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Dienstag, 31. März 2015

Es hat sich doch zum Geschäftsmodell entwickelt, nicht wettbewerbsfähige, überschuldete, gescheiterte Unternehmen per Anleihe-Emission am Leben zu erhalten - in vielen Fällen mit "eingeplanter" Restrukturierung der Schulden und vorheriger Bilanzkosmetik. Das ist eine direkte Folge der laschen Gesetzgebung und Rechtsprechung, oder besser gesagt der gewagten Rechtsfortschreibung durch die Gerichtsbarkeit.

voneinem Freund von mir....passt auch gut  zu der "Geschäftsmodell"-Diskussion von Dr. Felke /Görg)


Hallo Rolf,
 
interessanter Artikel über den klassischen Konflikt zwischen Individualinteressen und den "Gemeinschaftsinteressen" (Schuldner/Gläubiger). Diese Sichtweise kann man so teilen, muss es aber nicht zwingend.
Ich teile sie nur sehr bedingt, das Thema wurde ja im Bondboard auch schon hoch- und runterdiskutiert.
 
Die Frage ist welchen Sinn ein Kündigungsrecht (vertraglich oder gesetzlich) hat, das unter Vorbehalt steht, und zwar unter dem Vorbehalt des Abstimm-Ergebnisses einer zukünftigen GV?
Entweder die Bedingungen für eine Kündigung sind gegeben oder eben nicht. Insofern bin ich der Ansicht, daß das Vertragsverhältnis endgültig aufgelöst ist wenn die Kündigung rechtswirksam erfolgt ist. Das heißt Beschlüsse auf GV´s sind für den Kündiger dann nicht mehr bindend. Wo kämen wir denn hin wenn das individuelle Kündigungsrecht derart ausgehöhlt würde.
 
Ich frage mich ob der unter Vorbehalt Kündigende dann auch ein Stimmrecht auf den GV´s hat? Eigentlich müßte er es haben, denn trotz Kündigung wird er ja zum "Kollektiv" gezählt.
Daran sieht man schon warum diese Deutung des Kündigungsrechts in den Wald führen muss.
Welchen Sinn machen dann Kündigungsklauseln in Anleihebedingungen? Die kann man dann gleich streichen.
 
De facto ist es ja in der Praxis so, daß das SchVG 2009 zu mehr Rechtsunsicherheit geführt hat. Die Novellierung war gut gemeint, aber leider viel zu kurz gesprungen. Man hat nämlich den Mißbrauch von Anleihe-Restrukturierungen nicht hinreichend berücksichtigt.
 
Es hat sich doch zum Geschäftsmodell entwickelt, nicht wettbewerbsfähige, überschuldete, gescheiterte Unternehmen per Anleihe-Emission am Leben zu erhalten - in vielen Fällen mit "eingeplanter" Restrukturierung der Schulden und vorheriger Bilanzkosmetik. Das ist eine direkte Folge der laschen Gesetzgebung und Rechtsprechung, oder besser gesagt der gewagten Rechtsfortschreibung durch die Gerichtsbarkeit.
In vielen Fällen kommt das nötige Quorum zur Abstimmung erst in der 2. GV zustande - was dann de facto dazu führen kann, daß eine Minderheit ein Ergebnis durchsetzen kann, welches nicht dem Mehrheitswillen der Anleihegläubiger entspricht.
Das heißt, daß eine Minderheit über das Kündigungsrecht des einzelnen Bondholders entscheiden würde.
Das qualifizierte Mehrheitsprinzip gilt für GV´s nur sehr eingeschränkt und kann im Vorfeld durch geschicktes Taktieren des Schuldners und seiner Berater-Entourage beeinflußt werden - indem man nämlich gezielt auf eine 2. GV hinarbeitet, mit den dann geltenden niedrigen Quoren-Hürden.
Nicht jeder Anleihegläubiger liest täglich die Adhoc-Meldungen oder die Veröffentlichungen im Bundesanzeiger - warum auch?
 
Im Gegensatz zu den Anleiheschuldnern sind die Anleihegläubiger aufgrund der teilweise starken Fragmentierung durch Emission / Börsenhandel etc. zwangsläufig schlecht oder gar nicht organisiert. Das führt regelmäßig zu erheblichen Informationsdefiziten und erschwert die zeitnahe gebündelte Interessenwahrnehmung in Restrukturierungsprozessen.
Wir haben hier eine erhebliche Asymetrie hinsichtlich der rechtlichen Durchsetzungsmöglichkeiten der Schuldner- und Gläubigerinteressen. Der einzelne Anleihegläubiger ist in der Regel relativ machtlos - gerade auch dann wenn die Restrukturierung erst durch zweifelhafte oder betrügerische Handlungen des Schuldners erforderlich wurde.
 
Daß das Kündigungsrecht mit dem SchVG 2009 kollidiert liegt einzig und allein am verkorksten SchVG. Da hat man das Kind mit dem Bade ausgeschüttet und manches verschlimmbessert.
Natürlich muss Schuldnern die Möglichkeit eingeräumt werden, ihre Schulden im Sinne der Fortführung des Unternehmens zu restrukturieren - aber bitteschön nicht durch eine de-facto Abschaffung des Kündigungsrechts.
Die Fehlentwicklungen am Anleihemarkt sind u.a. dadurch erwachsen, daß man Unternehmen die Entschuldung über Restrukturierungen zu leicht gemacht hat. Die haben kein Risiko mehr und das ist auch aus volkswirtschaftlicher Sicht grob fahrlässig.
 
Schuldrechtliche Verträge müssen meiner Meinung nach zwingend auch ein wirksames Kündigungsrecht beinhalten - alles andere führt in den Wald.
 
Daß der BGH die "kollektive Bindungspflicht" des einzelnen Anleihegläubigers auch nach Vertrags-/Laufzeitende einer Schuldverschreibung noch als gegeben ansieht ist ein ganz schlechter Witz und wirft kein gutes Licht auf das Gericht.
Wo kommen wir hin wenn Verträge rückwirkend wieder reaktiviert werden können und dann immer weiter verlängert werden können, weil die Leistungspflichten aus den Schuldverschreibungen noch nicht vollständig und endgültig erfüllt sind?
"Endgültig" kann am Sanktnimmerleinstag sein - das kann doch wohl nicht sein!
Das Kollektiv hat schon im Sozialismus nicht funktioniert, jetzt wird es durch das SchVG und den BGH noch weiter kollektiviert.
 
Schuldner, die Anleihen unter´s Volk bringen, sollten sich das vorher 3x gut überlegen - und zwar dahingehend, ob sie diese zukünftig auch bedienen können, und das nicht nur im günstigsten Fall. Wenn sie das nicht tun müssen die Konsequenzen klar sein, Restrukturierungen im Weichspülgang darf es nicht mehr geben.
 
Fazit: Sollte sich die Rechtsfortschreibung dahingehend entwickeln wie in dem Aufsatz beschrieben (was ich befürchte) dürfte aus Risikogesichtspunkten kein Investor mit halbwegs klarem Verstand auch nur einen Euro in zukünftige Schuldverschreibungen investieren. Und das unabhängig vom Unternehmen und der Bonität auf dem Papier.
Wenn man nämlich de facto individuell rechtlos ist wird das Risiko unkalkulierbar und man ist der Willkür ausgesetzt.
Soviel Rendite als Kompensation für die Ausfälle gibt der Markt nicht her.
 
Gruß

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