar 2014 bei einem Besuch von Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf in Athen, doch hat die damalige griechische Regierung die Sache danach nicht weiterverfolgt.
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