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Montag, 7. Juli 2014

Silvio Gesell, ein Kaufmann aus der Eifel, hatte eine verrückte Idee: Die Geldscheine sollen jedes Jahr an Wert verlieren, damit sie niemand hortet. Heute hat er selbst unter Ökonomen Fans.


Silvio GesellDer Erfinder des Schrumpfgeldes

Silvio Gesell, ein Kaufmann aus der Eifel, hatte eine verrückte Idee: Die Geldscheine sollen jedes Jahr an Wert verlieren, damit sie niemand hortet. Heute hat er selbst unter Ökonomen Fans.
© ARCHIV FÜR GELD- UND BODENREFORM, OLDENBURGVergrößernSilvio Gesell (1862-1930)
Es ist eine Idee, die auf den ersten Eindruck ziemlich abgedreht klingt. Und so, dass man dafür von allen Sparern mit Hass übergossen werden müsste: Silvio Gesell, ein Ökonom aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert, ist mit der Forderung in die Geschichte eingegangen, dass Geld keine Zinsen einbringen darf - sondern vielmehr mit der Zeit automatisch an Wert verlieren sollte. So wollte er verhindern, dass Menschen Geld horten. Sie sollten es lieber so schnell wie möglich ausgeben - und damit die Nachfrage und die Wirtschaft ankurbeln.
Eine Idee, die heute wieder hochaktuell ist: In einer Zeit, in der es kaum noch Zinsen aufs Ersparte gibt, aber viele Banken, Unternehmen und Privatleute trotzdem das Geld lieber horten, erinnert vieles an die Lehren des Silvio Gesell.
Der bärtige Mann aus der Eifel war ein eigenwilliger Querdenker - und ein Autodidakt. Es soll eine verirrte Gewehrkugel gewesen sein, die dazu beitrug, dass er überhaupt Ökonom wurde. Das kam so: Gesell wurde 1862 in Sankt Vith (heute Belgien) als Sohn eines kleinen Beamten geboren. Die Eltern hatten neun Kinder, das „tausendmal verfluchte Geld“, wie er selbst es formuliert, war zu Hause immer knapp. An ein Studium war nicht zu denken.
Gesell wurde deshalb Kaufmann. Er lernte in Berlin, wanderte später nach Spanien aus und ließ sich schließlich in Buenos Aires nieder. Dort betrieb er ein Importunternehmen, das Gehhilfen, Verbände und anderes medizinisches Gerät einführte. Damit belieferte er niedergelassene Ärzte und Krankenhäuser. Offenbar mit Erfolg: Gesell kam mit der Zeit zu einigem Wohlstand.

Er wollte auch Grund und Boden neu ordnen

Um 1890 jedoch brach in Argentinien eine schwere Wirtschaftskrise aus. Viele Menschen wurden arbeitslos, es gab Unruhen. Und einmal durchschlug dabei eben auch eine Gewehrkugel ein Fenster in Gesells Haus. Das war die Wende: „Die Wirtschaftskrise brachte Gesell zum Nachdenken über die Ursachen von Inflation und Deflation, von ungerechter Verteilung und Arbeitslosigkeit“, sagt Werner Onken, der Herausgeber der immerhin 18-bändigen Gesamtausgabe von Gesells Werken.
Es folgten viele Jahre der Beschäftigung mit volkswirtschaftlichen Themen. Später auch in der Schweiz, wo Gesell als Bauer und Bienenzüchter lebte. Er entwickelte eine Alternative zum Kapitalismus, die sogenannte Freiwirtschaftslehre - die auch eine Neuordnung der Besitzverhältnisse an Grund und Boden vorsah.
Der Kern seiner Theorie aber ist ebenso einfach wie ungewöhnlich: Gesell schlug vor, Bargeld zu erfinden, das „rostet“, also im Zeitablauf an Wert verliert. Aus Gesells Sicht hat Geld nämlich zwei Funktionen, die allerdings im Konflikt zueinander stehen: Ursprünglich ist es ein Tauschmittel. Es hat zugleich aber eine Wertaufbewahrungsfunktion: Anders als viele Waren verdirbt es nicht, wenn man es aufhebt.

Gegen das Horten von Banknoten

Diese Hortbarkeit des Geldes aber eröffnet Menschen die Möglichkeit, es dem Geldkreislauf für eine Zeit zu entziehen - und nur herauszurücken, wenn ein Zins gezahlt wird. Das sah Gesell als große Gefahr: nicht nur, dass Zins und Zinseszins aus seiner Sicht über kurz oder lang zu einer ungerechten Verteilung von Einkommen und Vermögen führen. Ein Thema, das gerade von dem Franzosen Thomas Piketty wieder einmal in die ökonomische Debatte eingebracht wurde. Nein, Gesell war auch überzeugt: Wenn Menschen Geld horten und es dem Kreislauf entziehen, führt das zu Absatzstörungen - und Arbeitslosigkeit.
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