Repression zypriotischer Kleinsparer
Enteignung grassiert in ganz Europa
Kommentare Dossier: Staaten am finanziellen Abgrund
12 KommentareMichael Rasch
Die angedachte Rettung des gemessen an der Bevölkerung drittkleinsten Landes der Euro-Zone hat vor einer Woche für einen Paukenschlag gesorgt. Dass Sparer an der Sanierung insolventer Banken beteiligt werden sollen, bevor Aktionäre und Besitzer von Anleihen zur Kasse gebeten werden, ist nicht nur ein Zeichen der in Brüssel herrschenden ordnungspolitischen Verwirrung, sondern stellt auch einen Paradigmenwechsel sondergleichen dar. Der Aufschrei «Enteignung» hallte deshalb zu Recht durch Europa und weit darüber hinaus. Ob man die inzwischen von der Regierung in Nikosia wieder zurückgenommenen, kurzfristigen Massnahmen zur Bankenrettung nun als Stabilitätsabgabe, Steuer, Enteignung oder schlicht als Diebstahl bezeichnet, mag vielleicht Ansichtssache sein. Es ist jedoch ein Faktum, dass die Sparer in weiten Teilen Europas und auch in den USA schon seit mehr als zwei Jahren kalt enteignet werden. Der Albtraum manifestiert sich durch negative Realzinsen und eine finanzielle Repression. Besserung ist noch für lange Zeit nicht in Sicht.
Anhaltende Rechtsunsicherheiten und Tabubrüche
Beim jüngsten Rettungsversuch ist erstaunlich, wie ungeschickt sich Brüsseler Bürokraten und Politiker in vielen europäischen Hauptstädten angesichts des eher kleinen Problems benehmen. Der Kapitalbedarf von Zypern in Höhe von 15,8 Milliarden Euro – der ursprünglich zu 10 Milliarden über Kredite und zu 5,8 Milliarden über die Besteuerung der Einlagen auf zypriotischen Banken finanziert werden sollte – ist bescheiden. Allein bei der Verstaatlichung der Hypo Real Estate übernahm Deutschland Garantien in Höhe von 124 Milliarden Euro. Dabei wird der Tabubruch einmal mehr als Einzelfall apostrophiert. Doch das wird niemand glauben, und das sollte auch niemand glauben, denn Tabubruch und Rechtsunsicherheit sind im Euro-Raum längst salonfähig geworden (Maastricht-Vertrag, EZB-Mandat usw.).
Natürlich sollten sich auch Sparer bewusst sein, dass sie die Bank ihres Vertrauens mit Sorgfalt auswählen müssen. Doch Einlagen, besonders von Kleinanlegern, galten bisher als heilig. Dass diese Kleinanleger nun unter Aushebelung des geschützten Betrages von 100 000 Euro mit zur Kasse gebeten werden sollten, zerstört enorm Vertrauen in Europa. Es ist zudem ein Warnsignal an alle Anleger, sich künftig noch besser zu überlegen, ob sie ihr Geld im Euro-Raum behalten wollen. Zwar gab es bisher keine Schlangen vor Banken in Spanien, Italien oder einem anderen Krisenland. Doch der Bank-Run erfolgt heutzutage ohnehin nicht mehr per Barabhebung, sondern per elektronischen Knopfdruck.
Der Aufschrei in der Öffentlichkeit überrascht allerdings insofern, als dass die Enteignung durch eine über Nacht eingeführte Zwangsabgabe ein Phänomen in den Mittelpunkt rückt, welches schon seit Jahren in Europa und den USA grassiert: die kalte Enteignung der Sparer. In Deutschland betrug die Rendite von fünfjährigen Staatsanleihen im Februar 0,8 Prozent. Ähnlich tief verzinst sind viele Fest- und Tagesgelder. Zugleich lag die Inflation bei 1,9 Prozent. Daraus resultieren reale Zinsen von –1,1 Prozent. Jedes Jahr schrumpft die reale Kaufkraft deutscher Sparguthaben also um 1,1 Prozent. Dieser Wert lag in den letzten zwei Jahren oft schon viel höher. In Deutschland betrugen die realen Zinsen seit Mitte 2011, je nach Massstab, zwischen –0,5 Prozent und –2,5 Prozent. In der Euro-Zone als Ganzem sind die Werte sogar noch etwas schlechter. Geradezu dramatisch sind die Zahlen in Grossbritannien, wo die reale Rendite seit dem Jahr 2010 zwischen –0,5 Prozent und –4,5 Prozent betrug. Und auch in den USA lagen die Werte zwischen 0 Prozent und –3,5 Prozent. Die Bürger dieser Staaten verlieren also massiv an Kaufkraft, vor allem, wenn die Realzinsen über einen längeren Zeitraum auf dem Niveau verharren. Das ist dramatisch, denn die Kaufkraft des Ersparten halbiert sich bei negativen Realzinsen von zum Beispiel –6 Prozent innerhalb von rund zwölf Jahren.
In der Schweiz liegen die realen Renditen zwar noch knapp im Positiven, sie sind in den letzten Jahren aber auch schon mehrfach unter null gerutscht. Zudem führt die Nullzinspolitik der Schweizerischen Nationalbank ebenfalls dazu, dass Anleger kaum noch Rendite auf ihrem Kapital erzielen. Wie schmerzhaft dies langfristig ist, zeigt der Zinseszinseffekt, eines der meist unterschätzten Phänomene in der Wirtschaftswelt. Legt man etwa 20 000 Franken für 10 Jahre zu 1 Prozent an, ergibt sich am Ende eine Summe von nominal rund 22 000 Franken, bei 3 Prozent sind es jedoch über 27 000 Franken. Der Effekt verstärkt sich drastisch, je länger die Laufzeit und je grösser die Renditedifferenz ist. Dies zeigt, dass eine Tendenz zu übermässig tiefen Zinsen Anleger und künftige Pensionäre langfristig enorm schädigt, auch ohne dass die Realzinsen negativ sind.
Die Notenbanken nehmen die kalte Enteignung der Sparer und die damit einhergehenden Umverteilungseffekte bei ihren «Rettungsaktionen» nicht nur billigend in Kauf, sondern schweigen diese auch tot. Jedenfalls findet sich das Thema in keiner Rede eines Zentralbankers und taucht nicht in den vielen Studien auf, welche diese Institutionen herausgeben. Man kann trefflich darüber streiten, ob etwa in den USA angesichts eines Wirtschaftswachstum von gut 2 Prozent weiter eine Nullzinspolitik und auf Hochtouren laufende Gelddruckmaschinen zu rechtfertigen sind. Immer mehr wird dabei die Schwelle zur Staatsfinanzierung mit der Notenpresse überschritten. So hat die Bank of England in den letzten drei Jahren rund 80 Prozent der neu ausgegebenen britischen Staatsanleihen gekauft. In Japan sieht es nicht viel besser aus.
Kein absehbares Ende der finanziellen Repression
Angesichts der immensen Schuldenberge vieler Staaten sowie des grossen politischen Drucks auf die Notenbanken wird es deren «Währungshütern» kaum möglich sein, die Zinsen in absehbarer Zeit zu erhöhen. Zu befürchten ist, dass dies selbst dann gelten wird, wenn die bisher geringe Inflation zulegen sollte. Anleger müssen daher damit rechnen, dass sie auch künftig mit negativen Realzinsen – und später einmal mit höherer Inflation – konfrontiert sein werden. Diese Form der schleichenden Enteignung wird zu Recht auch als finanzielle Repression bezeichnet. Sie führt zu erheblicher Umverteilung und droht den sozialen Frieden zu stören, denn sie trifft vor allem die sogenannten kleinen Leute, da diese ihr Erspartes meist in sehr niedrig verzinsten Anlageformen haben. Die Geschehnisse in Zypern waren ein Warnschuss und ein Weckruf für Sparer. Doch die kalte Enteignung ist längst Teil der neuen Realität – und wird es vermutlich noch lange Zeit bleiben.
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