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Sonntag, 19. April 2015

Europa muss der Ukraine auf die Beine helfen Konflikt Die Ukraine kämpft mit einer schwachen Wirtschaft, einem Währungszerfall – und einem Bürgerkrieg. Europa aber unternimmt viel zu wenig, um die Lage zu stabilisieren. Ein Plädoyer für mehr.

Europa muss der Ukraine auf die Beine helfen

Konflikt
Die Ukraine kämpft mit einer schwachen Wirtschaft, einem Währungszerfall – und einem Bürgerkrieg. Europa aber unternimmt viel zu wenig, um die Lage zu stabilisieren. Ein Plädoyer für mehr.
VONANDERS ÅSLUND
18.04.2015
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Auch wenn die Ukraine nicht mehr so sehr in den Schlagzeilen ist wie noch vor einem Jahr, ist die Krise noch lange nicht vorüber. Die russische Militäraggression wurde durch das jüngste Waffenstillstandsabkommen von Minsk im Februar zwar eingedämmt, aber noch nicht gestoppt. Und obwohl dasStabilisierungsprogramm, das die Ukraine im letzten Monat mit dem Internationalen Währungsfonds ausgehandelt hat, besser ist als die Vereinbarung vom letzten Jahr – jetzt sind eine umfangreichere Finanzierung durch den IWF und ein realistischerer Wirtschaftsreformplan der Regierung enthalten – wird es zur Reparatur der Wirtschaft des Landes nicht ausreichen. Was die Ukraine wirklich tun muss, ist, aus der alten sowjetischen Ordnung auszubrechen – und dafür benötigt sie die Hilfe des Westens.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat es die Ukraine nie geschafft, ihren Staat umzugestalten. Statt dessen behielten die alten Sowjeteliten die Macht – und auch den grössten Teil des Landesvermögens – indem sie das gesamte wirtschaftliche und politische System des Landes durch Korruption unterwanderten. Dies zu reformieren ist eine grosse Herausforderung – der zu stellen sich die ukrainischen Politiker kürzlich verpflichtet haben.

Junge reformieren die Ukraine

Seit Februar letzten Jahres, als das Parlament den damaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch mit über zwei Dritteln Mehrheit entmachtete, wurden beide ukrainischen Institutionen durch Wahlen neu besetzt. Hunderte hohe Beamte mussten jungen, im Westen ausgebildeten Experten weichen, und die Regierung arbeitet jetzt fieberhaft daran, tiefgehende und umfassende Reformen einzuführen, darunter ein neues Gesetz für öffentliche Ausschreibungen und ein Gesetzespaket gegen Korruption. Dutzende überflüssiger Inspektionsbüros wurden abgeschafft, was die Regulierungslast deutlich verringert hat. Noch im letzten Monat hat Präsident Petro Poroschenko den Gouverneur der Dnjepropetrowsk-Region entlassen, den Tycoon und Milliardär Igor Kolomoisky
Vor kurzem haben die Behörden auch an die Reform des Energiesektors begonnen – einer Drehscheibe der Korruption. Am ersten April wurden die Gaspreise für Endverbraucher vervierfacht und damit auf die Hälfte des Marktpreises erhöht, mit Ausgleichszahlungen für Arme. Und das Parlament hat ein Gesetz verabschiedet, das die Energiestandards mit denen der Europäischen Union in Einklang bringt – ein klares Zeichen für die Verringerung der Rolle des Staates und die Öffnung des Gasmarktes für Investoren.

Es bleibt ein langer Weg

Aber die Ukraine hat immer noch einen langen Weg vor sich. Die gute Nachricht ist, dass die Reformbemühungen der Regierung von der Öffentlichkeit weitgehend verstanden und unterstützt werden. Die schlechte ist, dass die Ukraine immer noch durch Destabilisierung bedroht ist – in erster Linie durch eine neue russische Militäroffensive.
Beispielsweise würde ein russischer Angriff auf Mariupol, den zweitgrössten Hafen der Ostukraine, der etwa ein Drittel der Exporte des Landes umschlägt, die bereits angeschlagene Wirtschaft komplett zerstören. Obwohl der Kreml durch einige Faktoren – wie westliche Sanktionen, mangelnde öffentliche Unterstützung für einen Krieg in der Ukraine und den rapiden Niedergang der russischen Wirtschaft – von einem solchen Schritt abgehalten werden sollte, könnte dies noch nicht genug sein. Immerhin hat sich die russische Führung als unberechenbar erwiesen.

Drückende Wirtschaftsschwäche

Sogar ohne weitere Angriffe Russlands könnte die Ukraine durch ihre wirtschaftlichen Schwierigkeiten an weiteren Reformfortschritten gehindert werden. 2014 ist die Wirtschaft um 6,8 Prozent geschrumpft, und in jedem der letzten beiden Quartale ist die Produktion um 15 Prozent zurückgegangen. Darüber hinaus hat die Hryvnia, die ukrainische Währung, aufgrund mangelnder Reserven die Hälfte ihres Wertes verloren. Dies hat dazu geführt, dass die jährliche Inflation im März auf 45 Proeznt gestiegen ist. Nur durch eine Vorabzahlung des IWF, die die ukrainischen Reserven auf 9,9 Milliarden Dollar verdoppelt hat, wurde eine komplette finanzielle Kernschmelze verhindert und der Wechselkurs zum Ende des letzten Monats mehr oder weniger auf sein altes Niveau gebracht.
Obwohl die internationale Finanzhilfe für die Ukraine von unschätzbarem Wert ist, reicht sie nicht aus, um echte Erholung und Reformen herbeizuführen. Das letzte Rettungsprogramm umfasst Zahlungen in Höhe von etwa 40 Milliarden Dollar über die nächsten vier Jahre, von denen fast die Hälfte vom IWF stammt. Das bedeutet, dass die Ukraine in diesem Jahr nur 10 Milliarden Dollar erhält – was für die Aufstockung der Reserven und die Bedienung der Schulden des Landes nicht ausreicht.

Finanzloch von über 15 Milliarden

Angesichts der enormen ukrainischen Staatsschulden, von denen ein Grossteil in den nächsten zwei Jahren fällig wird, lässt das Rettungspaket immer noch eine Finanzierungslücke von 15,3 Milliarden Dollar übrig, die der IWF und die ukrainische Regierung mit einer Umschuldung zu stopfen hoffen. Aber selbst wenn dies funktionieren sollte, würde die Ukraine mehr Geld benötigen, als sie bekommt.
Und sie braucht auch mehr strategische Unterstützung. Der überwältigende Widerstand der europäischen Politiker gegen die Belieferung der Ukraine mit Verteidigungswaffen ist schwer nachvollziehbar. Die Begründung dafür ist, Russland keinen Grund für eine Eskalation des Krieges gegen das Land zu geben. Aber dies geschieht bereits, und beim ukrainischen Kampf gegen Russland geht es immerhin um die Bewahrung der zentralen europäischen Werte – und um die Verteidigung Europas selbst. Die Särge der Ukrainer, die dabei gestorben sind, waren mit EU-Flaggen behangen.

Europa tut zu wenig

Die Politiker Europas argumentieren, der Hauptschwerpunkt ihrer Ukraine-Politik müsse in der Unterstützung der Wirtschaft des Landes liegen. Aber auch hier tut Europa mit seinen dürftigen Krediten in Höhe von 1,8 Milliarden Euro zu wenig – 10 Milliarden wären angemessener. Würden dann die Vereinigten Staaten Europa noch (mindestens) auf halber Strecke entgegen kommen, könnte die ukrainische Finanzkrise endlich eingedämmt werden.
Am 28. April veranstaltet die ukrainische Regierung in Kiew eine Geberkonferenz. Jetzt, wo sich Führung und Öffentlichkeit des Landes mehr denn je für den Kampf gegen die Korruption, den Aufbau eines Sozialstaates und die Entwicklung hin zu einer normalen liberalen Demokratie einsetzen, sollte Europa nur zu bereit sein, sie dabei zu unterstützen. Es wird Zeit, dass sich die westlichen Politiker an ihre Ideale erinnern – und zu ihnen stehen.
Anders Åslund ist Senior Fellow am Petersen Institute und Verfasser von Ukraine: What Went Wrong and How to Fix It. Aus dem Englischen von Harald Eckhoff. Copyright: Project Syndicate, 2015. www.project-syndicate.org

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