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Donnerstag, 26. Februar 2015

Argentinien Alte und neue Schuld Mit der umfassenden Reform des Geheimdienstes wollte Argentiniens Präsidentin eine historische Schuld abtragen. Doch nach dem mysteriösen Tod eines Staatsanwaltes sieht der eilige Umbau wie ein politisches Manöver aus.

ArgentinienAlte und neue Schuld

Mit der umfassenden Reform des Geheimdienstes wollte Argentiniens Präsidentin eine historische Schuld abtragen. Doch nach dem mysteriösen Tod eines Staatsanwaltes sieht der eilige Umbau wie ein politisches Manöver aus.

© AFPVergrößernArgentiniens Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner
Auf den Sprint im Gesetzgebungsverfahren folgte immerhin eine Marathondebatte: Sechs Stunden dauerte die hitzige Aussprache in der argentinischen Abgeordnetenkammer, ehe in der Nacht zum Donnerstag die Abstimmung erfolgte. Die Opposition kritisierte die zur letzten Lesung vorgelegte Gesetzesnovelle über eine Reform des Geheimdienstes heftig. Doch das Abstimmungsergebnis entsprach den Erwartungen von Argentiniens Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner: 131 Abgeordnete stimmten zu, 71 waren dagegen. Der Senat hatte dem Gesetz bereits am 12. Februar zugestimmt.
Damit hat Kirchner in der Rekordzeit von gerade einmal vier Wochen ihr Ziel eines umfassenden Umbaus der Behörde erreicht. Die Präsidentin will das Gesetz noch diese Woche unterzeichnen, so dass die neue Bundesagentur für Geheimdienste binnen 90 Tagen nach Inkrafttreten der Gesetzesnovelle aufgebaut werden kann. Die Agentur soll das bisherige Sekretariat für Geheimdienste (SI) ersetzen, das 2001 seinerseits aus dem Sekretariat für Geheimdienste des Staates (Side) hervorgegangen war.
Das Side war 1946 von Präsident Juan Domingo Perón gegründet worden mit dem Ziel, im Inland wie im Ausland geheime Informationen im Dienste des Staates zu sammeln. Über die Jahrzehnte hinweg erwarb sich das Side einen denkbar schlechten Ruf. Eine seiner ersten historischen Missionen war es, Nazi-Kriegsverbrecher, für die Perón zeitlebens eine düstere Faszination empfand, nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges von Europa nach Lateinamerika zu schleusen. Während der Militärdiktatur von 1976 bis 1983 wurde das Side von der Junta als maßgebliches Instrument der Verfolgung, Verschleppung und Ermordung von oppositionellen Politikern, Studenten und Gewerkschaftern missbraucht. Die Rückkehr Argentiniens zur Demokratie von 1983 überstand das Side ohne wesentliche Reformeinschnitte in Struktur und Personal. Auch die Namensänderung des Side zum SI im Rahmen der Geheimdienstreform von 2001 war im Wesentlichen nur das: eine Namensänderung.
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Das Side wie das SI waren und sind seit jeher klassische Institutionen in Argentiniens peronistischem Machtsystem: Sie dienen nur dem Namen nach dem Staat, in Wahrheit sind sie Instrumente zur – notfalls blutigen – Durchsetzung der partikularen Interessen der jeweils Herrschenden. Side und SI überwachten und beschnüffelten im Auftrag aller Regierungen deren politische Gegner, dazu verdächtige Journalisten sowie unbotmäßige Richter und Staatsanwälte.
Damit werde nun Schluss sein, versprach die Präsidentin, als sie vor einem Monat die jetzt vom Kongress durchgepeitschte Reform des SI ankündigte. Sie sprach gar von einer historischen Schuld, die seit der Rückkehr zur Demokratie von 1983 noch nicht abgetragen worden sei. Doch der Zusammenhang der Geheimdienstreform mit dem mysteriösen Tod des Staatsanwalts Alberto Nisman vom 18. Januar warf sogleich einen Schatten auf Kirchners angeblich historische Reformpläne für den Geheimdienst. Nisman hatte Kirchner und andere ranghohe Regierungsmitglieder der Strafvereitelung im Zusammenhang mit der von ihm seit 2004 vorangetriebenen Aufklärung des islamistischen Selbstmordanschlags auf das jüdische Gemeindezentrum in Buenos Aires von 1994 mit 85 Toten und mehr als 300 Verletzten bezichtigt.

Ein privater Nebengeheimdienst des „Superspions“?

Nisman wollte Anklage gegen Kirchner, Außenminister Héctor Timerman und andere Regierungsmitglieder wegen des Verdachts erheben, diese hätten aus wirtschaftlichem und geopolitischem Interesse den als mutmaßliche Hintermänner des Attentats gesuchten Iranern faktisch Straffreiheit zugesichert. Kirchner und andere Regierungsmitglieder weisen die Vorwürfe als absurd zurück, die Nismans Nachfolger in der Sache indes weiterverfolgt.
In einer ersten Reaktion unmittelbar nach dem Fund der Leiche Nismans in dessen Wohnung hatte Kirchner von einem bedauernswerten Selbstmord gesprochen. Wenig später vollzog sie eine Kehrtwende und äußerte die Überzeugung, das SI habe Nisman zunächst zu den Vorwürfen gegen ihre Regierung angestiftet und ihn dann aus dem Weg geräumt – entweder durch Mord oder indem Agenten des SI Nisman in den Selbstmord getrieben hätten. In dem Zusammenhang wurde immer wieder der geheimnisumwitterte „Superagent“ Antonio „Jaime“ Stiuso genannt, den Kirchner im Dezember gefeuert hatte. Zuletzt warf die Regierung Stiuso vor, dieser habe eine Art privaten Nebengeheimdienst innerhalb des SI betrieben, um damit der Regierung nachzustellen. Stiuso, der eng mit Nisman im Fall des Anschlags von 1994 zusammengearbeitet hatte, wurde am Dienstag wegen des Vorwurfs angeklagt, einen Schmugglerring betrieben und Steuern hinterzogen zu haben. Zufall?
Die Opposition kritisiert Kirchners im Geschwindschritt verabschiedete Geheimdienstreform als Manöver, um den zuletzt aufmüpfigen Dienst wieder politisch auf Linie zu bringen. Zunächst war kolportiert worden, die rund 2000 Mitarbeiter des SI würden entlassen und bei der künftigen Agentur durch neue ersetzt. Nun heißt es, die allermeisten Beamten würden in die neue Bundesagentur übernommen. Nach dem ersten Schrecken dürften die meisten alt-neuen Mitarbeiter ihrem Arbeitgeber – der amtierenden Regierung – eine Art ewigen Treueeid schwören.
Die Aufsicht über Abhörmaßnahmen soll vom Dienst selbst auf das Amt des Generalstaatsanwalts übergehen. Diesen Posten bekleidet derzeit Alejandra Gils Carbó, eine enge Verbündete von Präsidentin Kirchner; die Amtszeit der Generalstaatsanwältin ist unbefristet. Die Führung der neuen Agentur soll auch weiterhin von der Regierung ernannt werden; der Senat muss den Nominierungen aber zustimmen. Derzeit verfügt Kirchners Fraktion über 39 der 72 Sitze in der kleineren Kongresskammer. Bis zu den Wahlen vom Oktober und bis zum Ende der Amtszeit Kirchners im Dezember, die nach zwei Amtsperioden von vier Jahren nicht mehr antreten darf, ist mithin genug Zeit, das Haus bei der neuen Geheimdienstagentur politisch-personell wunschgemäß zu bestellen.

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