Zypern-RettungEin Modell für Europa
31.03.2013 · In Zypern müssen für die Pleite der Banken die Gläubiger bluten. Eine Ausnahme, sagen die Politiker. Warum eigentlich? Wer sein Geld zur Bank bringt, muss sich des Risikos bewusst sein.
Von CHRISTIAN SIEDENBIEDEL
Die Banken in Zypern haben wieder geöffnet, und eine Katastrophe in Europa ist ausgeblieben. Das Geld fließt wieder, wenn auch nur eingeschränkt. So dürfen Bankkunden pro Tag nicht mehr als 300 Euro abheben und im Ausland nur noch bis zu 5000 Euro pro Monat mit der Kreditkarte ausgeben. Alle größeren Auslandsüberweisungen bedürfen einer Genehmigung. Und wer das Land verlässt, darf höchstens 1000 Euro in bar mit sich führen. Zyperns Präsident dankte den Bürgern seines Landes für die Ruhe, mit der sie auf die dramatischen Ereignisse reagiert hätten.
Auch die Investoren an den internationalen Finanzmärkten zeigten sich erleichtert. Der Euro-Kurs stieg am Donnerstag wieder, nachdem er am Tag zuvor ein Tief von 1,277 Dollar erreicht hatte. Und auch der deutsche Aktienindex Dax legte etwas zu.
Politiker streiten Vorbildcharakter Zyperns ab
Kein Wunder, dass sich angesichts dieser verhältnismäßig ruhigen Entwicklung eine Frage aufdrängte: Ist die Zypern-Rettung, wenn sie gelingt, ein Modell für Europa? Der Chef der Eurogruppe, Jeroen Dijsselbloem, hatte bereits zum Wochenbeginn in einem Interview mit der „Financial Times“ durchblicken lassen, Zypern könnte zur „Vorlage“ werden, wie Europa künftig mit bankrotten Banken und Staaten umgeht.
In der Aussage steckte Sprengstoff. Das „Modell Zypern“ auf ganz Europa zu übertragen, würde bedeuteten, dass bei der Euro-Rettung die Steuerzahler der Garantieländer nicht mehr die gesamten Lasten tragen müssten. Sondern dass man Anlegern, die unsicheren Banken zu hohen Zinsen Geld geliehen haben, einen Teil des Schadens zumuten kann, wenn ihre Spekulation schief geht.
Zwar waren Politiker überall in Europa bemüht, den Vorbildcharakter Zyperns abzustreiten. Auch Dijsselbloem selbst erklärte später, er sei da wohl irgendwie missverstanden worden. Die Motivation für diese Dementis war durchschaubar. Die Politiker fürchteten, Anleger könnten ihr Geld aus anderen Krisenländern abziehen, weil ihre Bankguthaben auch dort womöglich für Euro-Rettungsmaßnahmen eingesetzt werden.
Bislang regierte die Angst vor Ansteckung
Dabei wurde in Zypern genau das gemacht, was seit Beginn der Finanzkrise alle fordern: Die Gläubiger der Banken wurden an den Kosten der Bankenpleiten beteiligt. Die Idee, so könnte man es künftig immer machen, ist alles andere als abwegig. „Ich halte das durchaus für einen gangbaren Weg“, sagt Hans-Peter Burghof, Bankenprofessor in Stuttgart-Hohenheim.
Zum ersten Mal seit Beginn der Eurokrise wurde der unheilvolle Zyklus aus Banken- und Staatenrettung wirksam durchbrochen. Bislang wurden Banken, die sich verspekuliert hatten, immer von ihren jeweiligen Staaten aufgefangen. Daraufhin gerieten die Staaten selbst in Schieflage. Und mussten sich von den anderen Euroländern herauspauken lassen.
Stets steckte dahinter die Angst vor der Ansteckung, auf Ökonomen-Englisch „Contagion“. Damit konnten die Retterstaaten hervorragend erpresst werden: Wenn ihr eine Bank oder einen Staat in Südeuropa kippen lasst, so die Argumentation, reißt das eure eigenen Banken mit. Zum einen, weil eure Banken südeuropäische Anleihen in ihren Büchern haben. Zum anderen, weil die Gläubiger dann von euren Banken verängstigt ihr Geld abziehen, wenn anderswo Bankengläubiger zur Kasse gebeten werden.
Überschaubare Auswirkungen auf die Anleihemärkte
Zypern zeigt, so dramatisch muss es nicht kommen. Vielleicht war das Land als Versuchsobjekt besonders geeignet, weil es relativ klein ist, so dass die Angst vor einer Katastrophe gering war. Außerdem war die europäische Öffentlichkeit hier besonders aufgeschlossen für eine Gläubigerbeteiligung, weil zu den Gläubigern auch russische Milliardäre unter Geldwäsche-Verdacht gehörten. Auf jeden Fall hat es funktioniert.
Dass andere Länder sich bei Zypern richtig „angesteckt“ hätten, war nicht zu beobachten. Im Land selbst blieb die befürchtete Panik aus, und die Reaktionen im Ausland waren eher verhalten. Spanien konnte sogar billiger als jemals zuvor in der Eurokrise neue Staatsanleihen platzieren. Italien musste für seine neuen Anleihen zwar höhere Zinsen zahlen, Beobachter an der Börse gaben aber weniger Zypern die Schuld, sondern den Schwierigkeiten mit der Regierungsbildung in dem Land selbst. Und obwohl die Ratingagentur Moody’s mit Verweis auf Zypern den Ausblick für das Rating von Portugal und Irland auf „negativ“ beließ, blieben die Auswirkungen auf die Anleihemärkte überschaubar.
Gläubigerbeteiligung nicht durchdacht
Die Anlegerbeteiligung in Zypern hat also nicht zu einem Zusammenbruch des ganzen Systems geführt. Ob das bei anderen Ländern mit stärker vernetzten Banken auch so leicht wäre, darüber kann man sich streiten. Aber wenn die Steuerzahler in den Retterländern irgendwann nicht mehr bereit sind zu zahlen, bleibt kaum noch etwas anderes übrig.
Mit Sicherheit dürfte der Fall Zypern die Bankengläubiger überall in Europa daran erinnert haben, dass es alles andere als risikolos ist, einer Bank sein Geld anzuvertrauen. Als „großen Fehler“ bezeichnen es viele Experten im Nachhinein, dass zunächst auch Sparer mit Einlagen von weniger als 100.000 Euro an den Kosten der Bankenrettung beteiligt werden sollten. Clemens Fuest, seit kurzem Chef des Forschungsinstituts ZEW in Mannheim, sieht es als Zeichen dafür, dass die Gläubigerbeteiligung nicht gut genug vorbereitet und durchdacht gewesen sei.
Sparer sind Gläubiger von Banken
Ein Aufschrei ging durch Europa, weil in der EU Spareinlagen bis 100.000 Euro eigentlich durch die staatliche Einlagensicherung geschützt sind. Wenn eine Bank pleite ist, so hat man vereinbart, ist es Aufgabe des jeweiligen Staates, diese Einlagen zu ersetzen. Auch wenn in Zypern die Beteiligung der Anleger als Abgabe konstruiert wurde, sahen viele darin einen Bruch des Versprechens.
Die Idee, dass der Staat die Einlagen der Sparer versichert, ist unter Ökonomen ohnehin umstritten. Normalerweise ist es ein gutes Prinzip, dass die Gläubiger eines Unternehmens bei einer Pleite ihr Geld verlieren. So denken sie schon vorher gut darüber nach, wem sie ihr Geld leihen. Nun sind Sparer am Ende nichts anderes als Gläubiger von Banken, auch wenn sie darüber in der Regel nicht nachdenken. Der Bankkunde leiht der Bank Geld, die es dafür nutzt, anderen Kredit zu gewähren. Für seinen Kredit bekommt der Kunde Zinsen - und zwar in der Regel höhere, wenn es sich um eine riskante Bank handelt.
„Grundrecht aufs Sparen“
Entsprechend konsequent wäre es eigentlich, wenn die Sparer auch Geld verlieren, falls ihre Bank pleite geht. Allerdings kann man argumentieren, zumindest der durchschnittliche Kleinsparer sei damit überfordert, sich permanent um die Kreditwürdigkeit seiner Bank zu kümmern - neben Arbeit, Familie und sonstigem Leben. Immerhin kommt er nicht ganz leicht an Informationen, und er ist in der Regel kein Kapitalmarkt-Spezialist. Zugleich ist die Möglichkeit zu sparen für alle Menschen wichtig, auch im Interesse der Volkswirtschaft. Daraus leiten manche Leute eine Art „Grundrecht aufs Sparen“ ab und rechtfertigen so den Schutz der Kleinsparer durch die Steuerzahler.
Bankenprofessor Burghof führt zur Veranschaulichung eine Frau aus einer Geschichte von Mark Twain an, die ihr Leben lang auf einem Mississippi-Schiff schuftet. Das bisschen Geld, das sie verdient, zahlt sie immer bei einer Bank ein. Als sie alt ist, Rheuma bekommt und an Land geht, um das Geld für ihren Ruhestand abzuheben, ist die Bank weg. Die Frau stand plötzlich völlig mittellos da. „Das ist einfach nicht fair“, meint Burghof.
Kleinsparer werden geschont
So rechtfertigt man, dass in Europa die Staaten eine Garantie für die Einlagen der Sparer abgeben. Zugleich haben sie aber eine Obergrenze eingezogen. Denn dass eine solche Versicherung auch Nachteile mit sich bringt, haben die Ökonomen Douglas Diamond und Philip Dybvig schon 1983 herausgestellt. Wenn der Staat Einlagen mit einer Garantie absichert, steigen die Anreize für Banken, damit risikoreich zu wirtschaften. Und die Anreize für Sparer sinken, den Banken auf die Finger zu schauen.
Bei der Zypern-Rettung hat man sich letztlich entschieden, die Einlagen unter 100.000 Euro von der Beteiligung an den Rettungskosten auszunehmen. Weil der Betrag, mit dem Zypern sich beteiligt, aber nicht schrumpfen sollte, musste die Last für Anleger mit großen Sparguthaben entsprechend höher ausfallen. 37,5 Prozent ihres Geldes sollen die Groß-Sparer der Bank of Cyprus in einem ersten Schritt verlieren. Weitere Abzüge könnten folgen, sagte Zyperns Finanzminister Michalis Sarris am Samstag.
Zyprische Aktienbesitzer im Vorteil
Wer über große Sparguthaben verfüge, sei in der Regel ein recht professioneller Anleger, meint Bankenprofessor Burghof. Er kalkuliere: Wo bekomme ich für mein Geld bei möglichst viel Sicherheit möglichst hohe Zinsen? Zypern war dafür ein Paradies. Die Zinsen lagen deutlich über dem Schnitt. Zugleich galt das Geld auf Zypern als relativ sicher, weil das Land ja Mitglied in der Europäischen Union ist und zur Eurozone gehört. So spekulierten Anleger aus Russland, England und aller Welt darauf, dass die anderen Euroländer Zypern schon nicht fallen lassen würden. Und zwar sogar dann noch, als der Inselstaat im vorigen Sommer selbst zugab, dringend Hilfe von außen zu brauchen. „Diesen Anlegern muss man deutlich machen, dass sie nicht immer und überall vom Steuerzahler gerettet werden, wenn ihr riskantes, hoch verzinstes Engagement daneben geht“, meint Burghof. „Nichts ist dafür besser geeignet als eine Gläubiger-Beteiligung bei Bankenpleiten.“
Infolge der Zypern-Rettung könnten immer mehr Bankkunden bemerken, dass sie bei gewöhnlichen Spareinlagen genauso das Risiko kalkulieren müssen wie bei Aktien und Anleihen. Das ist eine Wendung, die nicht unterschätzt werden sollte. „Die Erfahrungen aus der Zypern-Rettung werden zu einer Neubewertung von Anlagen führen“, sagt Andreas Höfert, Chefökonom der Schweizer Großbank UBS. „Cash zu halten, ist auf einmal nicht mehr risikolos.“ In Zypern sind diejenigen Menschen besser gefahren, die ihr Geld in Aktien gesteckt hatten, als diejenigen, die ihr Geld den Banken als Einlage anvertrauten. „Die vermeintlich risikoärmere Anlage entpuppt sich als die risikoreichere“, folgert Höfer.
Beginn der nach-solidarischen Ära
Die Ökonomen der Research-Abteilung der Deutschen Bank gehen sogar noch einen Schritt weiter: Sie meinen, durch die Zypern-Rettung und deren Erhebung zum europäischen Modellfall würden weitere bislang sichere Anlagen auf einmal unsicher. Die Banker sagen, mit dem Schuldenschnitt in Griechenland seien die bis dahin als sicher geltenden Staatsanleihen auf einmal unsicher geworden. Nach der Beteiligung der Anleger an der Zypern-Rettung würden nun auch die Bankeinlagen nicht mehr als verlässlich eingestuft. „Nach Staatsanleihen ist eine weitere, einstmals als sicher geltende Assetklasse beschädigt“, sagt Bernhard Speyer, Ökonom der Deutschen Bank.
Der internationale Bankenverband IIF warnt sogar, Europa trete jetzt in die „Post Solidarity Era“ ein, in die nach-solidarische Ära. In dieser neuen Normalität fühle ein Staat sich nicht mehr für den anderen verantwortlich. Die Banken stoßen damit in dasselbe Horn wie Zyperns Außenminister Ioannis Kasoulidis, der im Interview mit der F.A.Z. sagte: „Wir haben dieses Vorgehen nicht als europäische Solidarität empfunden.“
Anlegern werden die Augen geöffnet
Doch die Sorge der Banken um die Solidarität der Völker und die Sicherheit der Bankeinlagen als Anlageklasse ist vor allem die Sorge um sich selbst. Wenn bei Bankenpleiten die Gläubiger statt der Steuerzahler herangezogen werden, wird die Finanzierung des eigenen Geschäfts für die Banken tendenziell schwieriger und teurer.
Aber muss das etwas Schlechtes sein? Wäre es nicht vielmehr gut, wenn Anleger bei der Frage, wem sie ihr Geld geben, auch das Ausfallrisiko angemessen berücksichtigen? Geld zur Bank zu bringen, bedeutet eben nicht, es im Tresor wegzusperren. Die Bank arbeitet damit, und das bringt auch Risiken mit sich. Dafür öffnet das Vorgehen im Fall Zypern den Anlegern nun die Augen.
Gewisse Folgen dieser Neubewertung spürte man bereits in der vergangenen Woche. Die Risikoaufschläge für die Anleihen einiger südeuropäischer Banken stiegen, die Kurse einiger Bankaktien fielen. Und es gab wieder Bankkunden, die Geld in die Schweiz brachten, wenn auch nicht massenhaft. „Menschen in Deutschland werden sich vielleicht keine Sorgen machen“, meint UBS-Chefökonom Höfert. „Aber Anleger in Slowenien, Italien oder Spanien werden sich fragen, ob ihre Bankeinlagen bei der nächsten Euro-Rettungsaktion auch mit herangezogen werden. Die Frage ist aus meiner Sicht berechtigt.“
Von den Beteuerungen der Politiker jedenfalls, Zypern sei ein absoluter Ausnahmefall, hält Höfert wenig. „In der Eurokrise wird immer gesagt, es handele sich nur um einen Spezialfall. Das muss man nicht glauben.“
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