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Sonntag, 21. Juni 2015

Griechenland-Krise Selbst gesunde Unternehmen vor der Existenznot Griechenlands Wirtschaft rechnet mit dem Schlimmsten: dem Zusammenbruch, verbunden mit Kapitalverkehrskontrollen. Darauf können sie sich nur begrenzt vorbereiten, wie Gespräche mit betroffenen Unternehmern zeigen.

Griechenland-KriseSelbst gesunde Unternehmen vor der Existenznot

Griechenlands Wirtschaft rechnet mit dem Schlimmsten: dem Zusammenbruch, verbunden mit Kapitalverkehrskontrollen. Darauf können sie sich nur begrenzt vorbereiten, wie Gespräche mit betroffenen Unternehmern zeigen.

© AFPWirtschaftlicher Knotenpunkt in Griechenland: Der Hafen von Athen
Wenn in Griechenland Kapitalverkehrskontrollen eingeführt werden, droht dann eine zeitweilige Schließung der Banken wie im März 2013 auf Zypern? Viele griechische Unternehmer rechneten am Freitag mit dem Schlimmsten. Je nach Branche waren die Befürchtungen größer oder kleiner, doch einig waren sich fast alle: Sollte nach Wochen der Ungewissheit nun auch noch der freie Kapitalverkehr eingeschränkt werden, hätte die griechische Krise einen neuen Tiefpunkt erreicht, und selbst manches bisher gesunde Unternehmen geriete wohl in Existenznot.
Giannis Papapanagiotou, Geschäftsführer der Athener Beratungsfirma Systema Consulting, die als Ingenieurbüro auf Verkehrsprojekte und Infrastrukturanalysen spezialisiert und international tätig ist, zeichnet ein düsteres Bild: „Kapitalverkehrskontrollen würden das Ende des Unternehmens bedeuten, und das Ende käme sehr schnell.“
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Schon jetzt habe sein Unternehmen Schwierigkeiten, die nichts mit seinen Leistungen und Angeboten, sondern allein mit dem Standort Athen zu tun haben: „Wir sind vor allem im Ausland tätig und müssen fast täglich unsere Glaubwürdigkeit verteidigen, die Griechenland als Staat und in der Folge auch die griechische Wirtschaft durch die Finanzkrise weitgehend verloren hat“, sagt Papapanagiotou.

Bewusst Geld in Griechenland belassen

Obwohl sein Unternehmen finanziell gesund sei und weder Liquiditätsprobleme noch Bankschulden habe, müsse er bei ausländischen Partnern immer wieder Überzeugungsarbeit leisten, dass man Vereinbarungen und Verpflichtungen einhalten könne. „Leider schlägt griechischen Unternehmen grundsätzlich Misstrauen entgegen, weshalb es für uns schwierig geworden ist zu expandieren.“
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Vorkehrungen für den Fall von Einschränkungen des Bankverkehrs habe er trotz der beunruhigenden Entwicklung der vergangenen Tage abgesehen von Recherchen zu möglichen „Alternativen“ zum Kapitaltransfer ins Ausland noch nicht getroffen, sagt Papapanagiotou. „Aber jetzt sehen wir, dass Kapitalverkehrskontrollen möglich werden können, weshalb wir Bargeld ins Ausland bringen wollen, um uns zu schützen und die Firma am Laufen zu halten.“
Bisher habe die Firma bewusst ihr Geld im Inland behalten, als Beitrag zur Steigerung des Vertrauens in die griechische Wirtschaft. „Aber derzeit habe ich den Eindruck, dass das ein großes Risiko ist.“ Papapanagiotou verweist auf Zypern, wo die Kontrollen inzwischen wieder vollständig aufgehoben wurden. Doch könne niemand beurteilen, welche Wirkung die mögliche Einführung von Kontrollen auf Griechenlands Wirtschaft haben werde, sagt der Unternehmer. „Wie in jedem Land sind Kapitalverkehrskontrollen die Folge eines Ansturms auf Banken und der Angst von Eigentümern um ihre Einlagen. Kapitalverkehrskontrollen bedeuten, dass das Bankensystem kollabiert ist – und das wiederum ist der Fall, wenn eine Volkswirtschaft zusammengebrochen ist.“

Rückschlag für die griechische Wirtschaft

Der Rechtsanwalt Gerasimos Gasparinatos, dessen Kanzlei auf Vertrags- und Immobilienrecht spezialisiert ist, spricht bewusst von „potentiellen Kapitalverkehrskontrollen“, denn noch hofft er, dass sich ihre Einführung abwenden lasse. Kämen sie doch, „hätte das mit Sicherheit einen negativen, kaum kalkulierbaren Einfluss auf eine Kanzlei wie unsere“, sagt der Jurist. Erstens geriete das Tagesgeschäft in Stocken, wenn Geld für Mieten, Gehälter und Dienstreisen nicht mehr umstandslos zur Verfügung stehe.
„Zweitens fürchte ich, dass Kapitalverkehrskontrollen zu einem Verlust von Kunden führen könnten. Einerseits könnten internationale Gesellschaften aus diesen Grund ihre Tätigkeit in Griechenland einstellen, andererseits könnten die Kontrollen eine Aussetzung von Investitionsplänen zur Folge haben, etwa im Immobilienmarkt, wo in den jüngsten Monaten eine wachsendes internationales Interesse zu verzeichnen war.“ Vorbereiten könne sich eine Kanzlei wie seine auf eine solche Entwicklung kaum, sagt Gasparinatos.
„In einem Privathaushalt mag es leichter sein – man hortet ein wenig Bargeld und hofft, dass die Kontrollen bald aufgehoben werden. Aber eine Kanzlei kann man eigentlich nicht außerhalb des Banksystems betreiben.“ Für die griechische Wirtschaft wären Kapitalverkehrskontrollen mit einem „Rückschlag mit unvorstellbaren Konsequenzen“ verbunden, befürchtet Gasparinatos.

Einlagen im Ausland

„Nicht nur deshalb, weil es sehr lang dauern würde, bis Griechenland das verlorene Vertrauen der internationalen Investoren zurückgewinnt. Auch innerhalb des Landes wären soziale Turbulenzen nicht auszuschließen.“ Der Anwalt hofft, dass der Regierung bewusst ist, dass die große Mehrheit der Griechen den Euro behalten will und von den Verantwortlichen in Athen ein entsprechendes Verhandlungsergebnis erwartet.
Das gelte besonders für die Unternehmerschaft: „Die überwiegende Mehrheit der Privatwirtschaft ist mit den Handlungen der neuen Regierung und mit der Verzögerung eines Kompromisses mit den Gläubigern nicht einverstanden.“
Athanassios Syrianos, Geschäftsführer der Brauerei EZA Protypos und stellvertretender Präsident der Deutsch-Griechischen Industrie- und Handelskammer, sieht sein Unternehmen den Umständen entsprechend vorbereitet. Sollten es Kapitalverkehrskontrollen geben, sei man durch kurzfristige Einlagen im Ausland gewappnet. „Aber darüber hinaus können wir uns nicht vorbereiten, weil das völliges Neuland für uns ist. Wir sind schließlich keine Reederei mit Geschäften im Ausland, unsere Fabrik und der größte Teil unserer Kunden sind hier in Griechenland.“

Schulden mit inflationären Zahlungsmittel

Oft ist in den vergangenen Tagen nicht nur in Athen die Befürchtung geäußert worden, Kapitalverkehrskontrollen seien nur der erste Schritt einer Kaskade von Ereignissen, die letztlich in den Grexit münden werde, also Griechenlands Ausschluss aus der Eurozone. Syrianos und seine Kollegen haben schon vor Jahren ausführlich analysiert, was dieser Fall für ihre Brauerei bedeuten würde.
„Ausschlaggebend für jedes Unternehmen wird sein, in welchem Verhältnis ihre Guthaben zu den Schulden stehen und wie diese umgewandelt werden. Bei uns besteht der größte Teil der Forderungen in Griechenland und ein Teil der Verbindlichkeiten im Ausland.“ Bei einer Abwertung einer neuen griechischen Währung beziehungsweise einer inländischen Parallelwährung zum Euro hätte das Unternehmen also geringere Einnahmen und müsste mit einem mutmaßlich hochinflationären Zahlungsmittel Schulden in Euro bedienen.
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© AP, REUTERSSondergipfel soll Griechenland-Krise lösen

Zurück in die neunziger Jahre

Das könnte manch ein im Ausland verschuldetes Unternehmen hart treffen, womöglich zu hart. Ähnlich werde es selbst jenen Griechen gehen, die keine Schulden im Ausland haben. „Der Konsument wird mit seinem neuen Geld weniger anfangen können, da in Griechenland ein großer Teil der Waren importiert werden muss. Die Einkünfte werden in Drachmen sein, die Konsumgüter werden aber zum entsprechenden Wechselkurs importiert werden müssen.“
Bis zum Freitagmittag war an Bankschaltern und Geldautomaten in der Hauptstadt Athen allerdings keine Panik zu bemerken. Viele Griechen haben schon vor Wochen Geld abgehoben, und andere haben im siebten Krisenjahr ohnehin nichts mehr auf dem Konto. Sollte es Kapitalverkehrskontrollen geben und dann womöglich einen Grexit, werde sich das Land womöglich in den neunziger Jahren wiederfinden, argwöhnt der Manager Syrianos: „Es wird dann wie vor zwanzig Jahren sein, als man für ein Auto oder eine Stereoanlage hart sparen musste.“

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