Wer Zins nimmt, wird getötet
Deutschland bekommt eine "Scharia-Bank". Zinsgeschäfte sind ihr nach dem Koran verboten. Ähnliches galt bis vor Kurzem auch für Christen
Die Chefs der neuen Bank werden in ihren Sitzungen die Worte wägen müssen. Zinsen auf Kredite zu kassieren, das gehört für die rund zweitausend Kreditinstitute in Deutschland zum täglichen Geschäft, Zins ist ihr Lebenselixier. In der Bank "Kuveyt Türk" aber, die in Kürze gegründet werden wird, sollte niemand über so etwas auch nur laut nachdenken. Sonst könnte es sein, dass er von Kollegen mit strengem Blick auf einen Rechtskommentar aufmerksam gemacht wird. Der bedeutende Gelehrte Ibn Abi Said al-Kajrawani aus Tunesien hat ihn im 10. Jahrhundert verfasst, mit Bezug auf den Koran, gültig bis zum heutigen Tag. Dort heißt es: Wer den Zins "für erlaubt erklären will, ist nach allgemeiner Überzeugung ungläubig; er wird zur Reue aufgefordert". Dann wird es ernst: "Wenn er bereut, lebt er unbehelligt weiter, wenn nicht, wird er getötet."
Mit Kuveyt Türk aus Istanbul hat zum ersten Mal eine "Scharia-Bank" – ein Institut, das sein Geschäft auf muslimisches Rechtsverständnis gründet – von der Finanzaufsicht die Betriebsgenehmigung für Deutschland erhalten. Auch wenn es bei Verstößen voraussichtlich zu keinen Steinigungen kommen wird, den Verzicht auf Zinsen wird man ernst nehmen, der Koran lässt keine andere Wahl, zum Beispiel in Sure 3, Vers 130: "Ihr Gläubigen! Nehmt nicht Zins".
Die Neugründung von Kuveyt Türk dürfte von einer Debatte über eine Vielzahl von Ausweichmöglichkeiten begleitet werden, die es auch "Scharia-Banken" erlauben, trotz Zinsverbotes bei ihren Kreditnehmern ausreichend abzukassieren, mit Allahs Wohlwollen. Nicht vergessen sollte man dabei allerdings, dass neben dem Koran auch andere heilige Schriften wie die Bibel den Zins ablehnen. Auch darüber hinaus war die Ächtung des Wuchers dem Abendland in die Wiege gelegt, lange bevor die erste Münze geprägt wurde. Erst 1983 strichen die katholischen Kirchenoberen die Passage wider den Wucher aus ihrem Rechtsbuch "Codex Iuris Canonici". Bis Papst Papst Pius VIII. es 1830 aufhob, galt sogar das absolute Zinsverbot des Konzils von Nicäa im Jahr 325, erneuert in Rom 1139 und 1179. Zunächst galt es nur für Kleriker, später auch für Laien.
Die einschlägigen Beschränkungen sind Zeichen dafür, dass Zinsen bereits früh bezahlt und auch diskutiert wurden. Vor 4000 Jahren legte der Sumerer-König Hammurabi I. in seinem Kodex fest, dass die Zinsen für Silberkredite 20 und für Gerstenkredite 33,3 Prozent nicht überschreiten dürften. Der Kreditbedarf war stark, betrieben mesopotamische Kaufleute doch damals schon Handel bis nachÄgypten und Äthiopien. Dennoch wurde mancher Gelehrte in der Antike bereits zunehmend kritisch gegenüber dem Zins, den man gern mit Wucher gleichsetzte. Gestützt durch die Etymologie: Wuchern steht für Wachsen. Geld wächst aus sich heraus, nur durch Zins, das erschien vielen als asozial.
"Zinsnehmen ist die naturwidrigste Erwerbsart", befand denn auch Aristoteles (384–322 v. Chr.), in dessen Zeit etwa die ersten Silbermünzen aufkamen. Dabei war der Zins im alten Griechenland gegenüber Mesopotamien bereits stark gesunken, im Durchschnitt auf etwa sechs Prozent. Doch Zinsen wurden zunehmend verpönt. Der Vergleich des Bischofs Gregor von Nyssa (334–394 n. Chr.) etwa, der die Einnahme von Zinsen, durch die man "das in Besitz nimmt, was einem nicht gehört", auf eine Stufe stellte mit dem gemeinen Einbruch, sind auffallend nahe an den späteren Worten von Mackie Messer aus Brechts Dreigroschenoper: "Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?"
Bischof Gregor konnte sich dabei bereits auf die Bibel berufen. Im zweiten Buch Mose heißt es: "Falls du einem aus meinem Volk, dem Elenden bei dir, Geld leihst, dann sei gegen ihn nicht wie ein Gläubiger, ihr sollt ihm keinen Zins auferlegen", gestützt durch das fünfte Buch: "Du sollst deinem Bruder keinen Zins auferlegen." Allerdings ist an dieser Stelle auch eine Einschränkung zu lesen: "Dem Fremden magst du Zins auferlegen, aber deinem Bruder nicht" – ein Zusatz, der für den Dortmunder Theologen Thomas Ruster sehr bedeutsam ist: Das Zinsverbot habe nur für Israel gegolten, war nicht als universales Recht gedacht. "Hätten in Israel auch Nicht-Israeliten zinsfreie Kredite bekommen, wäre der israelische Kapitalmarkt binnen Kurzem zusammengebrochen, weil alle Nachbarvölker gekommen wären und sich zinslose Kredite abgeholt hätten", meinte Ruster kürzlich in einem Feature des Deutschlandradios. Schließlich waren jene handelsfreudigen Nachbarvölker zu biblischen Zeiten selbst noch keinen Verdikten aus dem Koran unterworfen.
Das bald aufkommende Mittelalter, der Zusammenbruch der einst florierenden Wirtschaft des Römischen Reiches und eines großen Teils des Fernhandels – all das hat den Kreditbedarf des Abendlandes für Jahrhunderte stark sinken lassen. Darin lag sicher ein Grund dafür, dass sich ein absolutes Verbot des Zinses im Recht der schnell anwachsenden christlichen Kirche nun leicht festsetzen konnte. Es hatte bald auch fatale gesellschaftliche Auswirkungen. Die Juden waren es, die einerseits aus den bürgerlichen Berufszweigen herausgedrängt wurden, und andererseits, vor allem in der beginnenden Neuzeit, beim wieder deutlich anziehenden Kreditbedarf aufgefordert wurden, die Geldgeschäfte mit Zinsen zu übernehmen. Nur damit die Seelen der Christen nicht durch Wuchergeschäfte in Gefahr gerieten – eine Bigotterie. Schnell war man da beim Bild des raffgierigen Juden, eine Schmähung, an der sich auch der heute so verehrte Zeitgenossen Martin Luther beteiligte.
Andererseits waren es gerade Reformatoren, die nun Bewegung in das Zins-Thema brachten. Nicht Luther, für den Zinsnehmer "Diebe, Räuber und Mörder" blieben, zu dessen Arbeitsethik ein selbst arbeitendes Geld so gar nicht passte. Aber für einige seiner Mitstreiter, vor allem aus der Schweiz. Johann Calvin erkannte, ohne Zins sei kein gewinnträchtiger Handel möglich, und Ulrich Zwingli regte an, der Staat solle die angemessene Zinshöhe festlegen. Reformierte eidgenössische Städte wie Zürich und Genf avancierten bald zu neuen Bankzentren, während alte Bischofsstädte wie Chur an Bedeutung verloren.
Die beschauliche Zeit des Mittelalters, in dem die Wirtschaft fast nur auf dem Handwerk basierte, in dem Großprojekte wie die Kathedralen der Hochgotik von reichen Orden oder anderen christlichen Quellen ohne Kredite finanziert wurden, war im 16. Jahrhundert beendet. Die mit den Entdeckungs- und Eroberungsfahrten einsetzende Globalisierung brachte enormen Kapitalbedarf. In den protestantischen Niederlanden entstanden die ersten Aktiengesellschaften. Große Pleiten einiger Geldhäuser mit internationalen Kettenreaktionen zeigten die Risiken des Geldverleihens auf, ein geforderter Nulltarif dafür wurde immer absurder. Die biblischen Verdikte galten Zug um Zug nur noch für christliche Einrichtungen mit fürsorglichen Ansprüchen.
Versuche einer Wirtschaft ohne Zins gab es immer wieder. Auch in der DDR, wo ihn Ulbricht in den 60er-Jahren freilich wieder einführte. An der Universität St. Gallen spielten Forscher lange Jahrzehnte immer wieder eine zinslose Gesellschaft durch. Doch das Risiko des Totalverlustes des verliehenen Geldes, die Inflation und – gesamtwirtschaftlich gedacht – die Lenkungsfunktion des Zinses, der dafür sorgt, dass der das Geld erhält, der am profitabelsten mit ihm umgeht, all dies macht einen Preis für geliehenes Geld bislang unentbehrlich.
Und so wird auch Kuveyt Türk Ersatzlösungen finden. Sei es durch Bankgebühren, durch Übereignung des Haues beim Immobilienkredit und späteren – teureren – Weiterverkauf an den Nutzer, durch (erlaubte) Gewinnbeteiligung statt Festzins. Und so weiter. Die Möglichkeiten, formal auf Zinsen zu verzichten und dennoch auf seine Kosten zu kommen, sind unbegrenzt. Auch das hat die lange Geschichte des Zinses gezeigt.
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