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Montag, 4. April 2016

Pünktlich zur Rückkehr der Troika nach Athen dringt ein Mitschnitt eines IMF-internen Telefonats an die Öffentlichkeit. Er zeigt, wie gross die Probleme sind - und vor welchem Dilemma Merkel steht.

Griechenland-Hilfe
Was die Telefonate des IMF verraten

Pünktlich zur Rückkehr der Troika nach Athen dringt ein Mitschnitt eines IMF-internen Telefonats an die Öffentlichkeit. Er zeigt, wie gross die Probleme sind - und vor welchem Dilemma Merkel steht.
  • von René Höltschi, Brüssel
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Der heimliche Telefonmitschnitt offenbart Probleme. (Bild: Kostas Tsironis / AP)

Der heimliche Telefonmitschnitt offenbart Probleme. (Bild: Kostas Tsironis / AP)

Am Wochenende haben sich die Delegationsleiter der Geber-Institutionen auf den Weg nach Athen gemacht, um die vor Ostern unterbrochene Überprüfung desHilfsprogramms für Griechenland fortzusetzen und möglichst abzuschliessen. Doch ein angeblicher Mitschnitt eines internen Gesprächs von Vertretern des Internationalen Währungsfonds (IMF) zeigt, wie gross die Differenzen zwischen den Gläubigern und der Regierung, aber auch unter den Gläubiger-Institutionen – dem IMF, der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank und dem Euro-Krisenfonds (ESM) – noch immer sind.

Abgehörte Telefonkonferenz

Der von der Enthüllungsplattform Wikileaks am Samstag publizierte Text gibt angeblich eine Telefonkonferenz des IMF-Direktors für Europa, Poul Thomsen, der Chefin der IMF-Vertretung in Athen, Delia Velculescu, und einer weiteren IMF-Expertin vom 19. März wieder. Die Echtheit lässt sich zwar nicht überprüfen, aber sie ist noch von niemandem bestritten worden. Eine IMF-Sprecherin erklärte, man kommentiere Lecks und angebliche Berichte über interne Diskussionen nicht. Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras zeigte sich in einem Brief an die IMF-Chefin Christine Lagarde tief besorgt und fragte, ob der Mitschnitt die offizielle IMF-Position wiedergebe.
Was ist diesem zu entnehmen? Bei allen wichtigen Reformen, darunter jene des Renten- und Steuerwesens, gibt es laut Velculescu offene Fragen. Die Ziele des Hilfsprogramms, namentlich ein Primärüberschuss (Saldo des Staatshaushalts vor Schuldendienst) von 3,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts im Jahr 2018, würden so nicht erreicht, sagt Thomsen. Er deutet an, dass der IMF bei den Sparforderungen zu Abstrichen bereit wäre, falls die Europäer Griechenland im Gegenzug mehr Schuldenerleichterungen gewähren würden, um die griechische Staatsverschuldung auf ein tragbares Niveau zu senken. Die seit langem geplanten Schuldenerleichterungen zum Beispiel in Form von längeren Laufzeiten müssen die europäischen Gläubiger vornehmen; der IMF beteiligt sich nicht daran. Zugleich macht er aber seine finanzielle Beteiligung an dem bisher ausschliesslich vom Euro-Krisenfonds finanzierten dritten Kreditprogramm davon abhängig, dass die Schulden-Tragfähigkeit gesichert ist.

Merkels Dilemma

Der Chef der Euro-Finanzminister, Jeroen Dijsselbloem, hat vor einem Monat angekündigt, man werde «in naher Zukunft» über die Schuldenerleichterungen zu verhandeln beginnen. Erste Gespräche könnten am Rande der IMF-Frühjahrstagung im April stattfinden, heisst es inzwischen. Doch bis jetzt zögert vor allem Deutschland, das zugleich zu jenen Staaten gehört, die auf eine IMF-Beteiligung pochen. Daraus entsteht ein Dilemma, wie Thomsen im Mitschnitt erklärt. «Frau Merkel» stehe vor der Frage, was teurer sei: dem Bundestag zu erklären, dass es ohne den IMF weitergehe, oder die Schuldenerleichterungen durchzuführen, die dieser für nötig halte.
Die IMF-Vertreter kritisieren die Haltung der Europäer als wankelmütig und warnen davor, dass sich die Gespräche hinziehen könnten. Eine Einigung über die nächsten Reformen ist Voraussetzung sowohl für die Auszahlung der nächsten ESM-Kredittranchen als auch für die erwähnten Schuldenerleichterungen. In dem angeblichen Mitschnitt äussert Thomsen die Befürchtung, dass die Europäer kurz vor der «Brexit»-Abstimmung im Juni wohl keine Verhandlungen mit Athen mehr führen wollten und dass die Entscheide möglicherweise erst kurz vor einem drohenden griechischen Zahlungsausfall gefällt würden. Athen braucht im Juli frisches Geld, um fällige Rückzahlungen leisten zu können.
Vieles davon hat Thomsen bereits im Februar in einem Blog geschrieben, wenn auch etwas diplomatischer. Der Mitschnitt zeigt aber, dass sich die Beteiligten seither nicht viel näher gekommen sind. Und er wirft die Frage auf, wer IMF-Telefonate abhört. Und mit welcher Absicht der Inhalt eines internen Gesprächs jetzt publik gemacht worden ist.

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