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Dienstag, 16. August 2016

Die Firmen sind pleite und können ihren Verpflichtungen nicht mehr nachkommen. Und es wird offenbar, dass es sich nicht um einen tragischen Zufall handelt, sondern dass eine unheilige Allianz von Banken, Firmen und Finanzdienstleistern zulasten der Anleger abkassiert hat. Sparer können sich zu Recht betrogen fühlen, und auch der Ruf des Mittelstands hat gelitten.

GELD

MITTELSTAND

15.08.16

Eine unheilvolle Allianz zerstört den nächsten Sparer-Traum

Es klang so gut. Solide mittelständische Firmen leihen sich Geld beim Privatanleger und der wird mit einer lukrativen Rendite entlohnt. Doch jetzt fühlen sich viele Sparer betrogen. Zu Recht.

Onkel Dittmeyer war der perfekte Werbeträger. Orangensaft, ganz harmlos also. Das hatte Charme. Das hatte schon mal funktioniert, in den TV-Spots, die jahrelang die Republik fluteten. Die mittelständische Firma Valensina galt als Paradebeispiel für die Idee der Mittelstandsanleihen.
Mittelgroße Unternehmen, die Geld brauchten, sollten es nicht nur von den Banken, sondern künftig auch den kleinen Sparern bekommen. Lockmittel waren hohe Zinsen und damit die Aussicht, am Erfolg des Mittelstandes zu partizipieren.
Valensina konnte seine Anleihe zurückzahlen. Viele andere aber nicht. Inzwischen wird offenbar, dass das Segment der Mittelstandsanleihen eher ein Sammelbecken für hochriskante Firmen war, die nirgendwo anders mehr Kredit bekamen. Mehr als ein Viertel der 144 Papiere ist inzwischen notleidend.
Die Firmen sind pleite und können ihren Verpflichtungen nicht mehr nachkommen. Und es wird offenbar, dass es sich nicht um einen tragischen Zufall handelt, sondern dass eine unheilige Allianz von Banken, Firmen und Finanzdienstleistern zulasten der Anleger abkassiert hat. Sparer können sich zu Recht betrogen fühlen, und auch der Ruf des Mittelstands hat gelitten.

Für die Sparer stehen Millionen auf dem Spiel

Jüngster Höhepunkt des Fiaskos ist die Insolvenz von KTG Agrar, einem der beiden Gründungsunternehmen des Mittelstandsanleihemarktes. Beobachter wundern sich nicht über dessen Niedergang.
Von "Größenwahn" ist die Rede. Gut 600 Millionen Euro Schulden hat der Agrarkonzern bei gerade mal 327 Millionen Euro Umsatz aufgetürmt. Die rund 20.000 Gläubiger von zwei mit gut sieben Prozent hochverzinsten Anleihen müssen bangen. Insgesamt stehen für die Sparer 225 Millionen Euro auf dem Spiel.
Die Anleger müssen sich auf hohe Verluste einstellen. Wie zuvor schon die Gläubiger von anderen Mittelstandsanleihen, zuletzt etwa vom Modehersteller Steilmann, vom Müsliproduzenten Schneekoppe oder vom Brennstoffhersteller German Pellets. Und das sind längst keine unglücklichen Einzelfälle: Bei stattlichen 27 Prozent liegt mittlerweile die Ausfallquote der seit 2010 ausgegebenen Mittelstandsanleihen.

Eine katastrophale Bilanz

Zum Vergleich: Bei Hochzinsanleihen jenseits des deutschen Mittelstandsmarktes, sogenannten Junk-Bonds, lag die Ausfallquote in den vergangenen Jahren nur bei ein bis zwei Prozent. Experten wundern sich nicht. "Mittelstandsanleihen sind für einige Unternehmen der letzte Weg, um noch an Geld zu kommen", sagt ein Berater.
Die Bilanz ist katastrophal: Nach Berechnungen der Beratungsgesellschaft Capmarcon sind Anleihen in einem Volumen von 1,6 Milliarden Euro notleidend. Lediglich Schuldtitel im Wert von 1,4 Milliarden Euro wurden vereinbarungsgemäß bedient und zurückgezahlt. Weitere Papiere über drei Milliarden Euro stehen noch aus, aber eine Rückzahlung sei fraglich.
Profitiert haben andere: die Dienstleister rund um die Mittelstandsanleihe. Banken, Börsen, Ratingagenturen und sonstige Finanzdienstleister haben nach Kalkulationen von Capmarcon bislang Honorare und Gebühren in Höhe von rund 400 Millionen Euro eingesackt.
Viele der Akteure hätten in vollem Wissen zulasten der Anleger Kasse gemacht, sagt Capmarcon-Chef Hans-Werner Grunow. Auf jeden Fall habe die unheilige Allianz für den eigenen kurzfristigen Profit eine großartige Idee ruiniert, nämlich dass sich Mittelständler Geld einfacher beschaffen können.

Unrühmliche Rolle der Ratingagenturen

Viele Kreditinstitute sahen im Mittelstandssegment eine gute Chance, Firmenrisiken aus den eigenen Bilanzen herauszubekommen und auf private Sparer abzuwälzen. Bei der Platzierung drückten sie beide Augen zu, auch um mögliche Provisionseinnahmen nicht zu gefährden.
Als die Qualitätsprobleme offensichtlicher wurden und sich insbesondere Profiinvestoren zurückhielten, zögerten viele Emittenten nicht, die Stücke mit der Brechstange unterzubringen. Immer häufiger blieb ein Teil des geplanten Anleihevolumens unverkäuflich.
Auch andere Akteure sahen in dem Marktsegment eher einen Selbstbedienungsladen. Die Coaches, die eigentlich die Firmen auf Kapitalmarktreife überprüfen sollten, schienen ihre Aufgabe vornehmlich darin zu sehen, neue Kunden anzuwerben, als zu riskante Unternehmen auszusieben. Noch unrühmlicher fällt die Rolle der Ratingagenturen aus.
Insider berichten davon, dass sich einige Firmen ihre Noten regelrecht kaufen konnten. Zwar ist es an den Finanzmärkten üblich, dass die Unternehmen für die Benotung zahlen. Doch bei den Ratings von Standard & Poor's, Moody's oder Fitch müssen sich die Unternehmen mit der Note abfinden, können allenfalls die Veröffentlichung des Ratings verhindern.
Bei den Mittelständlern lief das Spiel um die passende Note zuweilen wohl subtiler ab. Waren die Firmenlenker mit ihrer Bewertung nicht zufrieden, konnten sie oft zusätzliche Information nachreichen, um die Prüfer von ihrer Solidität zu überzeugen. Und die ließen sich den Mehraufwand natürlich bezahlen.

Renommierte Agenturen halten sich zurück

Die Rating-Bilanz fällt entsprechend verheerend aus. Nach Zahlen von Capmarcon erhielt von den bislang 40 leistungsgestörten Anleihen zum Emissionszeitpunkt exakt die Hälfte der Firmen ein "Investment-Grade"-Rating, also ein Urteil, das mindestens eine angemessene Qualität der Fundamentaldaten und eine hinsichtlich Volumen und Laufzeit der Anleihe angemessene Zahlungsfähigkeit des Unternehmens signalisiert.
"Die neuen Bewertungsdienstleister waren geradezu pathologisch optimistisch und sehr geschäftsorientiert", sagt Grunow. Sie hätten angesichts der bestehenden Risiken sehr gute Bonitätsnoten, ohne darauf hinzuweisen, dass sie hinsichtlich der üblichen Rating-Kategorien offenbar eine ganz andere Interpretation verfolgen. Grunow nimmt absichtlich nicht das Wort Ratingagentur in den Mund, weil er eine Verwechslung mit den etablierten Anbietern nicht riskieren möchte.
Und tatsächlich haben sich die renommierten Agenturen wie S&P, Moody's oder Fitch mit Noten zurückgehalten. Lediglich zwei der bis Mitte Juli 2016 emittierten 144 Anleihen waren mit einem Rating von S&P versehen.

Jedes dritte Unternehmen am Markt ist gefährdet

Ungewöhnlich häufig taucht bei Mittelstandsanleihen der Name Creditreform auf. 26 der 40 "leistungsgestörten" Mittelstandsanleihen haben ein Rating von der Agentur, 18 hatten zur Emission sogar ein Investmentgrade-Rating. Die Bilanz ist insofern bemerkenswert, als dass Creditreform Zahlen zu den Pleiten bei deutschen Mittelständlern erhebt.
Hier klafft zwischen den empirischen Befunden des Hauses und den eigenen Ratings eine gravierende Lücke. Erst in dieser Woche veröffentlichte die KfW eine Studie zur finanziellen Situation des deutschen Mittelstands, die sich auf statistische Auswertungen von Creditreform stützte. Danach kreist über jedem 16. Unternehmen der Pleitegeier.
Dagegen gilt am Markt für Mittelstandsanleihen jedes dritte Unternehmen als pleitegefährdet. Die Ratingagentur Scope hält weitere Ausfälle für programmiert, spätestens wenn 2017 eine größere Rückzahlungswelle für die Anleihen ansteht. Insgesamt 36 Firmen müssen dann in der Summe 1,4 Milliarden Euro zurückzahlen. 2018 werden sogar weitere 2,1 Milliarden Euro fällig.

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