Russische Gefallene in der UkraineVon den Gräbern verschwinden die Kränze
In Russland werden die Angehörigen der auf ukrainischem Boden gefallenen oder gefangen genommenen Soldaten abgeschirmt. Gräber werden anonymisiert, Entschädigungen verwehrt. Denn offiziell kämpfen weiterhin keine russischen Soldaten in der Ukraine.
27.08.2014, von FRIEDRICH SCHMIDT, MOSKAU
In Russland, jedenfalls in dem kleinen, nichtstaatsgläubigen Teil der Bevölkerung, wächst die Entrüstung über den Umgang der Führung mit den jungen Männern, die in der Ukraine gefallen oder in Gefangenschaft geraten sind. In mehreren Berichten nichtstaatlicher Medien hieß es, die Angehörigen von - insgesamt angeblich zehn bis 15 - vor gut einer Woche nahe Luhansk gefallener Soldaten der 76. Gardedivision der Luftlandtruppen in Pskow würden von der Presse abgeschirmt.
Einen Telefonanruf auf die Nummer der Witwe des Soldaten Leonid Kitschatkin, die über das soziale Netzwerk VKontakte vom Tod ihres Mannes informiert hatte, beantwortete eine Frau, die versicherte, ihr Mann sei wohlauf und bei ihr. Danach gab sich ein Mann am Telefon als Kitschatkin aus und behauptete, er sei wohlauf und bei Frau und Kindern. Tatsächlich jedoch fanden die Journalisten das Grab des Soldaten auf dem Friedhof des Dorfes in der Gegend von Pskow im Nordwesten Russlands, mit Foto und Name auf einer Tafel.
Am Mittwoch berichtete der oppositionsnahe Fernsehsender TV Doschd dann, von den nebeneinanderliegenden Gräbern der am Montag bestatteten Soldaten Kitschatkin sowie Alexander Ossipow seien die Namenstafeln, Kränze des Militärs und Trauerflor entfernt worden. Der Korrespondent des Senders war zuvor zusammen mit Kollegen von zwei Männern angegriffen worden. Offiziell kämpfen weiterhin keine russischen Soldaten in der Ukraine.
„Er ist nicht aus eigenem Willen in die Ukraine gegangen“
Ein lokaler Abgeordneter berichtete nun, in Pskow spreche man offen darüber, dass den Familien der Getöteten von den Behörden auch die Entschädigung verwehrt werde, weil sie als „Freiwillige“ und damit unter Verletzung des Strafgesetzbuches in die Ukraine gezogen seien. Dieses quasijuristische Argument war bisher im Zusammenhang mit den Freiwilligen aus Russland, die in der Ukraine für die im russischen Staatsfernsehen seit langem als Streiter wider den Faschismus glorifizierten Separatisten zu kämpfen, noch nicht bemüht worden.
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Allerdings nähren die neuen Berichte über die getöteten russischen Soldaten auch Zweifel an der Freiwilligkeit der Entscheidung mancher junger Männer, die in die strenge Militärhierarchie eingebunden sind. So vermutete ein örtlicher Journalist aus dem Pskower Gebiet, die Soldaten hätten womöglich tatsächlich Verträge mit „anderen Kräften“ unterschrieben und so ihre Verträge mit den Streitkräften verletzt. Auf Entschädigung könnten die Familien der Getöteten daher nicht hoffen.
Ljubow Maximowa, die Mutter von einem der vermutlich Dutzenden in der Ukraine vermissten Soldaten der 76. Division der Luftlandetruppen, wandte sich mit einem Appell an die ukrainische Führung. „Wenn mein Sohn, Ilja Maximow, sich vor der Ukraine schuldig gemacht hat, dann seien Sie gütig, verzeihen Sie ihm, bitte. Er ist zu keiner schlechten Tat fähig. Er ist nicht aus eigenem Willen in die Ukraine gegangen. Er ist ein Militärmensch, lebt nach dem Reglement. Natürlich hat er all das gemacht, was die oberste Führung gesagt hat. Wenn er, liebe Ukraine, bei euch ist, dann bin ich bereit hinzufahren und ihn abzuholen. Verzeiht ihm. Verzeiht mir“, sagte Maximowa bei einer Pressekonferenz der Union der Soldatenmütter, einer Menschenrechtsorganisation gegen Missstände in der russischen Armee, im südrussischen Saratow.
Für 5200 Euro in den Krieg gegen die Ukraine?
Angehörige von Soldaten der 98. Division der Luftlandetruppen, die in der Nacht zum Montag in der Ukraine festgenommen und worden waren, sagten derweil laut russischen Medienberichten, ihren Söhnen sei mitgeteilt worden, sie würden ins Gebiet Rostow zu Übungen fahren. Ein Vertreter der Führung der Division gestand demnach in einem Treffen mit den Angehörigen der Soldaten ein, bei einem „zufälligen“ Zusammenstoß mit der ukrainischen Armee habe man den Kontakt zu einigen der Soldaten verloren.
Das Verteidigungsministerium hatte am Dienstag inoffiziell eingestanden, dass die Soldaten „zufällig“ die Grenze überquert hätten. Sie wurden an einem Ort festgenommen, der rund 20 Kilometer auf ukrainischem Staatsgebiet liegt. Der ukrainische Geheimdienst SBU hatte Videos der Festgenommenen veröffentlicht. Nach seinem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko am Dienstagabend hatte der russische Präsident Putin diese Version bestätigt.
Die Zeitung „RBK Daily“ berichtete, eine Mutter habe bei dem Treffen der Führung der 98. Division mit Angehörigen der in der Ukraine festgehaltenen - und dort am Mittwoch auf einer Pressekonferenz vorgeführten - Soldaten an Putin appelliert, ihren Sohn zurückzubringen. Ella Poljakowa, Leiterin der Sankt Petersburger Abteilung der Union der Soldatenmütter und außerdem Mitglied des Menschenrechtsrats beim Präsidenten der Russischen Föderation, der vom russischen Ermittlungskomitee Aufklärung über das Schicksal der jungen Männer gefordert hat, berichtete zudem von Söldnern aus der russischen Teilrepublik Dagestan, die für umgerechnet gut 5200 Euro in den Krieg in der Ukraine zögen.
Walentina Melnikowa, ebenfalls führendes Mitglied der Organisation, fühlte sich durch die Intransparenz der Vorgänge um den Einsatz russischer Soldaten in der Ukraine an die „sowjetische Zeit“ erinnert, an den Krieg mit Afghanistan, als der Tod russischer Soldaten ebenfalls geleugnet wurde. Die Zeitung „Wedomosti“ erinnerte auch an vergleichbare Fälle aus Tschetschenien und schrieb am Mittwoch, es sei unmöglich, die Informationen über den Kampfeinsatz völlig unter Kontrolle zu halten. „Jemand muss für die Opfer die Verantwortung übernehmen.“ Eine Mehrheit der Russen lehnt laut Umfragen einen Einmarsch in die Ukraine ab.
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