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Sonntag, 28. August 2016

Oh, wie schön ist Panama! Wie lässt sich Steuerwettbewerb zwischen Staaten einschränken? Steuerskandale gab es viele in den vergangenen Jahren. Steuerwettbewerb zwischen Staaten lädt zu Steuerhinterziehung ein. Was lässt sich dagegen machen?

Oh, wie schön ist Panama!Wie lässt sich Steuerwettbewerb zwischen Staaten einschränken?

Steuerskandale gab es viele in den vergangenen Jahren. Steuerwettbewerb zwischen Staaten lädt zu Steuerhinterziehung ein. Was lässt sich dagegen machen?
 von PETER DIETSCH
© DPANein, das ist nicht Panama, aber auch hier wird viel Geld versteckt: Luftbild der britischen Jungferninseln Tortola, Guana Island, Grand Camanoe und Beef Island in der Karibik
Es gibt Nachbesserungsbedarf im internationalen Steuersystem. Die Symptome häufen sich: Sei es die Steuerhinterziehung von Privatpersonen, ein Dauerbrenner in den Nachrichten schon lange vor den sogenannten „Panama Papers“, oder die Steuervermeidung von multinationalen Firmen à la Lux-Leaks – die Aufteilung der internationalen Steuerbasis zwischen den Staaten weist deutliche Lücken auf.
Im Anschluss an die Steuerskandale der letzten Jahre wird stets ausführlich über Reformvorschläge diskutiert, doch dabei wird in vielen Fällen die zugrundeliegende Ursache ignoriert. Steuerzahler nutzen nur den Spielraum aus, den ihnen die Staaten gewähren. Und im Kontext der seit Ende des Bretton-Woods-Systems zunehmenden Kapitalmobilität haben Staaten einen Anreiz, möglichst viel Kapital in ihre eigene Steuerbasis zu locken. Die Instrumente des daraus resultierenden Steuerwettbewerbs sind nicht nur niedrige Steuersätze, sondern auch andere Faktoren wie das Bankgeheimnis oder die Möglichkeit, Briefkastenfirmen zu gründen.
Die OECD hat den Steuerwettbewerb bereits 1999 als Problem erkannt, und auch die EU diskutiert seit Jahren über eine gemeinsame Bemessungsgrundlage für die Unternehmensbesteuerung. Zwei grundlegende Fragen stellen sich. Erstens, warum und, wenn ja, wie sollte die internationale Staatengemeinschaft reagieren? Zweitens, welche Nachteile hätte eine Regulierung des Steuerwettbewerbs?
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Die Beantwortung dieser Fragen setzt zwei Dinge voraus. Zum einen ein solides empirisches Verständnis, wie die verschiedenen Arten des Steuerwettbewerbs funktionieren und interagieren. Zum anderen eine Diskussion über die Werte, auf die das internationale Steuersystem ausgerichtet sein sollte.

Zahlen nur schwer erhältlich

Um die Dynamik des Steuerwettbewerbs zu verstehen, müssen wir drei Typen unterscheiden. Erstens ermöglichen Steuerparadiese Steuerhinterziehung, indem sie Privatpersonen erlauben, ihr Kapital anzulegen, ohne dass die zuständige Steuerbehörde am Wohnsitz der Steuerhinterzieher davon erfährt. Trotz zahlreicher Reformen der letzten Jahre durch die OECD und die G 20 ist dieses Problem noch lange nicht gelöst.
Es liegt in der Natur der Sache, dass Zahlen zur Steuerhinterziehung nur schwer erhältlich sind. Der französische Ökonom Gabriel Zucman von der Universität Berkeley schätzt, dass rund 8 Prozent der weltweiten Finanzvermögen, das heißt 7,6 Billionen Dollar, in Steueroasen liegen. Diese Schätzung wird im Allgemeinen sogar noch als niedrig eingestuft. Umstritten ist allerdings, welcher Anteil der Einkünfte aus diesen Vermögen nicht deklariert wird und damit dem Tatbestand der Steuerhinterziehung entspricht. Doch selbst wenn dieser Anteil „nur“ 50 Prozent ausmacht, stellt Steuerhinterziehung immer noch ein ökonomisch und politisch dramatisches Phänomen dar.
Zweitens erlauben Staaten internationalen Unternehmen, ihre sogenannten Buchgewinne bei ihnen zu verbuchen, obwohl die eigentliche wirtschaftliche Aktivität ganz woanders stattfindet. Die Unternehmen benutzen eine ganze Reihe von mehr oder weniger legalen Tricks, um ihre effektiven Steuersätze drastisch zu senken. In Ländern, in denen der nominelle Steuersatz zwischen 20 und 30 Prozent liegt, zahlen Google, Starbucks & Co. ein Zehntel oder noch weniger.

Klassischer Fall: Irland

Die OECD schätzt, dass den Finanzministerien weltweit 4 bis 10 Prozent der Einnahmen aus der Unternehmensbesteuerung, das heiß 240 Milliarden Dollar jährlich, verlorengehen. Da ganze 60 Prozent des weltweiten Handels firmenintern abgewickelt werden und gerade diese Geschäfte sich zur Gewinnverschiebung eignen, ist zu vermuten, dass es sich dabei um eine konservative Schätzung handelt. Hochrangige Beamte der Steuerbehörden in OECD-Ländern geben ebenso offen wie zynisch zu, dass internationale Unternehmen heute gerade einmal so viele Steuern zahlen, wie sie wollen.
Drittens benutzen Staaten ihre Steuersätze, um Direktinvestitionen aus dem Ausland anzulocken. Während die OECD bei den ersten beiden Typen des Steuerwettbewerbs davon spricht, dass Steuerparadiese in der Steuerbasis anderer Staaten „wildern“, wird hier die Steuerbasis selbst – nämlich die wirtschaftliche Aktivität – verschoben. Das irische Wirtschaftswunder ist ein klassischer Fall dieser Kategorie. Mit ihrem Steuersatz von 12,5 Prozent ist es den Iren über Jahre gelungen, enorme Investitionen vor allem aus den Vereinigten Staaten anzuziehen.
Analysen und Reformansätze tun gut daran, diese drei Typen des Steuerwettbewerbs zu unterscheiden. Außerdem ist es wichtig, zu erkennen, dass ein direkter Zusammenhang besteht zwischen dem zweiten und dem dritten Typ des Steuerwettbewerbs.

Abfluss von Produktionskapital

Eine Reform, die das Verschieben von Gewinnen effektiv unterbindet, hätte automatisch einen größeren Abfluss von Produktionskapital in Niedrigsteuerstaaten zur Folge. Mit anderen Worten: Sobald ein Land wie Deutschland multinationale Unternehmen zwingt, wirklich den nominellen Steuersatz auf ihre Gewinne zu zahlen, werden zahlreiche Unternehmen ihre wirtschaftliche Aktivität ins Ausland verlagern. Diese Tatsache stellt eine große Herausforderung für eine effektive Regulierung des Steuerwettbewerbs dar.
Warum ist Steuerwettbewerb problematisch? Eine erste mögliche Antwort auf diese Frage weist auf die Verteilungseffekte des Steuerwettbewerbs hin. Viele Staaten haben reagiert, indem sie ihre Steuerlast auf andere, weniger mobile Faktoren wie Konsum und Arbeit verschoben haben. Steigende Mehrwertsteuersätze und höhere Sozialbeiträge sind die Folge. Diese Trends haben natürlich mehrere Ursachen, doch empirische Analysen deuten darauf hin, dass der Steuerwettbewerb eine entscheidende Rolle spielt.
Durch diese Politik ist es zwar gelungen, das Steueraufkommen mehr oder weniger konstant zu halten, aber dafür muss man ein weniger progressives Steuersystem in Kauf nehmen. Diese allgemeine Entwicklung ist je nach Land unterschiedlich stark ausgeprägt. Gleiches gilt für die Bemühungen, dem Trend mittels Transferleistungen entgegenzuwirken. Doch das ändert nichts an der Tatsache, dass der Wohlfahrtsstaat im Steuerwettbewerb steht, dass dieser die Reaktionsmöglichkeiten des Wohlfahrtsstaates einschränkt und dass dies Auswirkungen auf die Verteilung hat.

Weit entfernt von einem Konsens

Will man nun für eine Regulierung des Steuerwettbewerbs auf Basis seiner Verteilungseffekte plädieren, so setzt dies einen Konsens darüber voraus, dass die vom Steuerwettbewerb verursachten Einkommensunterschiede ungerecht sind. Sowohl in der Theorie wie in der Praxis sind wir von einem solchen Konsens weit entfernt.
Ein Blick in die Literatur zur Gerechtigkeitstheorie zeigt, dass nicht jede Theorie die oben angesprochenen Verteilungseffekte als problematisch betrachten würde. In der Politik nehmen Verteilungsfragen seit einigen Jahren zwar wieder einen prominenten Platz auf der Agenda ein, doch einen grenzenüberschreitenden Konsens, welches Niveau von Einkommens- und Vermögensunterschieden gerecht ist, gibt es nicht.
Doch die Verteilungsgerechtigkeit ist nicht das einzige normative Fundament, auf dem man eine Regulierung des Steuerwettbewerbs rechtfertigen könnte. Weitaus weniger kontrovers ist die Idee, dass die Bürger eines Staates bestimmte fiskalpolitische Entscheidungen frei und unabhängig treffen können sollten. Die fiskalische Souveränität aller Staaten gleichermaßen zu schützen ist Ziel eines Reformvorschlages, den ich mit meinem Kollegen Thomas Rixen von der Universität Bamberg entwickelt habe.

Untergrabung von fiskalischer Souveränität

Die Finanzwissenschaft definiert die Idee der fiskalischen Souveränität im Allgemeinen wie folgt: Die Bürger eines Staates entscheiden mittels demokratischer Prozeduren erstens, wie groß der Staat in Relation zur Wirtschaftsleistung sein soll, wobei dies gemessen wird am Verhältnis von Staatsausgaben zu Bruttoinlandsprodukt; sie entscheiden zweitens, welches Niveau an Umverteilung sie als gerecht empfinden.
Ein konkretes Beispiel: Wenn die Engländer eine politische Präferenz für einen kleineren Staat und weniger Umverteilung haben als die Schweden, dann sollte das internationale Steuersystem beiden erlauben, ihre Präferenzen finanzpolitisch bestmöglich zu realisieren.
Der Steuerwettbewerb untergräbt diese beiden Aspekte der fiskalischen Souveränität der Staaten. Der Druck auf Kapitalsteuersätze mindert die Steuereinnahmen der Staaten (erster Aspekt) oder zwingt sie zumindest, ihre Steuerlast auf andere Faktoren zu verlagern. Letzteres hat, wie bereits geschildert, ein regressiveres Steuersystem zur Folge (zweiter Aspekt).

de facto, nicht de jure

Kritiker entgegnen dieser Analyse mit der Beobachtung, dass Staaten nach wie vor freie Hand haben, ihre Steuersätze nach Belieben zu bestimmen. Diese Ansicht basiert jedoch, wie auch der Direktor des OECD-Zentrums für Steuerpolitik, Pascal Saint-Amans, betont, auf einem antiquierten Konzept von Souveränität. Wichtig ist nicht die formale Kompetenz, Steuersätze zu bestimmen (de-jure-Souveränität), sondern die effektive Möglichkeit, die oben genannten fiskalpolitischen Ziele zu verfolgen (de-facto-Souveränität).
Nun ist es offensichtlich, dass unter Bedingungen von Kapitalmobilität Kompromisse bei der de-facto-Souveränität unumgänglich sind. Doch sollte das internationale Steuersystem diese Kompromisse im obigen Beispiel weder ausschließlich von den Schweden einfordern – zum Beispiel indem es dem Steuerwettbewerb freien Lauf lässt – noch die Engländer benachteiligen – zum Beispiel durch eine Harmonisierung der Steuersätze auf schwedischem Niveau. Was ist also zu tun?
Akzeptiert man die fiskalische Souveränität der Staaten als normative Grundlage der internationalen Steuerpolitik, so ergeben sich folgende Konsequenzen für die eingangs beschriebenen drei Typen des Steuerwettbewerbs: Für den individuellen Steuerzahler bedeutet der Respekt der fiskalischen Souveränität, dass er dort seine Steuern zahlt, wo er lebt. Das heißt, dass Steuerhinterziehung unterbunden werden muss, das versteht sich von selbst.

Ein Trittbrettfahrer

Der Steuerhinterzieher ist ein Trittbrettfahrer, der an seinem Wohnsitz von allen Annehmlichkeiten eines Hochsteuerstaates profitiert, ohne zur Finanzierung öffentlicher Güter seinen von der Gesellschaft als gerecht empfundenen Teil beizutragen.
Eine parallele Argumentation gilt für das Verschieben von Unternehmensgewinnen. Ein System, das es Unternehmen erlaubt, in einem Staat zu produzieren, aber ihre Gewinne andernorts zu versteuern, verletzt die fiskalische Souveränität. Dass internationale Unternehmen sich in der öffentlichen Debatte immer noch damit verteidigen können, dass ihre Steuertricks doch legal seien, ist erstaunlich. Aus Sicht der fiskalischen Souveränität gibt es keinen Unterschied zwischen ihrem Verhalten und dem eines Steuerhinterziehers.
Als Zwischenfazit lässt sich festhalten, dass der Wert der fiskalischen Souveränität unvereinbar ist mit den ersten beiden Typen des Steuerwettbewerbs. Komplizierter ist die Lage beim dritten Typ. Hier liegt kein Trittbrettfahren vor. Wenn ein Niedrigsteuerland Direktinvestitionen aus dem Ausland anzieht, dann erfordert die fiskalische Souveränität auf den ersten Blick, dass diese eben dort versteuert werden. Doch das England-Schweden-Beispiel zeigt, warum dieser Schluss zu schnell gezogen ist. Ein System, das dem realen, auf wirtschaftliche Aktivität zielenden Steuerwettbewerb der Staaten keine Grenzen zieht, bevorteilt implizit die fiskalische Souveränität von Niedrigsteuerländern.

Subvention in fiskalischem Gewand

Hier macht es Sinn, zwischen strategisch motivierten und genuin politischen Präferenzen zu unterscheiden. Als Beispiel: Würde Irland Unternehmen mit 12,5 Prozent besteuern, wenn der Kapitalzufluss aus dem Ausland ausbliebe? Wenn nicht, dann handelte es sich um eine strategisch motivierte Fiskalpolitik, die sanktioniert werden sollte. Dieser Vorschlag nimmt die Idee der fiskalischen Souveränität ernst und dehnt eine Politik, die im internationalen Handel bereits gang und gäbe ist, auf die Steuerpolitik aus. Schließlich ist eine steuerliche Bevorteilung nichts anderes als eine Subvention in fiskalischem Gewand.
Es ist hervorzuheben, dass eine solche Eingrenzung des dritten Typs von Steuerwettbewerb nicht zu einer Harmonisierung der Unternehmensbesteuerung führen würde. Eine solche wäre mit dem Grundsatz der fiskalischen Souveränität nicht vereinbar. Doch gleichzeitig könnten Staaten nur dann niedrige Steuern ansetzen, wenn dies wirklich mit ihren politischen Präferenzen übereinstimmte. Dieser Reformansatz limitiert die de-jure-Souveränität der Staaten, um ihre de-facto-Souveränität zu schützen.
Drei Einwände gegenüber der oben skizzierten Regulierung des Steuerwettbewerbs sollten hier erwähnt werden. Kritiker bemängeln erstens, dass es sehr schwer ist, die Motivation der Fiskalpolitik einzelner Staaten zu ergründen. Falls es nicht möglich ist, strategische Motivation von genuin politscher Präferenz zu unterscheiden, ist der Reformvorschlag nicht praktikabel.

Effizienter Steuerwettbewerb?

Es ist in der Tat nicht einfach, die Beweggründe einzelner politischer Maßnahmen zu eruieren. Doch gleichzeitig wird dies in anderen Politikfeldern bereits erfolgreich praktiziert – die Welthandelsorganisation akzeptiert Subventionen einzelner Unternehmen, wenn diese auf Gesundheits- oder Sicherheitsgründen beruhen.
Zweitens lässt sich einwenden, dass selbst strategisch motivierter Steuerwettbewerb unter bestimmten Umständen nicht nur toleriert, sondern sogar gefördert werden sollte. Vor allem für kleine Entwicklungsländer kann der Steuerwettbewerb zu Wachstumsschüben führen und als eine Art von regionaler Wirtschaftsförderung gerechtfertigt sein. In den 70er Jahren hätte ein solches Argument vielleicht auch noch für Irland gegolten, heute ist das irische Pro-Kopf-Einkommen dafür allerdings zu hoch.
Drittens hört man gelegentlich, dass der Steuerwettbewerb effizient sei und seine Regulierung demzufolge ineffizient. Zumindest für das klassische wohlfahrtsökonomische Verständnis der Effizienz trifft dies so nicht zu.

Keine Pareto-Verschlechterung

Eine Politik stellt eine sogenannte Pareto-Verbesserung dar, wenn sie eine Person besserstellt, ohne eine andere schlechter zu stellen. Doch da eine Regulierung des Steuerwettbewerbs notwendigerweise eine Umverteilung von Kapitalbesitzern zu Nicht-Kapitalbesitzern beinhaltet, stellt sie weder eine Pareto-Verbesserung noch eine Pareto-Verschlechterung dar, sondern ist aus Sicht der Pareto-Effizienz als neutral einzustufen.
Peter Dietsch ist Autor des Buches „Catching Capital - The Ethics of Tax Competition“ (Oxford University Press, 2015) und Herausgeber (mit Thomas Rixen, Universität Bamberg) des Sammelbandes „Global Tax Governance - What is Wrong With It and How to Fix It“ (ECPR Press, 2016). Dietsch ist Philosoph und Ökonom und lehrt an der Université de Montréal.m
THEMA UNGLEICHHEIT Die wachsende Ungleichheit beschäftigt die Menschen: Geht es hierzulande noch fair und gerecht zu, wenn Einkommen und Vermögen nicht gleich verteilt sind? Gibt es genügend Chancengleichheit und soziale Mobilität? F.A.S., F.A.Z. und FAZ.NET bemühen sich mit einer Serie um Aufklärung. Die bisherigen Beiträge finden Sie unter: faz.net/aktuell/wirtschaft/arm-und-reich

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