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Sonntag, 16. Februar 2014

BOND MAGAZINE | Ausgabe 65 | 16.02.2014 | www.20 fixed-income.org INVESTMENT Argentinien und Türkei Auslöser einer neuen Schwellenländerkrise?

BOND MAGAZINE | Ausgabe 65 | 16.02.2014 | www.20 fixed-income.org
INVESTMENT
Argentinien und Türkei
Auslöser einer neuen Schwellenländerkrise?

Text: Dr. Andreas A. Busch, Bantleon Bank
In den vergangenen Tagen sorgten die Türkei
und Argentinien an den internationalen
Finanzmärkten für gehörige Turbulenzen.
Die Währungen der beiden Länder, die ohnehin
schon seit Längerem unter Druck standen,
stürzten innerhalb kürzester Zeit regelrecht
ab. Die türkische Lira verlor binnen einer
Woche rund 5% an Wert (der kräftigste
Verlust seit 3 ½ Jahren), der argentinische
Peso gab allein am 23. Januar knapp 14%
nach (vgl. Abb. 1).
Die Schockwellen dieser Bewegungen gingen
um die Welt. Der US-amerikanische
Dow Jones-Aktienindex verbuchte mit -3,5%
den stärksten Wochenverlust seit Mai 2012.
Beim Eurostoxx 50 belief sich das Minus sogar
auf 4,0% – immerhin ein 7-monatiger
Negativrekord. Emerging Markets-Aktienfonds
mussten innerhalb Wochenfrist Abflüsse
im Umfang von 6,3 Mrd. USD hinnehmen,
der größte Ausverkauf seit zweieinhalb
Jahren. Im Gegenzug erlebten die „Safe
Haven“ deutlichen Zulauf. Die Rendite 10-
jähriger Bundesanleihen sackte zwischenzeitlich
auf 1,55% ab, den niedrigsten Stand
seit Juli vergangenen Jahres. Zwangsläufig
stellt sich in diesem Umfeld die Frage, ob wir
uns in den Anfängen einer neuen Schwellenländerkrise
befinden.
Argentinien – die Hintergründe
So sehr die Einbrüche an den Finanzmärkten
die Ängste vor einer Kettenreaktion
schüren, so wichtig ist es jedoch, die Schwellenländer
nicht alle in einen Topf zu werfen.
Dazu sind die Grundverfassungen der
Länder zu unterschiedlich. Vor allem die
Lage in Argentinien zeichnet sich durch eine
Reihe von Besonderheiten aus. Das Land
wurde durch die große Schuldenkrise in den
Jahren 2001/2002 – als die Regierung die
paritätische Bindung an den US-Dollar lösen
musste und sich für zahlungsunfähig erklärte
– nahezu komplett von den internationalen
Finanzmärkten abgeschottet. Das
unkooperative Verhalten bei den folgenden
Umschuldungsverhandlungen sorgte dafür,
dass auch nach mehr als zehn Jahren die internationalen
Investoren nicht zurückgekehrt
sind. Für den argentinischen Staat war
es daher bis zuletzt kaum möglich, im Ausland
Kapital aufzunehmen.
In den ersten Jahren nach der Bankrotterklärung
stellte diese Beschränkung kein Problem
dar. Die boomenden Rohstoffnotierungen
bescherten dem ressourcenreichen
Land üppige Deviseneinnahmen, von denen
auch der Staat profitierte. Nach Ausbruch
der globalen Finanzkrise in 2008 begann
diese Quelle indes immer mehr zu versiegen.
Die Regierung versuchte dem durch
höhere Steuern auf Rohstoffexporte entgegenzuwirken,
was aber letztlich vor allem
der Exportindustrie schadete. Gleichzeitig
wurden die Staatsausgaben in die Höhe gefahren
(zumeist für Sozialleistungen), sodass
der Staatshaushalt immer größere Defizite
aufwies. Mit einem Fehlbetrag in Höhe von
rund 3,0% des BIP steht der argentinische
Staat zwar im internationalen Vergleich
noch relativ gut da. Für eine Regierung, die
keinerlei Zugang zu ausländischem Kapital
hat und die auch im Inland kaum Gläubiger
findet, wird das Haushaltsdefizit damit
jedoch zunehmend zum Problem.
Eine weitere Folge der ausufernden Staatsausgaben
waren steigende Inflationsraten.
Sie resultierten auch daraus, dass die Produktionskapazitäten
– nicht zuletzt wegen
der Eingriffe der Regierung – kaum wuchsen.
Exemplarisch zeigt sich dies bei der
Stromerzeugung. Die staatliche Deckelung
der Tarife sorgte dafür, dass Investitionen
immer unrentabler wurden. Stromausfälle
– seit jeher keine Seltenheit in Argentinien
– kamen zwangsläufig immer häufiger vor.
Um das Problem der steigenden Inflationsraten
zu kaschieren, hat die Regierung massiv
in das Berechnungsverfahren des Statistikamtes
eingegriffen. So weist die offizielle
Statistik derzeit eine Jahresteuerung von
10,5% aus – tatsächlich dürfte sie aber gemäß
Berechnungen der Opposition mit
25,0% bis 30,0% fast drei Mal so hoch liegen.

In Anbetracht der rapiden Geldentwertung
avancierte der US-Dollar immer mehr zur
Parallelwährung. Der offizielle Wechselkurs
des argentinischen Peso befindet sich daher
bereits seit Jahren in einem stetigen Abwertungstrend
(vgl. Abb. 1). Die Regierung versuchte
diese Abwertung zu bremsen, weil sie
zusätzlichen Inflationsdruck über eine Verteuerung
der Importe nach sich zog. Die
dazu nötigen Interventionen am Devisenmarkt
(US-Dollarverkäufe durch die Notenbank)
ließen aber die Währungsreserven sukzessive
abschmelzen. Allein in 2013 war eine
Abnahme um 12 Mrd. USD auf nur noch
25 Mrd. USD zu beobachten (vgl. Abb. 2).
Es zeichnete sich folglich ab, dass die Notenbank
die heimische Währung bald nicht
mehr stützen konnte.
Ende Januar folgte das Eingeständnis, und
die Banco Central de la República Argentina
führte die Stützungskäufe für den argentinischen
Peso massiv zurück. Gleichwohl hat
sich die Zentralbank nicht komplett zurückgezogen.
Mit der Stabilisierung des Kurses
bei 8,0 Peso/USD versucht sie immer noch,
ein weiteres Abgleiten zu verhindern – am
Schwarzmarkt ist der Wechselkurs inzwischen
auf über 12,0 Peso/USD gefallen.
Argentinien – wie geht es weiter?
Die jüngste Abwertung des Peso war zwar
unumgänglich – sie führt in unseren Augen
aber nicht zu einer substanziellen Verbesserung
der Lage in Argentinien. Die zentralen
Probleme in Form ausufernder Staatsausgaben
und umfangreicher Eingriffe der Regierung
in die Privatwirtschaft bestehen unverändert
fort (Preiskontrollen, Sondersteuern,
überbordende Bürokratie etc. – wer US-Dollar
kaufen will, muss beispielsweise einen Antrag
stellen). Hier ist bislang kein Wandel abzusehen.
Unter der Regierung Kirchner, die
noch bis 2015 im Amt ist, erscheint ein solcher
Politikwechsel nahezu ausgeschlossen.
Der Abwertungsdruck auf den Peso dürfte
daher anhalten. Die preistreibenden Effekte
durch die Verteuerung der Importe werden
gleichzeitig den Unmut in der Bevölkerung
nochmals wachsen lassen. Die Lage in Argentinien
droht sich somit weiter zu verschlechtern.
Aus globaler Sicht stellt Argentinien damit
unzweifelhaft einen potenziellen Krisenherd
dar. Gleichwohl sollten sich die unmittelbaren
Ausstrahlungseffekte auf die Weltwirtschaft
in Grenzen halten. So ist der Anteil
des argentinischen Außenhandels am
Welthandel mit 0,4% vergleichsweise klein.
Der drohende wirtschaftliche Abschwung
in Argentinien dürfte daher nur ansatzweise
die binnenwirtschaftlich getragene Erholung
der Industrieländer dämpfen.
Darüber hinaus sind die finanziellen Verflechtungen
wenig ausgeprägt. Mit 3,5 Mrd.
USD fallen die in diesem Jahr anstehenden
Zinszahlungen auf noch ausstehende Staatsanleihen
äußerst gering aus. Selbst wenn der
argentinische Staat diese Zahlungen im Extremfall
ganz aussetzen sollte, werden die
entstehenden Belastungen für die Gläubiger
zu verkraften sein.
Türkei – die Hintergründe
Aus volkswirtschaftlicher Sicht erweisen sich
das wachsende Zahlungsbilanzdefizit und
die anziehende Inflation in der Türkei als
die größten Probleme (vgl. Abb. 3). Wie in
anderen Schwellenländern auch, die unter
Kapitalabflüssen litten, kam die Währung
folglich im Sommer vergangenen Jahres unter
Druck, nachdem die Fed zum ersten Mal
ein Zurückfahren ihrer Anleihenkäufe in
Aussicht gestellt hatte (vgl. Abb. 1).
Im Unterschied zu anderen Ländern mit
Zahlungsbilanzdefiziten beruhigte sich der
türkische Devisenmarkt jedoch im weiteren
Jahresverlauf nicht nachhaltig. Das lag zum
einen daran, dass die türkische Notenbank
die Leitzinsen nicht anhob – wie beispielsweise
die Reserve Bank of India –, um den
Kapitalabfluss zu stoppen.
Zum anderen rückten politische Probleme
in der Türkei in den Vordergrund. Waren es
im Sommer zunächst die öffentlichen Protestwellen
gegen das zunehmend autoritäre
Regierungssystem, die für Verunsicherung
sorgten, kamen zum Jahreswechsel weitreichende
Korruptionsskandale hinzu. Dabei
ging es nicht „nur“ um die Bestechlichkeit
von Regierungsmitgliedern. Noch mehr
Aufsehen erregte die Reaktion der Regierung
Erdogan, die – anstatt die Verantwortlichen
zur Rechenschaft zu ziehen – die
ermittelnden Staatsanwälte und Polizisten
entließ bzw. versetzte. Zusätzlich wurde verfügt,
dass staatsanwaltliche Ermittler Regierungsmitglieder
vorwarnen müssen, falls
sie gegen diese Untersuchungen einleiten

INVESTMENT
wollen. Immer mehr attackierte die Regierung
Erdogan damit das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit.
Hinzu kamen Einmischungen der Regierung
in die Geldpolitik. So verurteilte Erdogan
etwaige Zinserhöhungen durch die
Notenbank als „unislamisch“. In diesem
Umfeld überrascht es nicht, dass die Skepsis
der Investoren mit Blick auf die Türkei
bis zuletzt immer mehr zunahm.
Türkei – wie geht es weiter?
Die türkische Notenbank hat in der vergangenen
Woche einen ersten Schritt getan,
um das Vertrauen der internationalen Finanzmärkte
zurückzugewinnen. Sie ließ ihre
bisherige Zögerlichkeit hinter sich und hob
die Leitzinsen in einer eilig anberaumten
Krisensitzung deutlich stärker an als vom
Konsensus erwartet. Der Tagesgeldsatz für
Ausleihungen über Nacht wurde von 7,75%
auf 12,0% nach oben geschraubt, der einwöchige
Refinanzierungssatz sogar von
4,5% auf 10,0% (vgl. Abb. 4). Gleichzeitig
folgte die Notenbank den Appellen internationaler
Organisationen wie des IWF: Sie
rückte wieder stärker den einwöchigen Refinanzierungssatz
in den Vordergrund und
reduzierte damit die Intransparenz, die zuletzt
durch die Orientierung an verschiedenen
Notenbankzinsen entstanden war.
Auch wenn die Notenbank mit diesen Maßnahmen
versucht hat, ein klares Bekenntnis
zur Stabilität abzulegen – damit sich die Perspektiven
für die türkische Wirtschaft nachhaltig
aufhellen –, sind weitere Veränderungen
nötig. So muss vor allem die Regierung
zeigen, dass sie ihrer Verantwortung
zur Reduktion des zu hohen Zahlungsbilanzdefizits
gerecht wird. Notwendig ist z.B.
eine Dämpfung der Binnennachfrage durch
sinkende Staatsausgaben. Da jedoch in diesem
Jahr Regional- und Präsidentschaftswahlen
und 2015 Parlamentswahlen anstehen,
ist mit solch unpopulären Maßnahmen
vonseiten der Regierung Erdogan zunächst
nicht zu rechnen. Kurzfristig dürfte damit
die türkische Währung unter Druck bleiben
und die Notenbank sich latent zu weiteren
Straffungen genötigt sehen.
Ähnlich wie Argentinien wird damit auch
die Türkei ein potenzieller Krisenherd für
die Weltwirtschaft bleiben. Allerdings sollten
sich auch hier die unmittelbaren Ansteckungseffekte
in Grenzen halten. Vor allem
die insgesamt vergleichsweise niedrige Verschuldung
in der Türkei dürfte die Sorgen
vor einer sich zuspitzenden Krise dämpfen.
So beläuft sich der Schuldenstand des Staates
auf lediglich 27% (gemessen am BIP)
und die Verbindlichkeiten der Privatwirtschaft
bewegen sich mit 65% im internationalen
Vergleich ebenfalls auf niedrigem
Niveau (Zum Vergleich: In Spanien lagen
sie vor Ausbruch der dortigen Krise bei über
230%; vgl. Abb. 5). In Anbetracht dieser
Ausgangslage erscheint eine Schuldenkrise,
wie sie in der Euro-Peripherie zu beobachten
war, sehr unwahrscheinlich.
Lokale Probleme, aber kein Flächenbrand
Die volkswirtschaftlichen Herausforderungen,
vor denen Argentinien und die Türkei
stehen, sind zweifelsohne groß. Gleichwohl
sind sie nicht symptomatisch für die Gesamtheit
der Schwellenländer. Vielmehr
handelt es sich um hausgemachte Probleme,
die in beiden Fällen eng verknüpft sind mit
dem populistischen Politikstil der jeweiligen
Regierung.
Andere aufstrebende Volkswirtschaften, wie
Indien oder Indonesien, die ebenfalls unter
Zahlungsbilanzdefiziten leiden, hatten auf
die Kapitalabflüsse nach den ersten „Tapering“-
Ankündigungen der Fed entschiedener
regiert: Die Bank Indonesia hob den
Leitzins seit dem Sommer 2013 fünf Mal
um 1,75%-Punkte auf 7,50% an, den
höchsten Stand seit 2009. Die Reserve Bank
of India schraubte den zentralen Repo-Satz
immerhin von 7,25% auf 8,00% in die
Höhe und sorgte gleichzeitig für eine stärkere
Fokussierung der Geldpolitik auf die
Inflationsbekämpfung.
Diese Bemühungen zahlten sich aus: Indien –
gemessen an der Bevölkerung die zweitgrößte
Volkswirtschaft der Welt – blieb von
den jüngsten Währungsturbulenzen weitgehend
verschont (vgl. Abb. 1). Wir sehen
daher in den Ereignissen in Argentinien und
der Türkei nicht den Auftakt zu einer neuen
Schwellenländerkrise. Aufgrund der spezifischen
Probleme dieser Länder halten wir
ein breit angelegtes Überschwappen der Risikoaversion
auf andere aufstrebende Volkswirtschaften
für unwahrscheinlich. Zwar
werden die Unsicherheiten in diesen beiden
Ländern noch einige Zeit andauern und
entsprechend für Negativschlagzeilen sorgen
– ein Flächenbrand sollte daraus jedoch
nicht entstehen.
Abb. 4: Die Notenbank hat schließlich doch noch die Leitzinsen
angehoben.
Quellen: TCMB, BANTLEON
Abb. 5: Keine Verschuldungsexzesse in der Türkei
Quellen: BIZ, BANTLEON
Das Angebot der Anleihe erfolgt ausschließlich auf der Grundlage des gebilligten Wertpapierprospekts,
der auf der Internetseite www.nzwl.de/anleihe und unter der Adresse der Emittentin
(Ostende 5, 04288 Leipzig) erhältlich ist.
Die

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