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Samstag, 28. Juni 2014

ein paar Gedankensplitter zu Dauerschuldverhältnis / Anleihen / Kündigung nach § 314 BGB


BGHZ 156,
Betrachtet man die Passagen einiger Urteilsbegründungen, entsteht der E indruck,
dass es ein solches Prinzip gibt. So meinte bereits das Reichsgericht in
Bezug auf einen dauerhaft abgeschlossenen Bierlieferungsvertrag: „Die Übernahme
einer solchen Pflicht beschränkt aber wegen ihrer völligen zeitlichen
Unbegrenztheit die Bekl in übermäßiger Weise in ihrer wirtschaftlichen und
gewerblichen Freiheit und steht mit den Anschauungen des Verkehrs über das,
was billig und gerecht ist, nicht im Einklang“37 Ähnlich formulierte das O LG
Stuttgart in einem Urteil bezüglich eines langfristigen Anzeigenvertrags mit
einer Zeitung: „Zu den wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung
von Dauerschuldverhältnissen im allgemeinen und Dienstvertrag im besonderen
gehört, daß nach einem gewissen Zeitablauf jede Partei die Möglichkeit
haben muß, sich durch ordentliche Kündigung einseitig vom Vertrag zu
lösen. Zwar sind langfristige Verträge, auch Dienstverträge, zulässig, jedoch
nicht in der Weise, daß sie zeitlich unbegrenzt gelten und nur mit Zustimmung
des anderen Vertragsteils aufgelöst werden können“™ Auch die Literatur
meint vereinzelt, dass unkündbare, ewige Schuldverhältnisse der Schuldrechtsordnung
fremd und daher unzulässig seien ," weshalb auch Bedenken
gegen ewige Anleihen bestünden.100
97 RGJW1927,119f.
98 OLG Stuttgart OLGZ 1990,249 Rdn. 50.
99 Claussen, Bankrecht, 1. Aufl. 1996, §8 Rdn. 43; vgl. auch Siebei (Fn. 3), S. 39
Fn. 158. -
100 Siebel (Fn. 3), S. 39 Fn. 158.
101 BGH NJW 2007,295,296.
Sprechen sonach keine Gründe gegen die unbegrenzte Laufzeit ewiger
Anleihen, stellt sich abschließend die Frage, wie es sich mit dem Recht zur
außerordentlichen Kündigung nach § 314 BGB verhält. Vereinzelt wird angezweifelt,
ob Anleihen als Dauerschuldverhältnisse i.S.v. § 314 BGB angesehen
werden können, und dagegen vorgebracht, dass sich aus ihnen während der
Vertragslaufzeit nicht wiederholend neue Rechte und Pflichten beider Parteien
ergäben.149 Die Überlassung des Kapitals könne nicht als fortdauernde
Leistung des Inhabers gewertet werden. 50 Außerdem stehe es dem Inhaber
frei, die Anleihe zu veräußern, so dass es an der für die außerordentliche Kündigung
erforderlichen Unzumutbarkeit eines Festhaltens am Vertrag fehle.151
Der erste Einwand ist allerdings nicht überzeugend, weil die bloße Überlassung
von Vermögen ohne Weiteres als Leistung in einem Dauerschuldverhält -
nis in Frage kommt.152 Der zweite Einwand betrifft die Frage des Vorliegens
eines außerordentlichen Kündigungsgrundes im konkreten Fall, stellt aber
nicht die Eigenschaft als Dauerschuldverhältnis und damit die grundsätzliche
Anwendbarkeit des § 314 BGB in Frage. Die ewige Anleihe ist daher als Dauerschuldverhältnis
i.S.v. § 314 BGB anzusehen.153
Fest steht im Ausgangspunkt, dass § 314 BGB in seinem Kern zwingendes
Recht darstellt154 und daher de lege lata in den Anleihebedingungen nicht abbedungen
werden kann. Dem Vorschlag in dem Diskussionsentwurf zu einem
neuen Schuldverschreibungsgesetz vom November 2004, bei ewigen Anleihen
auch den Ausschluss des außerordentlichen Kündigungsrechts zuzulassen, ist
hingegen mit Skepsis zu begegnen.155 Dies zum einen, weil das außerordentliche
Kündigungsrecht des §314 BGB auf dem Rechtsgedanken des §242
BGB beruht156 und es keinen Grund gibt, weshalb der Grundsatz von Treu
und Glauben bei ewigen Anleihen nicht gelten sollte. Zum anderen besteht für
einen Ausschluss des außerordentlichen Kündigungsrechts auch kein zwingendes
Bedürfnis, weil durch dieses der Eigenkapitalcharakter nach IAS 32
nicht gefährdet wird, wie sogleich zu zeigen ist. Einstweilen bleibt es aber ohnehin
dabei, dass § 314 BGB nach geltender Rechtslage nicht abdingbar ist.
Ein vollständiger Ausschluss des außerordentlichen Kündigungsrechts findet
sich in den Anleihebedingungen freilich auch nicht. Vielmehr werden die außerordentlichen
Kündigungsrechte sowohl des Inhabers als auch des Emittenten
lediglich konkretisiert. So enthalten die Anleihebedingungen zugunsten
des Emittenten in der Regel spezielle Kündigungsrechte bei Eintritt von gross
up-, Steuer-, Rechnungslegungs- und - soweit einschlägig - aufsichtsrechtlichen
Ereignissen, wie oben bereits dargelegt wurde.157 Desgleichen sehen einige
Anleihebedingungen ein außerordentliches Kündigungsrecht für den Inhaber
im Fall der Liquidation, der Zahlungsunfähigkeit bzw. des -Verzugs
oder der Insolvenzeröffnung des Emittenten vor.158
149 Maier-Reimer, in: Baums/Cahn (Hrsg.), Die Reform des Schuldverschreibungsrechts,
2004, S. 129, 135.
150 Maier-Reimer (Fn. 149), S.129,135.
151 Maier-Reimer (¥n. 149), S.129,136.
152 BGHZ 119, 305 - Klöckner (Genussrechtsvertrag); BGH NJW 2002, 3237 (Überlassung
eines Grundstücks); Grüneberg,, in: Palandt, BGB (Fn. 62), § 314 Rdn. 5.
153 Zur Einordnung von Sozialpfandbriefen als Dauerschuldverhältnisse mit außerordentlichem
Kündigungsrecht LG Köln, ZIP 1994, 1520; auch der Diskussionsentwurf
zu einem Schuldverschreibungsgesetz von November 2004 (Fn. 66), S. 41,
lehnt die Auffassung, wonach Schuldverschreibungen keine Dauerschuldverhältnisse
darstellen und folglich kein Kündigungsrecht nach § 314 BGB bestehen soll,
ausdrücklich ab.
154 Einhellige Meinung vgl. nur RegBegr. zu § 314 BGB, BT-Drucks. 14/6040, S. 176;
Grüneberg (Fn. 152), § 314 Rdn. 3; MünchKommBGB/G^er, 5. Aufl. 2007, § 314
Rdn. 4.
155 Diskussionsentwurf (Fn. 66) § 9 Abs. 2 sowie S. 42.
steuer156
BGHZ 41,104,108; LG Köln, ZIP 1994,1520. .
157 Siehe I.
158 Vgl. Linde Finance B.V., § 9 der Anleihebedingungen (1.7. 2003).
159 Sester, ZBB 2006,443,451; Gaier (Fn. 154), § 314 Rdn. 4.
Nach richtiger Ansicht muss hinsichtlich der Frage der Unzumutbarkeit
einer Vertragsanpassung bzw. eines Festhaltens am Vertrag hier der Maßstab
des § 314 BGB gelten, der niedrigere Anforderungen stellt als derjenige
des Rechts der Störung der Geschäftsgrundlage, da es sich bei dem Kündigungsrecht
in Bezug auf ein Dauerschuldverhältnis um ein vertragsimmanentes
Lösungsrecht handelt.170 Dies zugrunde gelegt, kann es dann dahinstehen,
ob man das Kündigungsrecht § 314 BGB entnimmt oder § 313 Abs. 3 BG B .171
Der Umstand, dass der Inhaber auf liquide Mittel angewiesen ist, kann danach
zweifellos nicht zur Kündigung berechtigen, weil dies zu seiner persönlichen
Risikosphäre gehört.172 Es wird ohnedies in einem solchen Fall bereits an
der für die außerordentliche Kündigung erforderlichen Unzumutbarkeit eines
Festhaltens am Vertrag fehlen, weil der Inhaber die Anleihe veräußern und auf
diese Weise liquide Mittel erzielen kann.173 Auch eine Gefährdung von Gläubigerrechten
durch Restrukturierung des Schuldners (z.B. Verschmelzung mit
einem anderen Unternehmen) kann grundsätzlich nicht zu einem außerordentlichen
Kündigungsrecht führen, sofern in diesen Fällen ein Anspruch auf
Sicherheitsleistung nach § 22 UmwG in Betracht kommt.174
167 Ähnlich wohl auch Lutter in Bezug auf Genussrechte, Lutter (Fn. 134), §221
Rdn. 271. Dabei sind die Auswirkungen von Grundlagenentscheidungen auf Genussrechte
wegen deren Gewinnabhängigkeit noch stärker als auf ewige Anleihen.
168 Dazu Gaier (Fn. 154), § 314 Rdn. 14.
169 Grüneberg (Fn. 152), § 314 Rdn. 9; Gaier (Fn. 154), § 314 Rdn. 14.
170 BGHZ 133, 316 ff.; Grüneberg (Fn. 152), § 313 Rdn. 14.
171 Für einen Vorrang des § 313 Abs. 3 BGB wohl Begr. RegE BT-Drucks 14/6040,
S. 177; für einen differenzierenden Ansatz Gaier (Fn. 154), § 314 Rdn. 14 und Grüneberg
(Fn. 152), § 313 Rdn. 14.
172 Vgl. zum Genussrecht Habersack (Fn. 19), § 221 AktG Rdn. 90; Lutter (Fn. 134),
§221 Rdn. 270.
173 So auch Sester, ZBB 443, 451; ferner Lutter (Fn. 134), § 221 Rdn. 270 in Bezug auf
Genussrechte.
174 Gem. § 125 UmwG gilt § 22 UmwG für die Spaltung und gem. § 204 UmwG für
den Formwechsel entsprechend.
Aus:
Die Unternehmensfinanzierung durch
ewige Anleihen zwischen Gesellschaftsrecht
und Bürgerlichem Recht
Von S te fan Th omas
ZHR 171 (2007) 684-712
Ewige Anleihen sind Finanzierungsinstrumente, die eine Zwitterstellung
zwischen Eigenkapital und Fremdkapital einnehmen und daher sowohl mit
gesellschaftsrechtlichen Prinzipien als auch mit allgemeinen schuldrechtlichen
Grundsätzen im Einklang stehen müssen. Die Problematik ist dadurch gekennzeichnet,
dass einerseits die Unkündbarkeit Voraussetzung für die Einstufung
als Eigenkapital im Sinne der internationalen Rechnungslegung, des Ratings
und-soweit einschlägig - des Aufsichtsrechts ist, andererseits die Investoren
ein Interesse an der späteren Rückholbarkeit ihres Kapitals haben und infolgedessen
Vertragsmechanismen erforderlich sind, die trotz der rechtlichen
Unkündbarkeit nach einem bestimmten Zeitraum zu einer Rückzahlung führen.
Aus diesen Zwängen betreffend die Laufzeit ergeben sich besonders gelagerte
Fragestellungen hinsichtlich der zivilrechtlichen Wirksamkeit ewiger Anleihen
und der Vereinbarung von Kündigungsrechten sowie der Möglichkeit

der außerordentlichen Kündigung.

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