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Donnerstag, 3. Juli 2014

Die Verrechungssteuer soll fallen

Steuerumbau steht bevor

Die Verrechungssteuer soll fallen

Der Bundesrat will den Finanzplatz stärken (im Bild der Paradeplatz Zürich) sowie die Industrie stützen.
Der Bundesrat will den Finanzplatz stärken (im Bild der Paradeplatz Zürich) sowie die Industrie stützen. (Bild: Christian Beutler / NZZ)
Nach dem Bankgeheimnis kommt mit der 70-jährigen Verrechnungssteuer eine weitere helvetische Tradition ins Wanken. Der Bundesrat hatte bereits 2010 im Zusammenhang mit der Grossbankenregulierung Vorschläge zum Umbau der Verrechnungssteuer gemacht, doch das Parlament wollte damals das Fuder der Regulierungsvorlage nicht überladen und vertagte die grosse Reform der Verrechnungssteuer. Nun nimmt der Bundesrat einen neuen Anlauf. Er hat am Mittwoch den Bericht einer Arbeitsgruppe zum Systemwechsel diskutiert und dem Finanzdepartement den Auftrag gegeben, eine Vernehmlassungsvorlage zu einem Wechsel in Richtung Zahlstellensteuer auszuarbeiten. Die Vorlage soll bis Ende Jahr kommen.

Das Ende des Bollwerks

Die traditionelle Verrechnungssteuer beruht auf dem Schuldnerprinzip. Der Schuldner (zum Beispiel der Herausgeber einer Obligation) zieht vor der Zinszahlung an den Gläubiger die Steuer ab. Bei der Zahlstellensteuer zieht dagegen die Zahlstelle (typischerweise eine Bank) die Steuer ein.
In den alten Zeiten diente die klassische Verrechnungssteuer nicht zuletzt als Bollwerk für das helvetische Bankgeheimnis. Die Schweiz hatte das Konzept der Zahlstellensteuer unter anderem mit dem Argument bekämpft, dass eine solche Steuer durch den Wechsel von einer inländischen zu einer ausländischen Bank leicht zu umgehen sei. Doch mit dem Fall des Bankgeheimnisses in Steuerfragen ab 2009 rückten die Nachteile der Verrechnungssteuer verstärkt ins Zentrum. Dazu zählte vor allem die Tatsache, dass wegen der Verrechnungssteuer viele Schweizer Konzerne ihre Anleihen im Ausland ausgeben, um sie für professionelle Investoren attraktiver zu machen – für welche Steuerrückforderungen zu mühsam oder gar nicht vollständig möglich sind. Die Industrie und grössere Banken setzen sich nun für einen Wechsel zur Zahlstellensteuer ein. Kleinere Banken befürchten dagegen zusätzlichen Verwaltungsaufwand und Haftungsrisiken, weshalb die Bankiervereinigung eine Risikobeschränkung und eine Entschädigung der Zahlstellen von mindestens 2% der eingezogenen Beträge fordert.
Die Stärkung des Schweizer Kapitalmarkts ist das erklärte Motiv der Reformer. Ein Hauptvorteil der Zahlstellensteuer liegt in der Möglichkeit zu differenzieren. So könnte man Auslandsinvestoren von der Steuer ausnehmen und damit die Ausgabe von Anleihen auf dem hiesigen Kapitalmarkt attraktiver machen. Der kommende OECD-Standard des automatischen Informationsaustauschs (AIA) wird nun von früheren Gegnern ironischerweise als Rechtfertigung für die Ausklammerung ausländischer Investoren von der Zahlstellensteuer ins Feld geführt.
Anderseits liesse sich mit einem Systemwechsel ein klassisches Schlupfloch für Schweizer Steuerpflichtige stopfen (verrechnungssteuerfreie Auslandsobligationen). Dies ist ein wesentlicher Grund, weshalb Experten bei einem Systemwechsel per saldo eher mit Mehr- als mit Mindereinnahmen für den Fiskus rechnen. Die Bandbreite der Prognosen ist aber gross; vieles hängt von Annahmen und haarigen Details ab.

Variantendebatte

Die Expertengruppe Brunetti zur Finanzplatzstrategie sprach sich für einen Wechsel zur Zahlstellensteuer aus. Das Gleiche gilt für den am Mittwoch publizierten Bericht einer Arbeitsgruppe mit Vertretern von Verwaltung, Kantonen und Wissenschaft. Der Sukkurs für den Systemwechsel ist in diesem Bericht zwar etwas lauwarm, doch die Autoren erachten einen Wechsel zum Zahlstellenprinzip immerhin «als potenziell geeignet», den Schweizer Kapitalmarkt zu stärken. Vor allem in Bezug auf Anleihen könnte ein Systemwechsel laut dem Papier dazu führen, dass «ein substanzieller Teil der schweizerischen Konzerne Finanzierungsaktivitäten in die Schweiz verlagern wird».
Der Bericht diskutiert vier Reformvarianten. Die Variante 1 (ersatzlose Streichung der Verrechnungssteuer auf Zinserträgen aus Obligationen) lehnt er wegen Einnahmeneinbussen für den Fiskus ab. Variante 2 sieht den Wechsel zur Zahlstellensteuer nur bei Fremdkapitalzinsen vor (Anleihen, Kundenguthaben, Teilen von Anlagefonds), Variante 3 dehnt den Systemwechsel auch auf inländische Aktien und andere Beteiligungspapiere aus, während Variante 4 den Wechsel zum Zahlstellenprinzip für alle Erträge aus beweglichem Vermögen vorsieht. Die Ästhetik spricht laut dem Bericht für einen generellen Systemwechsel (damit keine zwei Systeme nebeneinander zu führen sind), doch in dieser Variante stecken die grössten Unsicherheiten über die finanziellen Folgen für den Fiskus. Das Ziel der Kapitalmarktstärkung liesse sich auch mit einem auf Fremdkapital beschränkten Systemwechsel erreichen. Ein solcher mag politisch eher mehrheitsfähig sein als eine noch weitergehende Reform. Der Bundesrat hat noch keinen Variantenentscheid gefällt.

Nochmals das Bankgeheimnis

Die Verrechnungssteuerreform wird auch die Debatte über das Bankgeheimnis im Inland wieder auflodern lassen. Der Bericht der Arbeitsgruppe zum Systemwechsel schlägt die Wahlmöglichkeit für Steuerpflichtige vor: Zahlstellensteuer oder Meldung an die Steuerbehörden. Nur schon die Wahlmöglichkeit mögen Kritiker als den Anfang des AIA im Inland sehen, obwohl aus Sicht des Steuerpflichtigen a priori kaum etwas gegen eine Wahlmöglichkeit einzuwenden sein müsste.
Der Bericht betont weiter, dass ein Wechsel zur Zahlstellensteuer nur sinnvoll sei, wenn das Ausweichen der Kunden zu einer ausländischen Bank durch Steueramtshilfe oder den AIA unattraktiv gemacht werde. Schweizer Steuerbehörden sollen demnach aus dem Ausland erhaltene Informationen über hiesige Steuerpflichtige verwenden können. Der Bundesrat sagt Ähnliches, wenn auch nicht ganz so deutlich. Aus Sicht des Fiskus mag die Überlegung logisch klingen, doch in der Politik haben sich manche Akteure noch nicht mit diesem Gedanken angefreundet.

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