28.10.2012
"Wir sind schneller als die Schuldenbremse"
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble über seine Großbaustellen Eurokrise und Haushaltskonsolidierung
Wolfgang Schäuble im Gespräch mit Theo Geers
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble geht davon aus, dass Deutschland bereits 2014 - zwei Jahre früher als vorgegeben - die Ziele des Gesetzes zur Schuldenbremse erreichen wird. Der Haushalt sei dann zwar noch nicht ausgeglichen, trotzdem sei das "ein toller Erfolg".
Theo Geers: Herr Schäuble, in dieser Woche gab's viel Verwirrung um Griechenland - um die Frage, ob dem Land mehr Zeit gegeben wird, um sein Haushaltsdefizit abzubauen und notwendige Reformen durchzuziehen. In Athen wurde dieser Aufschub schon verkündet, gerade so, als sei das alles im Prinzip unter Dach und Fach. In Brüssel, aber auch hier in Berlin hieß es: Nein, stimmt so nicht, wir sind noch nicht so weit. Können Sie diesen Widerspruch aufklären?
Wolfgang Schäuble: Ja, ich habe den griechischen Kollegen gleich angerufen, was er denn im Parlament gesagt hat. Es ist ja immer gut, man fragt direkt. Und er hat gesagt, nein, er habe nicht gesagt, die Verhandlungen seien abgeschlossen. Er sei da missverstanden worden, vielleicht habe er sich auch missverständlich ausgedrückt.
Er wollte den griechischen Politikern sagen: Das, was wir - griechische Regierung - mit der Troika verhandeln, wird dann hinterher nicht endlos lange von den griechischen Politikern noch einmal neu verhandelt werden können. Aber es sei völlig klar, die Verhandlungen seien nicht abgeschlossen. Wir haben ja auch einen Zwischenbericht der Troika in dieser Woche bei den Staatssekretären bekommen. Es geht weiter, und wir werden auch nicht spekulieren. Griechenland ist in einer schwierigen Lage, das ist wahr. Aber umso wichtiger ist, dass wir im Verfahren solide sind.
Geers: Aber Herr Schäuble, wenn man mal die Dinge zusammenzählt, wenn man sieht, dass ein Austritt Griechenlands oder gar ein Ausschluss Griechenlands aus der Eurozone offenkundig keine Frage mehr ist, also keine Option mehr ist, wenn man gleichzeitig Ihre Äußerung von der letzten Asienreise nimmt, als Sie diesen geflügelten Satz brachten "There will be no Staatsbankrott in Greece" - wenn man also das zusammenzählt und sagt: Griechenland soll in der Eurozone bleiben, Griechenland wird nicht pleite gehen, und wenn man gleichzeitig weiß, das Land muss wirtschaftlich wieder auf die Beine kommen: Das kann doch nur auf "mehr Zeit für Griechenland" hinauslaufen.
Schäuble: Es ist jedenfalls eine außergewöhnlich große Anstrengung für Griechenland selbst, denn sie müssen tiefgreifende Sanierungsmaßnahmen in der Finanzpolitik wie in der Wirtschafts- und Strukturpolitik durchsetzen. Versprochen haben sie es oft, aber sie müssen es machen. Und natürlich muss auch die Gemeinschaft der gemeinsamen europäischen Währung Griechenland helfen. Auch für uns alle ist es eine große Anstrengung.
Und das eigentliche Problem, und auch deswegen können wir noch nicht vorzeitig irgendwelche Ergebnisse verkünden, ist: Es muss so vereinbart werden, dass es auch von den Finanzmärkten geglaubt wird. Denn bisher, weil Griechenland noch jedes Mal nicht erfüllen konnte, was es versprochen hat, hat Griechenland einen Mangel an Glaubwürdigkeit. Und ohne Vertrauen wird Griechenland nicht wieder Zugang zu den Finanzmärkten finden können. Deswegen müssen wir mit Griechenland eine Lösung finden, die überzeugend ist und die nicht in sechs Monaten wieder nicht funktioniert.
Geers: Dennoch, es gibt Politiker auch hierzulande, die sind schon etwas weiter als Sie. Wenn ich zum Beispiel Rainer Brüderle nehme, der spricht jetzt schon von einem "überschaubaren Zeitaufschub", den man in Aussicht stellen könnte. Ist er da weiter? Was könnte das sein?
Schäuble: Nein, der Fraktionsvorsitzende der FDP Rainer Brüderle hat sehr klug gesagt - es scheitert ja nicht an uns, die Kanzlerin, der Finanzminister, also ich selbst, haben auch gesagt: Wir wollen ja, dass Griechenland in der Eurozone bleibt, weil wir wissen, die Folgen eines Ausscheidens sind auch nicht leicht abzusehen. Und Griechenland will in der Eurozone bleiben. Aber dann bleibt die Aufgabe so anstrengend und so fordernd, wie Rainer Brüderle das genau so sagt.
Und jetzt lassen Sie uns nicht weiter spekulieren. Es muss ein Programm sein, das überzeugend ist, und zwar nicht nur in Europa und in den Parlamenten, sondern vor allen Dingen in der globalen Wirtschaftswelt. Und Griechenland hat uns wieder und wieder angesteckt mit Zweifeln in die Verlässlichkeit dessen, was die Europäer beschließen. Und das darf beim nächsten Mal nicht wieder passieren. Beim letzten Programm ist es passiert. Die Leidtragenden sind insbesondere Spanien und Italien gewesen.
Geers: Sie sagen, es muss ein überzeugendes Programm sein, was Sie mit Griechenland abschließen. Was heißt überzeugend, was müssen die Griechen zusagen?
Schäuble: Ja, wir müssen beispielsweise dann im Verfahren Möglichkeiten finden, wer überwacht die Einhaltung des Programms? Wie ist sichergestellt, dass das, was vereinbart wird, wirklich auch in Kraft umgesetzt wird? Was passiert, wenn man von den Zahlen abweicht, gibt's dann automatische Kürzungen bei bestimmten Ausgaben? All diese Dinge - ein Kontrollmechanismus, ein Korrekturmechanismus. Der kann die Glaubwürdigkeit vielleicht schaffen, die wir bisher noch nicht für Griechenland-Programme erreicht haben.
Geers: Was glauben Sie, wie lange wird es noch dauern, bis die Einigung mit Griechenland unter Dach und Fach ist?
Schäuble: Wir arbeiten mit Hochdruck, die Troika arbeitet mit Hochdruck. Die Verhandlungen gehen auch voran, deswegen war ja der Zwischenbericht des griechischen Kollegen im Parlament auch nicht falsch, nur er ist überzogen interpretiert worden. Wer immer daran welche Schuld hat, weiß ich nicht. Griechenland braucht bis Mitte November die Auszahlung der nächsten Trance. Und insofern arbeiten wir mit Hochdruck daran, rechtzeitig die notwendigen Entscheidungen zustande zu bringen.
Geers: Wenn Griechenland dennoch mehr Zeit bekäme und Sie sagen, es muss eine überzeugende Lösung sein, die wir vorlegen, sagen Sie das auch deshalb, weil Sie wissen, Sie müssen alles, was Griechenland betrifft, durch den Bundestag bringen, und Sie brauchen dort eine Mehrheit, eine Mehrheit, die im Moment so sicher nicht zu sein scheint?
Schäuble: Ach, das ist nicht mein Problem. Natürlich brauchen wir für alle Entscheidungen die Zustimmung der Parlamente, aber das ist ganz selbstverständlich, das fürchte ich auch gar nicht. Im Gegenteil, das ist hilfreich. Aber die Parlamente nehmen ihre Verantwortung genau so ernst wie der Bundesfinanzminister seine wahrnehmen muss. Natürlich müssen wir, wenn wir wesentliche Änderungen an dem vereinbarten Programm vornehmen - können wir nur zustimmen, bevor der Bundestag zugestimmt hat. So steht es im Gesetz, daran halten wir uns. Das ist ganz selbstverständlich. Das werden wir erreichen, wenn die Lösung glaubwürdig ist.
Geers: Das heißt, die Mehrheit der Koalition steht dann?
Schäuble: Die Mehrheit der Koalition steht, wenn die Regierung vernünftige Entscheidungen trifft und treffen kann. Aber das muss die Troika mit der griechischen Regierung verhandeln und wir in der Eurogruppe. Das werden wir gemeinsam machen.
Die Vorstellung, wir hätten Angst vor dem Parlament, das ist so etwas, das mag man gerne in den Couloirs diskutieren und spekulieren. Das ist ziemlicher Unsinn. Alle Abgeordneten der Koalition, natürlich auch die der Opposition, nehmen ihre Verantwortung ernst. Dafür sind sie gewählt. Und die Regierung nimmt ihre Verantwortung besonders ernst, denn sie hat als Regierung eine noch höhere Verantwortung. Und da haben wir viel gegenseitiges Vertrauen.
Geers: Sie haben schon vor Wochen gesagt, Herr Schäuble, mehr Zeit für Griechenland würde auch mehr Geld für Griechenland bedeuten. Ist das ein Grund, weshalb es im Moment so schwierig ist, diese Lösung mit Griechenland, diese überzeugende Lösung, von der Sie sprechen, zu finden?
Schäuble: Na ja, klar. Wenn Griechenland länger keinen Zugang zum Finanzmarkt hat, dann muss es länger finanziert werden. Das ist einfache Mathematik oder Grundrechenarten - dass das mehr Geld kostet.
Wenn man mehr Geld geben soll, muss man dann dafür aber umso sicherer sein, dass es auch dies Mal funktioniert. Denn wir haben in der Vergangenheit schon öfter Entscheidungen korrigiert, weil sie so nicht umgesetzt wurden. Deswegen ist zum Beispiel eine der bisher nicht abschließend geklärten Voraussetzungen für alles, was wir entscheiden können, dass Griechenland die Maßnahme, die es versprochen hat umzusetzen, auch umgesetzt hat, bevor wir eine neue Entscheidung treffen. Das heißt neudeutsch: Die so genannte "prior actions" also die Aktionen, die Griechenland vor der nächsten Entscheidung gemacht haben muss, die haben sie bisher nicht alle umgesetzt. Das ist der Stand der Troika-Verhandlungen.
Geers: Im Raum steht, wenn es um mehr Geld ginge, eine Zahl von - wie das der griechische Finanzminister sagt - 12 bis 15 Milliarden Euro. Ist das eine realistische Hausnummer?
Schäuble: Nein, wir haben ja gesagt, wir spekulieren nicht, bevor wir den abschließenden Bericht der Troika haben. Nun lassen Sie einfach mich dabei, dass ich mich an das halte, was wir gemeinsam verabredet haben.
Geers: Okay, dann reden wir nicht weiter über das Entgegenkommen bei laufenden Haushaltsdefiziten, sondern reden wir noch über ein zweites Problem, was Griechenland hat, nämlich den Schuldenberg, der immer weiter aus dem Ruder läuft. Alle Maßnahmen, die wir in Sachen Griechenland überlegen, sollen darauf hinauslaufen, dass das Land 2020 auf einen Schuldenberg von 120 Prozent herunter kommt - ein Schuldenberg, von dem aus es danach dann aus eigener Kraft die Schulden weiter abbezahlen soll.
Nun sieht es aber im Moment so aus, dass dieser Schuldenberg eher steigt als das er fällt. Muss es nicht auch eine Erleichterung bei diesem Schuldenberg geben, Stichwort: Muss es möglicherweise einen neuen Schuldenschnitt geben für Griechenland?
Schäuble: Ja, da gibt es natürlich auch viele, die kluge Rechnungen anstellen. Nun muss man zunächst einmal sich im Klaren sein: Wir haben im vergangenen Jahr als Voraussetzung für das derzeitig geltende Programm für Griechenland - eigentlich geht es jetzt es nur um die nächste Tranche und die Schaffung der Voraussetzungen durch Griechenland dafür - wir haben da einen Schuldenschnitt von 53,5 Prozent zu Lasten der so genannten Privatgläubiger - das war aber beispielsweise auch der chinesische Staatsfonds, das hat die nicht alle gefreut - vorgenommen und haben dafür aber garantiert: Dabei bleibt es. Deswegen ist es ein bisschen unrealistisch jetzt, über weitere Schuldenschnitte zu reden.
Jetzt geht es um die Frage, da sagen manche 'ja, aber wir könnten ja auch bei den öffentlichen Forderungen einen Schuldenschnitt vornehmen', der öffentliche Sektor heißt es. Da muss man nur wissen, das haben aber alle Finanzminister oder fast alle in der Euro-Gruppe vor zwei Wochen schon gesagt: Wenn wir etwas Derartiges tun würden, würden wir uns zugleich die Möglichkeit nehmen, nach unserem Haushaltsrecht - das gilt in allen Ländern. Man gibt einem Schuldner, bei dem man gerade seine Forderungen nicht bedient bekommt, nicht neues Geld. Wir wären von Gesetzes wegen gehindert, weiteres zu tun.
Deswegen ist das eine Diskussion, die wenig mit der Realität in den Mitgliedsstaaten der Eurozone zu tun hat. Aber das ist ja eine Erfahrung, die wir häufig machen. Wenn es darum geht, über anderer Leute Geld zu verfügen, sind die Leute unheimlich fantasievoll. Das gilt generell, auch im Privatleben.
Geers: Dann gibt es eine zweite Idee, ein Schuldenrückkaufprogramm. Die Idee hört sich auch sehr einfach an: Griechenland bekommt neue Kredite, und mit diesen Krediten wird es in die Lage versetzt, alte Anleihen zum Marktwert zurückzukaufen. Und der Trick dabei ist dann: Für den Einsatz von einem Euro aus neuen Krediten könnte man Altschulden vielleicht von 1,50 Euro ablösen. Funktioniert das?
Schäuble: Das ist auch kein Trick, das ist schon eine Überlegung, die man seriöserweise anstellen kann. Das ist auch von dem einen oder anderen Mitglied des Zentralbank-Vorstandes in die Diskussion gebracht worden. Aber da wir nun gerade übereinstimmend festgestellt haben, man sollte eigentlich den deutschen Finanzminister nicht ständig in die Versuchung führen, Dinge zu machen, von denen er sagt: Wir haben verabredet, dass wir sie nicht machen, nämlich spekulative Überlegungen zu äußern, ehe wir den abschließenden Troikabericht haben, würde ich Sie einfach um Hilfe bitten, den Finanzminister nicht weiter in Versuchung zu führen . . .
Wolfgang Schäuble: Ja, ich habe den griechischen Kollegen gleich angerufen, was er denn im Parlament gesagt hat. Es ist ja immer gut, man fragt direkt. Und er hat gesagt, nein, er habe nicht gesagt, die Verhandlungen seien abgeschlossen. Er sei da missverstanden worden, vielleicht habe er sich auch missverständlich ausgedrückt.
Er wollte den griechischen Politikern sagen: Das, was wir - griechische Regierung - mit der Troika verhandeln, wird dann hinterher nicht endlos lange von den griechischen Politikern noch einmal neu verhandelt werden können. Aber es sei völlig klar, die Verhandlungen seien nicht abgeschlossen. Wir haben ja auch einen Zwischenbericht der Troika in dieser Woche bei den Staatssekretären bekommen. Es geht weiter, und wir werden auch nicht spekulieren. Griechenland ist in einer schwierigen Lage, das ist wahr. Aber umso wichtiger ist, dass wir im Verfahren solide sind.
Geers: Aber Herr Schäuble, wenn man mal die Dinge zusammenzählt, wenn man sieht, dass ein Austritt Griechenlands oder gar ein Ausschluss Griechenlands aus der Eurozone offenkundig keine Frage mehr ist, also keine Option mehr ist, wenn man gleichzeitig Ihre Äußerung von der letzten Asienreise nimmt, als Sie diesen geflügelten Satz brachten "There will be no Staatsbankrott in Greece" - wenn man also das zusammenzählt und sagt: Griechenland soll in der Eurozone bleiben, Griechenland wird nicht pleite gehen, und wenn man gleichzeitig weiß, das Land muss wirtschaftlich wieder auf die Beine kommen: Das kann doch nur auf "mehr Zeit für Griechenland" hinauslaufen.
Schäuble: Es ist jedenfalls eine außergewöhnlich große Anstrengung für Griechenland selbst, denn sie müssen tiefgreifende Sanierungsmaßnahmen in der Finanzpolitik wie in der Wirtschafts- und Strukturpolitik durchsetzen. Versprochen haben sie es oft, aber sie müssen es machen. Und natürlich muss auch die Gemeinschaft der gemeinsamen europäischen Währung Griechenland helfen. Auch für uns alle ist es eine große Anstrengung.
Und das eigentliche Problem, und auch deswegen können wir noch nicht vorzeitig irgendwelche Ergebnisse verkünden, ist: Es muss so vereinbart werden, dass es auch von den Finanzmärkten geglaubt wird. Denn bisher, weil Griechenland noch jedes Mal nicht erfüllen konnte, was es versprochen hat, hat Griechenland einen Mangel an Glaubwürdigkeit. Und ohne Vertrauen wird Griechenland nicht wieder Zugang zu den Finanzmärkten finden können. Deswegen müssen wir mit Griechenland eine Lösung finden, die überzeugend ist und die nicht in sechs Monaten wieder nicht funktioniert.
Geers: Dennoch, es gibt Politiker auch hierzulande, die sind schon etwas weiter als Sie. Wenn ich zum Beispiel Rainer Brüderle nehme, der spricht jetzt schon von einem "überschaubaren Zeitaufschub", den man in Aussicht stellen könnte. Ist er da weiter? Was könnte das sein?
Schäuble: Nein, der Fraktionsvorsitzende der FDP Rainer Brüderle hat sehr klug gesagt - es scheitert ja nicht an uns, die Kanzlerin, der Finanzminister, also ich selbst, haben auch gesagt: Wir wollen ja, dass Griechenland in der Eurozone bleibt, weil wir wissen, die Folgen eines Ausscheidens sind auch nicht leicht abzusehen. Und Griechenland will in der Eurozone bleiben. Aber dann bleibt die Aufgabe so anstrengend und so fordernd, wie Rainer Brüderle das genau so sagt.
Und jetzt lassen Sie uns nicht weiter spekulieren. Es muss ein Programm sein, das überzeugend ist, und zwar nicht nur in Europa und in den Parlamenten, sondern vor allen Dingen in der globalen Wirtschaftswelt. Und Griechenland hat uns wieder und wieder angesteckt mit Zweifeln in die Verlässlichkeit dessen, was die Europäer beschließen. Und das darf beim nächsten Mal nicht wieder passieren. Beim letzten Programm ist es passiert. Die Leidtragenden sind insbesondere Spanien und Italien gewesen.
Geers: Sie sagen, es muss ein überzeugendes Programm sein, was Sie mit Griechenland abschließen. Was heißt überzeugend, was müssen die Griechen zusagen?
Schäuble: Ja, wir müssen beispielsweise dann im Verfahren Möglichkeiten finden, wer überwacht die Einhaltung des Programms? Wie ist sichergestellt, dass das, was vereinbart wird, wirklich auch in Kraft umgesetzt wird? Was passiert, wenn man von den Zahlen abweicht, gibt's dann automatische Kürzungen bei bestimmten Ausgaben? All diese Dinge - ein Kontrollmechanismus, ein Korrekturmechanismus. Der kann die Glaubwürdigkeit vielleicht schaffen, die wir bisher noch nicht für Griechenland-Programme erreicht haben.
Geers: Was glauben Sie, wie lange wird es noch dauern, bis die Einigung mit Griechenland unter Dach und Fach ist?
Schäuble: Wir arbeiten mit Hochdruck, die Troika arbeitet mit Hochdruck. Die Verhandlungen gehen auch voran, deswegen war ja der Zwischenbericht des griechischen Kollegen im Parlament auch nicht falsch, nur er ist überzogen interpretiert worden. Wer immer daran welche Schuld hat, weiß ich nicht. Griechenland braucht bis Mitte November die Auszahlung der nächsten Trance. Und insofern arbeiten wir mit Hochdruck daran, rechtzeitig die notwendigen Entscheidungen zustande zu bringen.
Geers: Wenn Griechenland dennoch mehr Zeit bekäme und Sie sagen, es muss eine überzeugende Lösung sein, die wir vorlegen, sagen Sie das auch deshalb, weil Sie wissen, Sie müssen alles, was Griechenland betrifft, durch den Bundestag bringen, und Sie brauchen dort eine Mehrheit, eine Mehrheit, die im Moment so sicher nicht zu sein scheint?
Schäuble: Ach, das ist nicht mein Problem. Natürlich brauchen wir für alle Entscheidungen die Zustimmung der Parlamente, aber das ist ganz selbstverständlich, das fürchte ich auch gar nicht. Im Gegenteil, das ist hilfreich. Aber die Parlamente nehmen ihre Verantwortung genau so ernst wie der Bundesfinanzminister seine wahrnehmen muss. Natürlich müssen wir, wenn wir wesentliche Änderungen an dem vereinbarten Programm vornehmen - können wir nur zustimmen, bevor der Bundestag zugestimmt hat. So steht es im Gesetz, daran halten wir uns. Das ist ganz selbstverständlich. Das werden wir erreichen, wenn die Lösung glaubwürdig ist.
Geers: Das heißt, die Mehrheit der Koalition steht dann?
Schäuble: Die Mehrheit der Koalition steht, wenn die Regierung vernünftige Entscheidungen trifft und treffen kann. Aber das muss die Troika mit der griechischen Regierung verhandeln und wir in der Eurogruppe. Das werden wir gemeinsam machen.
Die Vorstellung, wir hätten Angst vor dem Parlament, das ist so etwas, das mag man gerne in den Couloirs diskutieren und spekulieren. Das ist ziemlicher Unsinn. Alle Abgeordneten der Koalition, natürlich auch die der Opposition, nehmen ihre Verantwortung ernst. Dafür sind sie gewählt. Und die Regierung nimmt ihre Verantwortung besonders ernst, denn sie hat als Regierung eine noch höhere Verantwortung. Und da haben wir viel gegenseitiges Vertrauen.
Geers: Sie haben schon vor Wochen gesagt, Herr Schäuble, mehr Zeit für Griechenland würde auch mehr Geld für Griechenland bedeuten. Ist das ein Grund, weshalb es im Moment so schwierig ist, diese Lösung mit Griechenland, diese überzeugende Lösung, von der Sie sprechen, zu finden?
Schäuble: Na ja, klar. Wenn Griechenland länger keinen Zugang zum Finanzmarkt hat, dann muss es länger finanziert werden. Das ist einfache Mathematik oder Grundrechenarten - dass das mehr Geld kostet.
Wenn man mehr Geld geben soll, muss man dann dafür aber umso sicherer sein, dass es auch dies Mal funktioniert. Denn wir haben in der Vergangenheit schon öfter Entscheidungen korrigiert, weil sie so nicht umgesetzt wurden. Deswegen ist zum Beispiel eine der bisher nicht abschließend geklärten Voraussetzungen für alles, was wir entscheiden können, dass Griechenland die Maßnahme, die es versprochen hat umzusetzen, auch umgesetzt hat, bevor wir eine neue Entscheidung treffen. Das heißt neudeutsch: Die so genannte "prior actions" also die Aktionen, die Griechenland vor der nächsten Entscheidung gemacht haben muss, die haben sie bisher nicht alle umgesetzt. Das ist der Stand der Troika-Verhandlungen.
Geers: Im Raum steht, wenn es um mehr Geld ginge, eine Zahl von - wie das der griechische Finanzminister sagt - 12 bis 15 Milliarden Euro. Ist das eine realistische Hausnummer?
Schäuble: Nein, wir haben ja gesagt, wir spekulieren nicht, bevor wir den abschließenden Bericht der Troika haben. Nun lassen Sie einfach mich dabei, dass ich mich an das halte, was wir gemeinsam verabredet haben.
Geers: Okay, dann reden wir nicht weiter über das Entgegenkommen bei laufenden Haushaltsdefiziten, sondern reden wir noch über ein zweites Problem, was Griechenland hat, nämlich den Schuldenberg, der immer weiter aus dem Ruder läuft. Alle Maßnahmen, die wir in Sachen Griechenland überlegen, sollen darauf hinauslaufen, dass das Land 2020 auf einen Schuldenberg von 120 Prozent herunter kommt - ein Schuldenberg, von dem aus es danach dann aus eigener Kraft die Schulden weiter abbezahlen soll.
Nun sieht es aber im Moment so aus, dass dieser Schuldenberg eher steigt als das er fällt. Muss es nicht auch eine Erleichterung bei diesem Schuldenberg geben, Stichwort: Muss es möglicherweise einen neuen Schuldenschnitt geben für Griechenland?
Schäuble: Ja, da gibt es natürlich auch viele, die kluge Rechnungen anstellen. Nun muss man zunächst einmal sich im Klaren sein: Wir haben im vergangenen Jahr als Voraussetzung für das derzeitig geltende Programm für Griechenland - eigentlich geht es jetzt es nur um die nächste Tranche und die Schaffung der Voraussetzungen durch Griechenland dafür - wir haben da einen Schuldenschnitt von 53,5 Prozent zu Lasten der so genannten Privatgläubiger - das war aber beispielsweise auch der chinesische Staatsfonds, das hat die nicht alle gefreut - vorgenommen und haben dafür aber garantiert: Dabei bleibt es. Deswegen ist es ein bisschen unrealistisch jetzt, über weitere Schuldenschnitte zu reden.
Jetzt geht es um die Frage, da sagen manche 'ja, aber wir könnten ja auch bei den öffentlichen Forderungen einen Schuldenschnitt vornehmen', der öffentliche Sektor heißt es. Da muss man nur wissen, das haben aber alle Finanzminister oder fast alle in der Euro-Gruppe vor zwei Wochen schon gesagt: Wenn wir etwas Derartiges tun würden, würden wir uns zugleich die Möglichkeit nehmen, nach unserem Haushaltsrecht - das gilt in allen Ländern. Man gibt einem Schuldner, bei dem man gerade seine Forderungen nicht bedient bekommt, nicht neues Geld. Wir wären von Gesetzes wegen gehindert, weiteres zu tun.
Deswegen ist das eine Diskussion, die wenig mit der Realität in den Mitgliedsstaaten der Eurozone zu tun hat. Aber das ist ja eine Erfahrung, die wir häufig machen. Wenn es darum geht, über anderer Leute Geld zu verfügen, sind die Leute unheimlich fantasievoll. Das gilt generell, auch im Privatleben.
Geers: Dann gibt es eine zweite Idee, ein Schuldenrückkaufprogramm. Die Idee hört sich auch sehr einfach an: Griechenland bekommt neue Kredite, und mit diesen Krediten wird es in die Lage versetzt, alte Anleihen zum Marktwert zurückzukaufen. Und der Trick dabei ist dann: Für den Einsatz von einem Euro aus neuen Krediten könnte man Altschulden vielleicht von 1,50 Euro ablösen. Funktioniert das?
Schäuble: Das ist auch kein Trick, das ist schon eine Überlegung, die man seriöserweise anstellen kann. Das ist auch von dem einen oder anderen Mitglied des Zentralbank-Vorstandes in die Diskussion gebracht worden. Aber da wir nun gerade übereinstimmend festgestellt haben, man sollte eigentlich den deutschen Finanzminister nicht ständig in die Versuchung führen, Dinge zu machen, von denen er sagt: Wir haben verabredet, dass wir sie nicht machen, nämlich spekulative Überlegungen zu äußern, ehe wir den abschließenden Troikabericht haben, würde ich Sie einfach um Hilfe bitten, den Finanzminister nicht weiter in Versuchung zu führen . . .
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