Vor dem Krisengipfel in MinskUkrainisches Militär nimmt russische Soldaten fest
Kurz vor dem Treffen der Präsidenten Putin und Poroschenko im weißrussischen Minsk hat das ukrainische Militär russische Soldaten festgenommen. Moskau spricht von einer Grenzpatrouille, die „zufällig“ auf ukrainisches Gebiet gelangt sei.
26.08.2014
Das ukrainische Militär hat nach eigenen Angaben nahe der Kampfzone in der Region Donezk zehn russische Fallschirmjäger gefangen genommen. Sie hätten russische Ausweise bei sich gehabt, teilte der Sicherheitsrat in Kiew mit. Ein Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums in Moskau bestätigte am Dienstag der Agentur Interfax zufolge die Festnahme von russischen Soldaten. Es habe sich um eine Grenzpatrouille gehandelt, die an einer nicht markierten Stelle „zufällig“ auf ukrainisches Gebiet gelangt sei, hieß es weiter.
In einem im ukrainischen Fernsehen gezeigten Video gab ein Soldat zu, mit seiner Kolonne die Grenze in die Ukraine überquert zu haben. Nahe der Küstenstadt Nowoasowsk gab es laut der Armee heftige Kämpfe mit „russischen Söldnern“.
In dem Video sagt ein uniformierter Mann, der sich als russischer Gefreiter Iwan Miltschakow vom 331. Fallschirmjäger-Regiment vorstellt, dass seine Einheit „in Kolonnen über die Felder, nicht über Straßen“ in die Ukraine gefahren sei. Demnach war den Soldaten gesagt worden, sie würden zu einem dreitägigen Einsatz in die Ukraine geschickt. Über das genaue Ziel ihrer Mission seien sie aber nicht informiert worden. „Wir werden als Kanonenfutter benutzt“, sagte der Gefreite.
Ein zweiter Fallschirmjäger sagt in dem Video, er habe zuerst gedacht, dass es sich bei dem Einsatz um eine Übung handele. Erst als sein Panzer angegriffen worden sei, habe er begriffen, „dass das hier keine Übung“ war. Auf die Frage, ob die Soldaten sich verirrt haben könnten, antwortet er: „Wenn man von der ganzen Kompanie spricht, nein.“
Die Kämpfe im Osten der Ukraine verschärften sich weiter. Militär und prorussische Separatisten berichteten am Dienstag von Hunderten Toten innerhalb von 24 Stunden.
Der russische Präsident Wladimir Putin traf unterdessen zu den mit Spannung erwarteten Krisengesprächen in der weißrussischen Hauptstadt Minsk ein. Putin habe sich nach der Ankunft auf den Weg zum Palast der Unabhängigkeit gemacht, berichteten Medien in Minsk. Dort sollte der Kremlchef zunächst in großer Runde auch mit seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko zusammentreffen. Allerdings galten auch bilaterale Verhandlungen der beiden Staatschefs über den Ukraine-Konflikt als wahrscheinlich. Es wäre das erste Vier-Augen-Gespräch von Putin und Poroschenko seit einem Treffen am Rande einer Weltkriegs-Gedenkfeier im Juni in der Normandie.
Am Dienstagvormittag hatte sich der Poroschenko nach Angaben aus Kiew mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) beraten. Poroschenko habe Merkel über die Verschlechterung der Lage in der Ostukraine informiert und mit ihr über Wege für eine friedliche Lösung des Konflikts geredet, teilte das Präsidialamt am Dienstag mit.
Überdies sprachen sie demnach über die vorzeitige Auflösung des ukrainischen Parlaments, der Obersten Rada. Dies sei eine Stärkung der Demokratie in der Ukraine, hieß es in der Mitteilung. Poroschenko wird im Laufe des Tages in Minsk erwartet, wo er den russischen Präsidenten Wladimir Putin treffen soll.
Schulz sprich von einer „Chance“
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz hat den Ukraine-Krisengipfel in Minsk als „Chance“ begrüßt. „Denn Leute, die miteinander reden, schießen nicht aufeinander. Diese Binsenweisheit trifft aber in diesem Fall zu“, sagte der SPD-Politiker am Dienstag im Deutschlandfunk vor dem geplanten Treffen zwischen Putin und Poroschenko.
Zur Rolle der drei EU-Vertreter bei dem Treffen sagte Schulz: „Sie sind dabei, um anzubieten, dass wir sowohl in der Energiepolitik als auch in der Handelspolitik als Europäische Union hilfreich sein wollen.“ Die EU müsse signalisieren, dass sie in der Lage ist, Gasausfälle für einen bestimmten Zeitraum kompensieren zu können.
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Außerdem solle Energiekommissar Günther Oettinger (CDU) ansprechen, wie Russland und die Ukraine im Gaskonflikt zu einem „fairen Deal“ kommen: „Die Russen haben mehrfach (...) darauf hingewiesen, dass es offene Rechnungen gibt und dass sie dieses Geld haben wollen. Da wird man auch darüber reden müssen, wie kann man Poroschenko mit Geld helfen, damit er seine Rechnungen bezahlen kann“, sagte Schulz. „Umgekehrt: Wie können die Russen anschließend darauf verpflichtet werden kontinuierlich und zuverlässig Gas zu liefern?“
Poroschenko hatte am Montagabend das Parlament aufgelöst und für den 26. Oktober Neuwahlen angesetzt. „Die vorgezogenen Parlamentswahlen sind Teil meines Friedensplanes“, teilte Poroschenko am Montagabend in Kiew mit. „Der Wahlzettel ist die mächtigste Waffe in den Händen der Bürger, um das Land zu verteidigen.“
Inmitten des Kampfes mit prorussischen Separatisten in der Ostukraine war die Koalition in Kiew vor einem Monat zerbrochen. Da sich die Parteien nicht auf eine neue Regierung einigen konnten, löste der Präsident das Parlament verfassungsgemäß auf. Umfragen zufolge waren 80 Prozent der Bürger für vorgezogene Neuwahlen.
Weiterer russischer Konvoi
Pläne Russlands für neue Hilfslieferungen für die Krisenregion verschärfen den Konflikt kurz vor dem Gipfel. Trotz internationaler Kritik an einer ersten Lastwagenkolonne Russlands für die Ostukraine wolle Moskau noch in dieser Woche einen zweiten Konvoi losschicken, sagte Außenminister Sergej Lawrow in Moskau. Die Bundesregierung forderte dafür eine enge Abstimmung mit der Ukraine und dem Roten Kreuz. Mit Problemen wie beim ersten Hilfskonvoi rechne er nicht. Russland sei zu „vollkommener Transparenz“ bereit.
Die prorussischen Aufständischen rechnen damit, dass der neue Konvoi die umkämpfte Großstadt Donezk ansteuern wird. „Wir sind zu Begleitschutz bereit“, sagte der Separatistenführer Andrej Purgin. Über Russlands Pläne sprach Poroschenko mit EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy in einem Telefonat, wie das Präsidialamt mitteilte. Die Verteilung der Ladung des ersten umstrittenen Konvois sollte nach Lawrows Worten noch am Dienstag beginnen. Die Ukraine hatte die eigenmächtige Grenzüberquerung als „Invasion“ kritisiert.
Berichte über neue mutmaßliche Waffenlieferungen aus Russland an die Aufständischen sorgten derweil in Kiew für Aufruhr. Etwa 50 gepanzerte Fahrzeuge sollen nach ukrainischen Militärangaben im Südosten über die Grenze eingedrungen sein. Das Militär äußerte die Vermutung, dass damit eine „zweite Front“ bei Mariupol geschaffen werden soll. Die Separatisten wie auch Moskau wiesen die Vorwürfe zurück. Die Region Mariupol ist die Landverbindung zwischen Russland und der von Moskau im März einverleibten Halbinsel Krim.
Die Sicherheitsberaterin des amerikanischen Präsidenten Barack Obama, Susan Rice, erklärte in der Nacht zum Dienstag im Kurznachrichtendienst Twitter, das wiederholte russische Eindringen in die Ukraine stelle eine erhebliche Eskalation dar. Bei Kämpfen des Militärs mit den Aufständischen wurden innerhalb von 24 Stunden mindestens vier Soldaten getötet. 31 Armeeangehörige seien verletzt worden, teilte der Sicherheitsrat in Kiew mit. Die Separatisten berichteten von heftigem Beschuss der Großstadt Donezk. Auch in Luhansk wurde demnach gekämpft.
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