Euro-KriseWas ist, wenn Zypern kentert?
23.03.2013 · Eine kleine Insel im östlichen Mittelmeer bringt Europa in große Nöte. Ließe Europa sie kentern, wäre das für die Zyprer böse. Würde eine Pleite auch böse Folgen für die Euroländer auslösen?
Von RAINER HANK und CHRISTIAN SIEDENBIEDEL
Die Lage auf Zypern ist dramatisch. Nur noch bis zum morgigen Montag will die Europäische Zentralbank (EZB) die Kreditinstitute der Insel mit Überbrückungsgeld am Leben halten. Sollte nach monatelangen Verhandlungen auf den letzten Metern ein „Rettungsprogramm“ nicht gelingen, droht der Zusammenbruch des Bankensystems - und womöglich der Staatsbankrott.
„Die Geldeinlagen aller Menschen wären weg; Tausende Menschen würden ihren Arbeitsplatz verlieren“, fürchtet Andreas Artemis, der Chef der größten zyprischen Bank „Bank of Cyprus“. Niemand weiß, ob die Zyprer ihre Banken stürmen, sobald die Schalter wieder geöffnet sind. Um zu verhindern, dass das passiert oder Ersparnisse ins Ausland gebracht werden, soll der Geldverkehr eingeschränkt werden - eine bislang im Euroraum einmalige Zwangsaktion.
Eine Woche Europa-Chaos vom Feinsten seit dem vergangenen Wochenende hat all jene irritiert, die meinten, die Euro-Krise sei vorbei. Wenn schon ein so winziges Mitglied des Euroraumes solch gefährlichen Wirbel macht, kann das Rettende noch nicht nahe sein. Der Euro sei als Manifestation eines großen politischen Projekts gestartet, spottet der britische „Economist“: „Heute fühlt er sich an wie eine zerrüttete Ehe, wo die Partner nur noch durch die hohen Scheidungskosten zusammengehalten werden.“
Die Verschuldung Zyperns erlaubt keine größeren Kredite
Faul auf der Mittelmeerinsel sind vor allem die Banken. Jahrelang wurden sie künstlich aufgebläht, bis das Geldgeschäft zum blühenden, aber nicht ganz koscheren Geschäftsmodell des kleinen Staates wurde; Anleger (mindestens 30 Milliarden Euro sollen von reichen Russen stammen) hat man mit hohen Zinsen in das Steuerparadies gelockt. Am Ende betrugen die Einlagen der Kunden (40 Prozent aus dem hauptsächlich nicht europäischen Ausland) 700 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (in Deutschland sind es gerade 300 Prozent).
Ins Trudeln kamen die Banken durch den griechischen Schuldenschnitt, bei dem sie vier Milliarden Euro abschreiben mussten. Darin ist die Zypern-Krise mit Irland, Island oder mit Spanien vergleichbar, wo ebenfalls die Banken sich mit Krediten verspekuliert haben. Sobald die Staaten anfingen, ihre Banken zu stützen, wurde aus der Finanzkrise eine Staatsschuldenkrise.
Zehn Milliarden Euro an Krediten, auszuzahlen über den ESM, hatten die Euroländer (zusammen mit Internationalem Währungsfonds und EZB) in der Nacht zum vergangenen Samstag dem Land in Aussicht gestellt, allerdings nur, wenn Zypern selbst einen Eigenbeitrag von sieben Milliarden Euro aufbringt. 5,8 Milliarden davon sollte sich der zyprische Staat in einer Art Zwangssteuer von den Konten der Bankkunden holen, wobei Sparer bis 100.000 Euro 6,75 Prozent, alle anderen mit 9,9 Prozent belangt werden sollten.
Dass zu diesem drakonischen und in der bisherigen Rettungspraxis unüblichen Mittel gegriffen wurde, hat nicht nur erzieherische Gründe, sondern ist schlicht dem Umstand geschuldet, dass bei noch größeren Krediten durch den ESM die Verschuldung Zyperns bald auf 200 Prozent des BIP geschossen wäre - eine Last, die das Land nie und nimmer begleichen könnte.
Die Chaoswoche hat den Skeptikern Munition verschafft
Die Wut war groß, als plötzlich Kleinsparer entdeckten, dass auch sie kreditgebende Gläubiger ihrer Banken sind, wo sie doch meinten, ihr Geld sei sicher in den Tresoren aufbewahrt und von der Einlagensicherung vor Konfiszierung geschützt. Doch die zyprische Regierung nahm den Rechtsbruch in Kauf, weil sie fürchtete, ihre wohlhabende Kundschaft zu vertreiben, wenn andernfalls nur Großvermögen mit Abschlägen von 15 Prozent oder mehr geschröpft würden.
Als Mitte der Woche das Chaos perfekt war, haben die Zyprer alle Zusagen kassiert und mutig vor dem alsbaldigen Untergang die Augen verschlossen. Dass ein Plan B, mit heißer Nadel eilig gestrickt, von den Rettungseuropäern sogleich als kuriose Mogelpackung entlarvt wurde, war abzusehen: Denn statt in bar zu bezahlen, wollen sie sich neue Kredite beschaffen, deren Rückzahlung in den Sternen steht. Womöglich - soweit am Samstag zu erkennen - willigt man jetzt doch ein in die Abgabe auf Bankguthaben (dann jedoch bis zu 25 Prozent), um in letzter Sekunde an die rettenden Fleischtöpfe zu kommen.
Die Chaoswoche hat jenen Skeptikern Munition verschafft, die dafür plädieren, Zypern bankrott und seinen eigenen Weg gehen zu lassen. Warum müssen die Bürger der Euroländer das faule Geschäftsmodell einer Winzinsel retten? Ihre Notlage ist hausgemacht, weder von bösen Ratingagenturen noch von verrückten Finanzmärkten ausgelöst. Eine Insel, 225 Kilometer lang und 90 Kilometer breit, die so viel Einwohner hat wie Köln, macht ganz Europa nervös und soll „systemrelevant“ sein. Die als notorisch hypernervös geltenden Kapitalmärkte (der Euro eingeschlossen) haben bemerkenswert gelassen reagiert. Ist dies ein Zeichen, dass aus Zypern kein Virus auf den Rest der Eurozone überspringen wird? Als ökonomisches Schwergewicht ist Zypern bislang eher nicht aufgefallen. „Die europäische Politik hat sich mit dem Gerede von einer Systemrelevanz in eine Sackgasse manövriert“, schimpft Jürgen Stark, ehemals Chefvolkswirt der EZB.
Ist eine indirekte Ansteckung ein realistisches Szenario?
Selbst das überdimensionierte Bankensystem taugt, anders als noch im Fall Irland, nicht für ein Katastrophenszenario. Zwar sind Zyperns Banken gewaltig - im Vergleich zur Wirtschaftsleistung der Insel. Aber sie sind winzig - im Verhältnis zum Finanzsystem Europas. „Ausländische Banken haben gegenüber Zypern lediglich Forderungen in Höhe von gut 50 Milliarden Euro“, sagt Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Das würde das System verkraften. Denn Zyperns Banken finanzieren sich vor allem aus den Spareinlagen, deren Verlust keine Auswirkung auf andere hat.
Filialen zyprischer Banken in Griechenland mit Einlagen von rund 14 Milliarden Euro wurden in der Nacht zum Freitag eilends von griechischen Banken übernommen. Damit wurde an der verwundbarsten Stelle eine Ansteckung verhindert. Der Rest ist beherrschbar: „Die Eurozone ist deutlich besser aufgestellt als vor drei Jahren und könnte mit zusätzlichen Maßnahmen für die anderen Staaten die Lage in den Griff bekommen“, heißt es zur Beruhigung aus Kreisen der deutschen Regierung.
Anhänger der Rettungspolitik in den Euroländern lassen sich nicht so schnell beruhigen. Mag sein, dass von Zypern keine direkte Ansteckungsgefahr auf andere Banken ausgeht. Aber wird eine Pleite womöglich auf indirektem Wege böse Folgen auslösen? Wenn das Vermögen von Sparern - Kleinen oder Großen - konfisziert wird, könnten Bürger in größeren Krisenländern wähnen, auch ihr Geld sei vor Enteignung nicht geschützt, sollte das Land Hilfe aus den europäischen Fördertöpfen brauchen. Ist diese indirekte Ansteckung ein realistisches Szenario? Das wird man erst im Nachhinein wissen. Die vergangene Woche der Zypern-Krise gibt indessen eher Entwarnung. Zwar gab es wie bei jeder neuen Zuspitzung der Euro-Krise Sparer, die Geld in die Schweiz schafften. Und die große amerikanische Fondsgesellschaft Pimco (ein Tochterunternehmen der Allianz) kündigte an, ihr Europa-Engagement zurückfahren zu wollen. Aber Panik, ein Sturm auf die Geldautomaten außerhalb Zyperns blieb aus. „Vor der Bank gegenüber meinem Büro gibt es keine Schlangen“, kommentierte Ökonom Hans-Joachim Voth in Barcelona. Spanien konnte sich sogar billiger Geld leihen als jemals seit Beginn der Euro-Krise. Und der Dax schien sich zumindest nicht entscheiden zu können, ob er steigen oder fallen sollte.
Die Zyprer könnten nach Argentinien blicken
Keine Frage: Ließe Europa die Inseln kentern, wäre das für die Zyprer böse. Die Banken wären pleite, der Staat auch. Wahrscheinlich könnte er noch nicht einmal die Versicherung für die Spareinlagen auszahlen. Von der EZB käme kein frisches Geld. Eine Zeitlang reicht das Bargeld, irgendwann aber können etwa Fluglinien ihr Kerosin nicht mehr bezahlen. Die Regierung würde Schuldscheine ausgeben, die zu einer Art Parallelwährung werden. Womöglich bilden sich Ersatzwährungen - wie die Zigaretten in der Nachkriegszeit. Schritt für Schritt würde Zypern den Euro verlassen.
Die Insolvenz Zyperns würde durch einen Euro-Austritt zwar nicht gelöst, meint Bernd Lucke, Wirtschaftsprofessor und Mitbegründer der Anti-Euro-Partei „Alternative für Deutschland“. „Aber wenn man jetzt in Zypern aufräumt, dann kann man auch gleich eine nationale Währung einführen, um die Wettbewerbsprobleme zu lösen.“
Ohne den Euro könnte Zypern seine Währung abwerten - das müsste die Wirtschaft ankurbeln. Zwar hat Zypern wenig Exportgüter. Und das alte Geschäftsmodell als Offshore-Bankenplatz ist dahin. Doch selbst die Ausfuhr von Rohstoffen wie Gas und der Ersatz von Einfuhren durch eigene Produkte gelingt besser, wenn die Währung abwerten kann. Die Zyprer könnten nach Argentinien blicken: Als das Land vor elf Jahren seinen Peso vom Dollar löste, folgten drei heftige Monate. Nach einem Jahr aber stabilisierte sich die Situation.
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