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Dienstag, 26. August 2014

Auch die Zukunft der U-Boote, auf denen die britischen Atomwaffen lagern, ist ungewiss. Der Hafen im schottischen Faslane müsste für viele Milliarden verlegt werden.

Alistair Darling (l.) setzt offensichtlich auf Zahlen und Fakten, Alex Salmond auf Emotionen.
Alistair Darling (l.) setzt offensichtlich auf Zahlen und Fakten, Alex Salmond auf Emotionen.(Foto: REUTERS)

TV-Duell um UnabhängigkeitSind die Schotten verrückt geworden?

Von Christoph Herwartz
Eine Abspaltung vom restlichen Großbritannien birgt erhebliche Risiken. Trotzdem ziehen viele Schotten begeistert in den Kampf um Unabhängigkeit. Sie wollen tapfer und mutig sein.
Es dauert nur ein paar Minuten, da hat Alistair Darling eigentlich schon genug von allem. In drei Wochen könnte sich sein Land, Schottland, von Großbritannien lossagen und er rechnet vor, wie teuer das würde. Arbeitsplätze würden verloren gehen, Steuern müssten erhöht werden, die Banken wären nicht mehr sicher. Darling redet immer schneller und immer lauter. Er weiß, wovon er spricht. Er war einmal Finanzminister. Sein Kontrahent Alex Salmond lächelt nur milde. Die Schotten seien eine reiche Nation, sagt er. "Dies ist unsere Zeit, unser Moment." Salmond hat eine Vision, die lässt er sich mit ein paar Zahlen nicht kaputtmachen.
Die vielleicht entscheidende TV-Debatte über das Unabhängigkeitsreferendum für Schottland wird im Kelingrove-Museum in Glasgow ausgetragen. Der Hall von den verzierten Wänden unterstreicht, wie historisch die Frage ist, um die es hier geht: Nach mehr als 300 Jahren könnte sich Schottland wieder komplett selbst regieren. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht: Zwar geben in Umfragen mehr Schotten an, lieber im Vereinigten Königreich bleiben zu wollen. Allerdings sind auch viele noch unentschieden und die furiose "Yes"-Kampagne könnte ihre Anhänger am Wahltag besser motivieren als die etwas bürokratisch anmutenden Aufrufe des"Better Together"-Teams.

Gutes Schottland, böses Westminster

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Die "Yes"-Kampagne appelliert an den Patriotismus der Schotten, wirbt mit Begriffen wie Vertrauen, Selbstbewusstsein, Stolz, Tapferkeit. Noch stärker wirken die Protagonisten aus den Wahlspots: Ganz unterschiedliche Menschen tauchen da auf, alle lächeln voller Vorfreude und Zuversicht. "Es ist eines der schönsten Wörter der englischen Sprache", sagt ein Mann: "Yes!" London kommt in den Werbefilmen höchstens als dunkle Macht vor. Das Wort "Westminster" bekommt einen bedrohlichen Klang.
Angeführt wird die Kampagne von Alex Salmond und seiner Schottischen Nationalpartei (SNP), mit der er vor drei Jahren die absolute Mehrheit im Regionalparlament erzielte. Salmond wurde "Erster Minister", wie es in Edinburgh heißt, und macht mit dem Referendum nun sein wichtigstes Wahlversprechen wahr.

Kleinliche Angstmacherei?

Auf der anderen Seite steht Alister Darling, der bis vor vier Jahren in London mitregierte. Er macht seinen Job nicht schlecht, aber so viel positive Energie wie Salmond kann er mit seinem "No, thank you" ("Nein danke") nicht rüberbringen. Darlings Trumpf ist die Währung, über kein anderes Thema wird so lange gesprochen. Offensichtlich hatte sich die "Yes"-Kampagne bis vor ein paar Wochen noch kaum Gedanken darüber gemacht, was passiert, wenn London eine Währungsunion mit dem neuen Staat ablehnt. "Was ist der Plan B?", fragt Darling immer wieder. Die Frage ist wichtig: Zwar könnten die Schotten auch mit einer fremden Währung bezahlen. Doch sie hätten keine Zentralbank und könnten keine eigene Geldpolitik betreiben. Und vielleicht noch schlimmer: Banken sind heutzutage auf Zentralbanken angewiesen und der Finanzsektor macht einen beträchtlichen Teil der schottischen Wirtschaft aus. Die Royal Bank of Scotland warnt eindringlich vor der Sezession. Der Lebensversicherer Standard Life soll sich angeblich schon nach einem neuen Hauptsitz umsehen. Auch könnte bei einer Finanzkrise das kleine Schottland wohl kaum alleine für die Sicherheit seiner Banken garantieren.
Trotzdem kann Darling mit seinem Trumpf an diesem Abend keinen Stich machen. Auf eine Nachfrage muss er eingestehen, dass London nicht verhindern kann, dass in Schottland mit dem Pfund Sterling bezahlt wird. Salmond feiert das als Punktsieg, das Publikum jubelt. Die "Yes"-Kampagne wird später ein Mini-Video im Internet verbreiten, in dem nur diese eine Aussage vorkommt. Die Problematik mit der Zentralbank wird einfach übergangen. Für die Unabhängigkeitsbefürworter ist das ohnehin kleinliche Angstmacherei.

Schottland will das Nordsee-Öl

Überhaupt geht es viel um Geld in dieser Debatte. Die "Yes"-Kampagne behauptet immer wieder, dass es nicht um Sozialneid gehe; trotzdem spricht sie gerne und viel darüber, wie reich Schottland im Vergleich zum restlichen Königreich ist. Das liegt zum einen an der relativ niedrigen Arbeitslosigkeit, zum anderen am Erdöl. Die Sezessionisten von der SNP gehen wie selbstverständlich davon aus, dass ein freies Schottland seine Bodenschätze behalten darf. Rechtlich ist das allerdings umstritten. Zudem schließt sich die Partei nur den optimistischsten Schätzungen an, was den Wert der Ölreserven angeht. Und so kommen die Kontrahenten zu ganz unterschiedliche Vorhersagen über den Wohlstand. Salmond spricht von 2000 Pfund (gut 2500 Euro) pro Jahr, die jeder Schotte mehr zur Verfügung haben wird. Darling kommt wegen der zusätzlichen Bürokratie auf ein Minus von 1400 Pfund.
Auch vieles andere ist unklar, eine mögliche EU-Mitgliedschaft etwa: Besonders Spanien würde sich wohl wehren, Schottland aufzunehmen. Denn das könnte die Katalanen ermutigen, sich von Madrid loszusagen. Eine Erweiterung der EU ist aber nur möglich, wenn alle Mitgliedstaaten zustimmen. Auch die Zukunft der U-Boote, auf denen die britischen Atomwaffen lagern, ist ungewiss. Der Hafen im schottischen Faslane müsste für viele Milliarden verlegt werden. Auch die Gesundheitsversorgung ist ein Thema. Wird mit der Unabhängigkeit nun alles besser oder schlechter? Am Ende steht immer wieder Aussage gegen Aussage.

Umfrage findet klaren Sieger

Je länger das TV-Duell dauert, desto mehr bekommt man den Eindruck, als seien die Argumente ohnehin längst ausgetauscht. Immer mehr geht es um Emotion als um Fakten. Salmond spricht sie geschickt an, tritt vor die Leute und wirkt sehr zuversichtlich. Sein Team sekundiert auf Twitter mit persönlichen Angriffen auf Darling. Wahrscheinlich wäre es zu kurz gegriffen, die Schotten als Opfer eines geschickten Demagogen darzustellen. Besonders fair ist das alles aber nicht.
Darling klammert sich weiter an seine Zahlen und sein Rednerpult. Eine Frau aus dem Publikum ruft die Zuschauer auf, nichts von dem zu glauben, was aus seinem Mund kommt. Salmond widerspricht nicht. In seiner Verzweiflung schaltet Darling auf beleidigt: Man versuche, "Better Together" als eine Angstkampagne darzustellen. Das Publikum - 200 zufällig ausgewählte Schotten - antwortet mit höhnischem Grölen. Ein Zuschauer drückt es sachlicher aus: Er wollte eigentlich gegen die Abspaltung stimmen. Aber "Better Together" gebe ihm keine guten Gründe, mit "Nein" zu stimmen. Eine Blitzumfrage des "Guardian" ergibt, dass 71 Prozent der Wahlberechtigten Salmond als Gewinner der Debatte sehen.
Quelle: n-tv.de

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