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Dienstag, 17. Juli 2012

LondonIn einem dramatischen Appell fordert der Internationale Währungsfonds (IWF) die Regierungen der Euro-Zone auf, die Krise der Gemeinschaftswährung endlich grundsätzlich zu lösen

IWF warnt vor Euro-Krise: Achtung Brandgefahr!

Der Internationale Währungsfonds verlangt von der EU und der EZB noch mehr mutige Entscheidungen, um die Euro-Krise grundsätzlich zu lösen. Ansonsten stehe die Finanzstabilität auf dem Spiel - weit über Europa hinaus.
LondonIn einem dramatischen Appell fordert der Internationale Währungsfonds (IWF) die Regierungen der Euro-Zone auf, die Krise der Gemeinschaftswährung endlich grundsätzlich zu lösen. “Die Zeit läuft davon”, warnte IWF-Finanzmarkt-Experte José Vinals am Montag morgen in Washington bei der Vorstellung des aktualisierten Reports zur weltweiten Finanzmarktstabilität. “Jetzt ist der Moment für starke politische Führung, jetzt ist die Zeit zum Handeln”, flehte Vinals.

Ohne mutige Entscheidungen in Europa stehe die Finanzstabilität in den Industrie- wie auch den Entwicklungsländern auf dem Spiel, betont der Ökonom. “Die Risiken für die Finanzstabilität haben es in sich “, warnte Vinals. Die wachsenden Turbulenzen auf den Finanzmärkten und die immer größeren Refinanzierungsprobleme von Banken und Staaten seien nicht das einzige Problem. Hinzu komme, dass sich der Konjunktur-Ausblick verschlechtere. Die EZB habe mit ihren Aktionen Zeit gekauft – jetzt komme es darauf an, dass die Politik diese Zeit auch nutze.

Die Beschlüsse des Euro-Gipfels im Überblick

  • Direkte Bankenhilfe
    Um den Teufelskreis zwischen angeschlagenen Banken und Staatsfinanzen zu durchbrechen, sollen Geldhäuser direkt aus dem Rettungsfonds ESM rekapitalisiert werden, heißt es in der Gipfelerklärung. Durch die Notkredite wird sich dann die öffentliche Verschuldung nicht mehr erhöhen - und die Zinsen könnten sinken. Mit dem Beschluss wird eine Kernforderung Spaniens erfüllt. Aber auch Irland wird in Aussicht gestellt, davon Gebrauch machen zu können, um die Schuldentragfähigkeit zu erhöhen. Die Hilfe soll an „angemessene Bedingungen" geknüpft werden.
  • Bankenaufsicht
    Voraussetzung für die direkte Bankenhilfe ist eine effiziente Aufsicht auf der Euro-Ebene. Die Kommission wurde beauftragt, in Kürze einen Vorschlag für einen entsprechenden Mechanismus zu präsentieren, an dem die Europäische Zentralbank beteiligt sein soll. Die Mitgliedsstaaten werden aufgerufen, den Gesetzesvorschlag vordringlich bis Ende des Jahres zu prüfen.
  • Rettung für spanische Banken
    Das bereits zugesagte Rettungsprogramm für die spanischen Banken soll so schnell wie möglich beschlossen werden. Anders als bislang vorgesehen, sollen die Kredite der Europartner keinen Vorrang vor Krediten der Privatgläubiger haben, wenn das Geld aus dem ESM kommt. Im Falle einer Pleite müssten die öffentlichen Geldgeber also genauso verzichten wie die Privatwirtschaft.
  • Spar- und Reformverpflichtungen
    Länder, die den Brüsseler Spar- und Reformverpflichtungen nachgehen, erhalten einen erleichterten Zugang zu den Rettungsschirmen. Wenn sie die Instrumente - etwa den Aufkauf von Staatsanleihen durch den Fonds - nutzen, müssen sie sich keinem zusätzlichen Anpassungsprogramm unterwerfen. Sie müssen lediglich eine Vereinbarung unterzeichnen, dass sie die Vorgaben aus dem Stabilitäts- und Wachstumspakt und die Hausaufgaben der Kommission fristgerecht erfüllen. Das ist ein großes Entgegenkommen an Italien, das bislang aus Sorge vor den strengen Konditionen vor dem Griff zum Eurotropf zurückgeschreckt war.
  • Zeitplan
    Die Eurogruppe soll die Beschlüsse bis zum 9. Juli umsetzen.
  • Europäische Integration
    Die Vertiefung der Eurozone wird vorangetrieben. Die Euro-Chefs einigten sich auf die Baustellen: Den Aufbau einer Banken-Union, einer Fiskal-Union und einer politischen Union. Im Arbeitspapier der Vierergruppe um EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy findet sich weiterhin der Unterpunkt einer schrittweisen Ausgabe von Gemeinschaftsanleihen. Die Bundesregierung wies die Mutmaßung von Italiens Ministerpräsident Mario Monti zurück, damit sei die Tür zu Euro-Bonds geöffnet. Über die Inhalte soll erst auf dem nächsten Gipfel im Oktober gesprochen werden.
Vor rund einer Woche hatte bereits der Sachverständigenrat in einem Sondergutachten in deutlichen Worten vor einer weiteren Eskalation der Euro-Krise gewarnt. Die Wirtschaftsweisen halten ein unkontrolliertes Auseinanderbrechen der Euro-Zone für eine realistische Gefahr. Schon der Austritt eines einzelnen Landes könne genügen, um eine Kettenreaktion in Gang zu bringen.”
Die Entscheidungen des EU-Gipfels Ende Juni in Brüssel gehen laut IWF in die richtige Richtung, reichen aber alleine nicht aus. “Um die sich selbst verstärkende Abwärtsspirale aus schwachen Banken und schwachen Regierungen ein für alle Mal zu brechen, sind weitere Anstrengungen nötig”, betonte Vinals. So führe an einer staatlichen Rekapitalisierung und einer Restrukturierung der grundsätzlich lebensfähigen Banken in der Peripherie kein Weg vorbei – ebenso wenig wie an einer richtig terminierten Sparpolitik der Regierungen und an einschneidenden Strukturreformen.
Die Einschätzung des IWF steht in krassem Gegensatz zur Meinung von 172 deutschen Ökonomen, die Anfang Juli in einem offenen Brief die Brüsseler Entscheidungen als falsch bezeichnet hatten. Der Einstieg in die Bankenunion werde die Krise nicht lösen, sondern zu „Streit und Zwietracht mit den Nachbarn“ führen.
Der IWF dagegen hält eine Bankenunion für einen zentralen Schritt zur Lösung der Euro-Krise. „Die in Brüssel beschlossenen Maßnahmen sind ein signifikanter Schritt, um die unmittelbaren Probleme anzugehen“, so Vinal. Das geplante Rahmenwerk für eine einheitliche Bankenaufsicht sei aber nur der erste Baustein für eine künftige Bankenunion. Nötig sei zudem ein europaweiter Einlagensicherungsfonds und ein Mechanismus zur Abwicklung von Problembanken.

EU-Reformpapier

  • Die Bankenunion
    Den Begriff mögen die Spitzen der EU-Institutionen mittlerweile nicht mehr. Sie sprechen lieber - im typischen Brüsseler Bürokratenjargon - von einem „integrierten Finanzrahmen". Er enthält zwei Elemente. Zum einen soll die Bankenaufsicht der Euro-Zone zentralisiert werden. Die nationalen Aufsichtsbehörden - in Deutschland sind das die Bafin und die Deutsche Bundesbank - werden einer europäischen Bankenaufsicht untergeordnet, die möglichst bei der EZB angesiedelt wird. Parallel dazu sollen europäische Fonds für Einlagensicherung und für Bankenabwicklung entstehen - und zwar unter dem Dach einer neuen europäischen „Abwicklungsbehörde" für Banken. Im Falle einer schweren Bankenkrise soll der europäische Einlagensicherungsfonds notfalls auf Gelder des Euro-Rettungsschirms zurückgreifen, um Sparer zu entschädigen.
  • Die Fiskalunion
    Die Euro-Zone legt Obergrenzen für das jährliche Haushaltsdefizit und die Gesamtverschuldung der Mitgliedstaaten fest. Diese Obergrenzen darf eine Regierung nur überschreiten, wenn sie dafür vorab eine Genehmigung der Euro-Zone eingeholt hat. Sollte ein Land das Defizit oder die Gesamtverschuldung ohne EU-Erlaubnis aus dem Ruder laufen lassen, dann kann Brüssel eine Korrektur des nationalen Haushaltsentwurfs erzwingen. Gleichzeitig soll damit begonnen werden, die Haftung für die Staatsverschuldung schrittweise zu vergemeinschaften. In einem ersten Schritt könnten kurzlaufende Staatsanleihen zusammengelegt werden. Alternativ dazu könnte man einen Teil der Staatsschulden schrittweise in einen europäischen Schuldentilgungsfonds verlagern.
  • Wirtschaftspolitische Zusammenarbeit
    Die Mitgliedstaaten sollen ihre Wirtschaftspolitik in den Dienst der Euro-Zone stellen. Die Pflicht zur wirtschaftspolitischen Zusammenarbeit müsse mehr als bisher „einklagbar" sein, etwa um die „Mobilität der Arbeitskräfte" zu befördern. Als weiteres Beispiel nennt das Papier die Koordinierung der Steuerpolitik.
  • Demokratische Legitimation
    Die Haushaltspolitik berühre das „Herz der parlamentarischen Demokratie", heißt es in dem Papier. Eine „enge Einbindung des Europaparlaments und der nationalen Parlamente" sei daher sehr wichtig. Rechtlich bestünde die Möglichkeit, dass Europaparlament und nationale Parlamente ein gemeinsames Gremium zur Überwachung der europäischen Haushaltspolitik bilden.

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