NETauchsiederLüftet endlich das Bankgeheimnis
24. August 2014
Es soll sie tatsächlich noch geben. Zeitgenossen, die das Bankgeheimnis als Symbol der Freiheit preisen. Als Refugium der (Erfolg-)Reichen, die verzweifelt Schutz suchen vor der (Neu-)Gier des unersättlichen Steuerstaates. Erzählt wird die Legende vom Segen des Bankgeheimnisses besonders gern von Menschen, die ihr Geld "in Sicherheit" bringen wollen und sich selbst auf der "Flucht" wähnen: vor angeblich prohibitiv hohen Steuern, konfiskatorisch agierenden Finanzämtern, sozialistisch gesinnten Regierungen... Das ist frech. Aber Frechheit ist nicht strafbar.
Es gibt noch eine zweite Legende. Sie macht besonders fleißig unter Schweizer Bankiers die Runde und erzählt von einem Land, dass seinen Aufschwung Anfang des 20. Jahrhunderts auch Bankkunden verdanke, die damals auf der Flucht vor totalitären Regimen gewesen seien. Diese Legende wird gern zugespitzt auf die Behauptung, dass die Schweiz mit ihrem Bankgeheimnis ursprünglich humanitäre Absichten verfolgt und zahllose Juden vor der Beraubung durch die Nazis geschützt habe. Das ist Unsinn. Denn erstens lassen sich von den 2,2 Millionen Konten, die zwischen 1933 und 1945 von Ausländern in der Schweiz eröffnet wurden, gerade einmal 30.000 Opfern der Shoah zuordnen. Zweitens erlebte die Verwaltung von Offshore-Vermögen in der Schweiz ihren - bis dahin - größten Boom bereits in den 1920er Jahren. Und drittens wurde nur ein kleiner Bruchteil des Geldes, das den Weg in die Schweiz antrat, auch dort investiert, der große Rest hingegen in ausländischen Wertpapieren angelegt, die auch in der Schweiz dem Risiko von Abwertungen, Zahlungsausfällen, Konkursen und Kriegen ausgesetzt waren.
Sieben goldene Regeln für die Selbstanzeige
1. Schnell handeln
2. Nichts verbergen
3. Liquidität sicherstellen
4. Beraten lassen
5. Steuerberater nicht einbeziehen
6. Status beachten
7. Verbundene Straftatbestände prüfen
Anders gesagt: Nicht Verfolgte, Bedrohte, Eingeschüchterte waren zwischen Erstem und Zweitem Weltkrieg auf der "Flucht" in die Schweiz, um sich und ihr Geld "in Sicherheit" zu bringen. Nicht besorgte, ehrbare Kaufleute, die ihr Geld vor instabilen Verhältnissen in ihren Heimatländern bringen wollten, suchten finanziellen Unterschlupf im "sicheren Hafen" der Schweiz. Nein, dass sich die Auslandsvermögen in der Schweiz von 1920 bis 1938 verzehnfachten, ging damals schon - wie heute - (fast) allein und ganz buchstäblich auf das Konto von so genannten Steuerflüchtlingen. Ihr "Schutzbedürfnis" in Lobreden auf das Bankgeheimnis rhetorisch kurz zu schließen mit dem Schutzbedürfnis von jüdischen Flüchtlingen - das allerdings ist nicht nur frech, sondern auch frivol.
Auch Frivolität ist nicht strafbar. Weshalb der französische Ökonom Gabriel Zucman, gerade mal 27 Jahre jung und schon Juniorprofessor an der London School of Economics (LSE) nun die Geschichte der "Steueroasen" erzählt - und mit einem radikalen politischen Programm vorschlägt, ihrer "Plage" den Garaus zu bereiten. Man merkt ziemlich schnell, dass Zucman ein gelehriger Schüler des französischen Ökonomen Thomas Piketty ist. Piketty hat vor wenigen Monaten mit einer breitangelegten Studie über die Zunahme der Ungleichheit in westlichen Industrieländern viel Aufsehen erregt. Beide, Piketty und Zucman, sind reichlich ausgestattet mit Empörungsbereitschaft und Selbstbewusstsein, mit Archivmaterial und analytischer Kraft; beide überrumpeln ihre Leser mit einem stupenden Mix aus "erstmalig" ausgewerteten Primärquellen, frisch gehobenen Daten und "exklusiven" Berechnungen, auf deren Grundlage sie (zuweilen) recht steile Schlussfolgerungen anstellen und gegenwartspolitisch kommentieren, was das Zeug hält.
Im Falle von Zucman allerdings ist das kein Mangel, weil er - anders als Piketty - mit seinen Methoden und Daten nicht versucht, letzten Wahrheiten auf den Grund zu kommen, sprich: ökonomische Gesetze aufzustellen. Statt dessen beschränkt er sich zwischen den kühl präsentierten Fakten seines straffen 110-Seiters auf die Rolle des scheinbar naiven, zornigen, jungen Mannes, der aus guten Gründen nicht verstehen kann: Warum eigentlich dürfen Länder wie die Schweiz und Luxemburg Steuerflüchtlingen anbieten, ihren Wohnsitzstaat zu bestehlen, ohne dafür mit Sanktionen rechnen zu müssen? Was brachte Länder wie Deutschland und Frankreich auf die Idee, die Kapitaleinkünfte ihrer Reichen geringer zu besteuern als die Arbeitseinkommen ihrer Mittelschichten? Und wieso eigentlich reicht die Macht der USA, der EU, der G-20-Länder nicht aus, Kleinstaaten wie Singapur zum automatischen Informationsaustausch zu bewegen, ganz zu schweigen von Zwergstaaten wie die Bahamas zur Preisgabe von Daten über "juristische Personen", die hinter Briefkastenfirmen ihre persönliche Identität verschleiern?
Und so gelingt Zucman, weil er (sich) fragt wie ein staunendes Kind, eine rundum beeindruckende Analyse der Steueroasen. Sie beginnt, wie angedeutet, als Geschichte eines Monopols: Bereits Mitte der 1970er Jahre, so Zucman beispielhaft, waren dank staatlich-banklich garantierter Anonymitätsgarantie, rund 30 Prozent aller amerikanischen Aktien (und fünf Prozent des europäischen Finanzvermögens) in der Schweiz deponiert. Seither legen die Ultrareichen ihr Geld auch in Hongkong, Singapur oder Jersey an, doch das bedeutet nicht, dass die Schweiz dadurch ihre führende Rolle verloren hätte, so Zucman.
Vielmehr habe man sich die Schweiz als eine Art Dachgesellschaft der globalen Steuerhinterziehung vorzustellen, in der die vielen Fäden der verschleiernden Vermögensverwaltung mit ihren ausdifferenzierten Geschäftszweigen (Luxemburg: klassische Fonds; Kaimaninseln: Hedgefonds; Irland: Geldmarktfonds etc.) zusammenlaufen. Das heißt: Es gibt zwar keine Nummernkonten mehr in der Schweiz, aber es gibt dort immer noch Banken, die ihren Kunden bei der Eröffnung einer Briefkastenfirma auf den britischen Jungferninseln behilflich sind. 60 Prozent der Vermögen, die Ausländer in der Schweiz geparkt haben, so Zucman, sind solchen Briefkastenfirmen zugeordnet - Briefkastenfirmen, die Steuerhinterziehern Anonymität gewähren, und die ihr Geld bevorzugt in luxemburgische Investmentfonds investieren - steuerfrei, versteht sich, weil in Luxemburg weder Fondsdividenden noch Anlegererträge anfallen.
Welche Strafen Steuertricksern drohen
10.000 Euro hinterzogen
Tagessätze
Berechnung des Tagesatzes
Anzahl der Tagessätze
Verhältnis zur hinterzogenen Steuer
20.000 Euro hinterzogen
Regionale Unterschiede
Schwere Vergehen
Zucman hat ausgerechnet, dass die Konten von Devisen-Ausländern in der Schweiz 1800 Milliarden Euro schwer sind - und dass es mitnichten russische Oligarchen, afrikanische Potentaten oder albanische Drogenbosse sind, die "hinter den sieben Bergen" das meiste Geld bunkern. Im Gegenteil, 1000 Milliarden Euro stammen Zucmans Berechnungen zufolge aus europäischen Quellen, davon 200 Milliarden allein aus Deutschland. Insgesamt befinden sich damit in der Schweiz knapp 30 Prozent aller globalen Offshore-Vermögen, die sich laut Zucman auf stolze 5800 Milliarden Euro summieren - "minimal geschätzt", wohlgemerkt, weil in den Berechnungen kein Bargeld, keine Lebensversicherungen und keine nichtfinanziellen Vermögenswerte (Yachten, Chalets, Kunstwerke etc.) berücksichtigt sind.
Weil nach seinen Daten 80 Prozent der Offshore-Vermögen steuerlich nicht deklariert werden, rechnet Zucman weiter, müssen die Heimatländer der Ultrareichen "unerträgliche Steuerverluste" in Höhe von rund 130 Milliarden Euro jährlich hinnehmen - auch das eine betont vorsichtige Schätzung, weil sie weder entgangene Einnahmen von unversteuertem Geld aus kriminellen Quellen berücksichtigt noch die Milliarden, die Staaten durch die Steueroptimierungsmodelle globaler Konzerne entstehen. Dem deutschen Fiskus beispielsweise entgehen rund 10 Milliarden Euro jährlich durch steuerlich nicht deklarierte Offshore-Vermögen - und 20 weitere Milliarden durch die Gewinnverschiebungs-Akrobatik der Konzerne.
Zucman stellt klar, dass es einem Staat bei der Verfolgung von Steuerhinterziehung niemals um mehr Einnahmen um der Einnahmen willen gehen darf. Statt dessen hält er den Kampf gegen Steuerhinterziehung für geboten, "weil er es erlaubt, dieSteuern für die überwiegende Mehrheit der Steuerzahler zu senken". Am Beispiel Frankreichs, das weiß Gott Steuersenkungen vertragen könnte, veranschaulicht er die erschreckende Dimension der Steuerhinterziehung: Die kumulierten Kosten des Bankgeheimnisses belaufen sich dort bis 2013 auf 480 Milliarden Euro und: "Ohne Bankgeheimnis läge die Staatsverschuldung nicht bei 94 Prozent des BIP, sondern bei 70 Prozent.
Was also schlägt Zucman vor? Bevor er darauf eine Antwort gibt, listet er erst einmal all die erfolglosen Versuche der OECD, EU und USA auf, die Steueroasen trocken zu legen. Das Ende der Schweizer Nummernkontos mündete in der Konjunktur karibischer Briefkastenfirmen - davon war bereits die Rede. Als die G-20-Länder 2009 einen "Informationsaustausch" auf den begründeten Verdacht der Steuerhinterziehung anordneten und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy bereits das "Ende der Steueroasen" verkündete, buchten Schweizer Banken das Geld auf Konten ihrer Zweigstellen in Singapur und Hongkong um, die aller Welt erklärten, am Bankgeheimnis festhalten zu wollen: "Das Geld bleibt bei denselben Banken", so Zucman lakonisch, "aber es sucht sich seine Gesetze (vielmehr Gesetzeslücken) aus." Mit dem Ergebnis, so Zucman, dass die Gesamtsumme der in der Schweiz verwalteten Vermögen von Ausändern von 2009 bis 2013 um 14 Prozent gewachsen ist, in Singapur und Hongkong hingegen um 25 Prozent. "Ende der Steueroasen"? Das Gegenteil ist der Fall.
Zucman stellt minutiös dar, woran es selbst den ambitionierten Versuchen der USA mangelt, das Problem der Steueroasen zu lösen. Die Amerikaner haben zwar 2013 die Schweiz zum automatischen Datenaustausch gezwungen, aber zum Beispiel mit Hongkong keine ähnliche Vereinbarung erzielen können. Demgegenüber würdigt Zucman die Geschichte der Europäischen Zinssteuerrichtlinie, die am 1. Juli 2005 in Kraft trat, keiner Kritik - er wertet sie als Skandal: Sie wolle nichts von Dividenden-Einkünften wissen. Sie taste das Bankgeheimnis in Österreich und Luxemburg nicht an. Und ihre Quellensteuer gelte nur für Konten natürlicher Personen, erfasse also keine Briefkastenfirmen.
Steueroasen
Bahamas
Dublin
Amsterdam
Berlin
Guernsey
Antwerpen
Stockholm
Cook Islands
Die Folge, so Zucman: Nur die kleinsten Fische gingen ins Netz. Die dicksten Fische hingegen genössen quasigesetzlichen Artenschutz. Anders gesagt: Eine Steuer-CD hie und Uli Hoeneß da - das ist nur die sichtbare, quantitativ blasse Oberfläche eines unsichtbaren, sich immer weiter verzweigenden Betrugsgeschäfts, an dessen Blüte auch ein Informationsaustausch mit Österreich und Luxemburg (ab 2015) nichts ändern werden. Es sei eine "Illusion" zu glauben, dass die Profiteure von Steueroasen es ernst meinten mit Transparenz und Zusammenarbeit, so Zucman. Statt dessen müsse man Staaten und Banken, die am Wirtschaftsmodell "Steuerbetrug" festhielten, mit handfesten Drohungen auf Kurs bringen.
Zucman schlägt vor allem drei Maßnahmen vor, einen Mix aus Kontrolle, Zwang und Konfiskation. Erstens ein weltweites Finanzkataster, in dem alle Aktien und Anleihen (möglichst auch: Derivate) aufgelistet sind - und auf das die Finanzämter aller Länder einen Zugriff haben. Zucman hofft, mit diesem Kataster die Eigentümer aller weltweit zirkulierenden Wertpapiere identifizieren und Briefkastenfirmen enttarnen zu können.
Zweitens schlägt Zucman vor, mit zwischenstaatlich koordinierten Sanktionsdrohungen Druck auf Steueroasen auszuüben. Warum sollten die USA und Europa den Bahamas, die extrem abhängig sind von ihren dunklen Finanzgeschäften, nicht mit einer Anhebung der Quellensteuer auf 100 Prozent drohen, um endlich Transparenz durchzusetzen? Warum sollten Frankreich, Deutschland und Italien die Schweiz nicht mit Zollsanktionen in Höhe der entgangenen Steuermilliarden belegen, wenn man doch weiß, dass der Schweizer Export zu 35 Prozent von diesen drei Ländern abhängt? Und warum sollte man Luxemburg nicht mit dem Ausschluss aus der EU drohen, wenn es sich bei ihm doch immer weniger um einen souveränen Staat als um eine exterritoriale "Plattform der weltweiten Finanzindustrie" handelt? Ja - warum eigentlich nicht? Es ist jedenfalls schwer widerlegbar, was Zucman schreibt: "Steuerparadiese und zuvorderst Luxemburg sind die ersten, die das recht jedes Landes verteidigen, seien Steuern selbst zu wählen - sie sind auch die ersten, die dieses Prinzip im Alltag mit Füßen treten."
Drittens schließlich plädiert Zucman, ähnlich wie Piketty, für die Einführung und Durchsetzung globaler Steuern. Eine vom IWF eingezogene Kapitalsteuer in Höhe von zwei Prozent des Wertes aller Wertpapiere zum Beispiel würde bedeuten, dass sich Vermögende einen Teil des Geldes nur dann zurückholen könnten, wenn sie ihr Vermögen tatsächlich erklärten. Und eine globalisierte Körperschaftssteuer würde die Verrechnungsmanipulationen globaler Konzerne beenden, die angeblich in Steuerparadiesen wie Irland Patente, Logos und Algorithmen entwickeln, um dort ihre Gewinne zu versteuern - und nicht in Deutschland oder in den USA.
Alles nur Wolkenkuckucksheim eines zornigen Ökonomen? Eine schöne Utopie, die an der Macht der Realität scheitern muss? Nein, nein, naiv ist Zucman nicht. Im Gegenteil. Es gehört zu den großen Vorzügen seines Buches, dass seine Vorschläge unbedingt praktikabel sind - wenn die Politik sich ihrer bloß annehmen wollte. Und das ist der eigentliche Ertrag ihrer Bücher: Ökonomen wie Zucman und Piketty bringen die Regierenden zurück ins Spiel. Sie demaskieren die gängige Rede von "Pfadabhängigkeiten" und angeblich "irreversiblen Entwicklungen", von "systemischer Macht" und der "Alternativlosigkeit" als das, was es ist: als Selbstkastration der Politik. Politik ist immer ein Spiel mit Optionen. In der Politik hat man immer eine Wahl. Nur Unentschlossenheit, denkt man beim Zuklappen des Buches - die vor allem gehört verboten.
*Gabriel Zucman - Steueroasen, Wo der Wohlstand der Nationen versteckt wird; edition suhrkamp, 14 Euro
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