SteuerdatenNachruf auf das Schweizer Bankkundengeheimnis
Die Schweiz knickt ein. Und beteiligt sich künftig am Austausch von Steuerdaten. Dem Land fehlt die Kraft, seine eigene Rechtsordnung weltweit zu verteidigen.
18.05.2014, von ROGER KÖPPEL
© WOHLFAHRT, RAINERWer künftig seinen Besitz vor dem Fiskus retten will, muss ganz in die Schweiz auswandern
Vergangene Woche bekräftigte die Schweiz auf einem Treffen der OECD in Paris ihren Willen, sich künftig am internationalen Austausch steuerrelevanter Daten zu beteiligen. Die freudlose Beerdigung des 80-jährigen Bankkundengeheimnisses erfolgte unter Vorbehalt: Die Kontoinformationen von Bankkunden, die nicht in der Schweiz leben, wird die Schweiz erst dann an die betreffenden Heimatstaaten weiterleiten, wenn globale Standards bestehen.
Keine Frage: Die Schweizer Regierung hatte nicht mehr die Kraft, gegenüber dem Ausland an ihrer eigenen Rechtsordnung festzuhalten. Sie gab dem Druck der schwer verschuldeten Hochsteuerländer nach, die ihre Steuergesetze dem erfolgreichen Kleinstaat aufzwingen, um ihn weniger erfolgreich zu machen. Man hat für das finale Einknicken sogar ein gewisses Verständnis: Die Schweiz ist klein, der Schweizer will nicht anecken und ist, auch aus wirtschaftlichen Gründen, auf ein global möglichst gutes Einvernehmen angewiesen. Ihre Mehrsprachigkeit hat die Schweizer im guten Sinn sensibel und weltoffen gemacht, aber auch überempfindlich und vielleicht allzu harmoniesüchtig. Nachgeben ist die nationale Tugend des Kompromisses.
Die Schweizer bestimmen selbst, wie viel Geld der Fiskus bekommt
Sicher spielte auch das schlechte Gewissen mit. Der rechtschaffene Schweizer fühlt sich nicht wohl, wenn er seine Landesfahne auf internationalen Fahndungslisten sieht. Und viele Banken dürften die Spielräume des Gesetzes bis an den Schmerzpunkt ausgereizt haben und darüber hinaus. Die Zerstörung des Bankkundengeheimnisses war auch eine Folge von Übermut und Gier in der Finanzindustrie, die allerdings oft nur die Wünsche ihrer steuerflüchtigen Kunden pflichtgetreu umsetzte. Und man darf nicht vergessen: Wenn beispielsweise ein Deutscher seine Steuern nicht ordnungsgemäß bezahlt, ist das nicht die Verantwortung einer Schweizer Bank. Schließlich fragt auch der Uhrenhändler in Genf seinen deutschen Kunden nicht, ob er das Geld für seine neue Rolex mit ordentlich versteuertem Geld bezahlt habe. Es ist nicht das Problem der Schweiz, wenn Ausländer zu Hause keine Steuern zahlen!
Die Beseitigung des Bankkundengeheimnisses bedeutet mehr Macht für den Staat und weniger Macht für den Bürger, den Ansprüchen und Begehrlichkeiten des Staates auszuweichen. Dahinter steht die Philosophie, wonach Staatseinnahmen heilig sind und der Bürger im Grunde kein Eigentum besitzt außer jenem Rest, den ihm der Staat nach Abzug aller Steuern und Abgaben übrig lässt. Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet jene Staaten, die auf fiskalische Allmacht und hohe Steuern setzen, viel höher verschuldet sind als die Schweiz, die dem Staat gewisse Grenzen setzt beim Durchgriff auf private Brieftaschen. In der Schweiz bestimmen die Bürger in der direkten Demokratie, wie viel Geld der Staat bekommen darf. In den meisten repräsentativen Demokratien des Westens bestimmt der Staat, bestimmen seine meist hauptberuflichen, voll angestellten Parlamentarier, wie viel Geld sie den Bürgern abnehmen wollen. Das Ende der finanziellen Privatsphäre ist für Liberale eine schlechte Nachricht.
Der Staat kann auf den Neid der weniger Begüterten zählen
Das Bankgeheimnis ist nicht für krumme Geschäfte erfunden worden. Das Bankkundengeheimnis wurde bei seiner Installierung 1934 gerade von den Schweizer Sozialdemokraten als „zivilisatorische Errungenschaft“ gefeiert. Der damalige SP-Präsident Walther Bringolf verteidigte es als unverzichtbares Element der Bürgerrechte. Als Beispiel diente ihm die Tatsache, dass große Teile des deutschen Gewerkschaftsvermögens nach der Machtergreifung Hitlers nur dank dem Bankkundengeheimnis in die Schweiz gerettet werden konnten. Seither blieb die Schweiz ein geschätzter Notlandeplatz für verfolgte Vermögen aus aller Welt. Natürlich profitierten auch zwielichtige Gestalten vom Schutz. Seit den achtziger Jahren allerdings verfügte die Schweiz nicht nur über eine der strengsten Geldwäschereigesetzgebungen der Welt. Sie setzte sie auch um. Wie alle guten Dinge konnte auch das Bankkundengeheimnis missbraucht werden. Die meisten Angriffe dagegen jedoch waren politisch motiviert von Leuten, die dem Staat mehr Macht und dem Einzelnen weniger Autonomie geben wollen. Diese Etatisten triumphieren heute.
Der internationale Kampf gegen den Schutz der finanziellen Privatsphäre ist nicht frei von schizophrenen Zügen. Die gleichen Leute, die mit selbstgerechtem Zorn den gläsernen Steuerzahler fordern, finden es ganz schlimm, wenn der amerikanische Geheimdienst das Handy ihrer Kanzlerin abhört. Geheimnis ist eben nicht gleich Geheimnis. Die gleichen Leute, die jubeln, wenn der Staat über ihre finanziellen Transaktionen Bescheid weiß, sind schockiert, wenn auf Google harmlose Bilder ihres Vorgartens zu sehen sind. Hier sind Maßstäbe durcheinandergeraten. Kommt hinzu, dass vor allem wohlhabende und mobile Zeitgenossen Teile ihres Kapitals in Sicherheit bringen. Der nach Steuern lechzende Staat kann auf den Neid der weniger Begüterten zählen, wenn er sich an den Konten der Reichen zu schaffen macht. Übersehen wird, dass Steuerflucht immer auch ein Indiz für politische Missstände ist (zu hohe Steuern, unsichere Eigentumsordnung). Man wird die Missstände nicht los, indem man die Repression verschärft.
Die Erfolgsfaktoren des Kleinstaats
Die Abschaffung des Bankkundengeheimnisses durch die internationale Staatengemeinschaft macht deutlich, dass das Klima für die Wohlhabenden ungemütlicher wird. Die Staaten sind unfähig zu sparen, also holen sie das Geld dort, wo es noch Geld gibt: Bei ihren reichen Bürgern und in reichen Ländern wie der Schweiz. Der staatliche Angriff aufs private Eigentum wird traditionsgemäß mit moralischen Motiven und großspurigen Reden vernebelt. Tatsache bleibt, dass es beim Kampf gegen das Bankkundengeheimnis am Ende um einen Verteilungskampf zwischen Staat und Bürger auf Kosten des Bürgers geht. Allerdings ist es kurzsichtig, die Haushaltsprobleme durch nur immer mehr Umverteilung und höhere Steuern und Abgaben lösen zu wollen. Es ist ein historisches Gesetz, dass die allgemeine Umverteilung von Reichtum am Ende bei der allgemeinen Armut endet. Den Armen geht es dort am besten, wo es viele Reiche gibt.
Die Schweiz bleibt trotz der jüngsten Entwicklungen attraktiv. Es ist ja nicht so, dass das Land seinen Wohlstand ausschließlich der internationalen Steuerflucht verdankt. Die Schweiz ist ein von Natur aus armes Land ohne Kolonien und Bodenschätze, das sich einen schlanken liberalen Staat gegeben hat. Weltoffenheit, kontrollierte Zuwanderung von Hochqualifizierten, maßvolle Steuern und Abgaben, eine eigene stabile Währung und eine auf die Bedürfnisse des Landes zugeschnittene Wirtschaftspolitik: Das sind die Erfolgsfaktoren des Kleinstaats, dessen direkte Demokratie dafür sorgt, dass die Politik haushälterisch mit dem Geld umgeht. Wer heute seinen Besitz vor seinen immer zudringlicheren Fiskalbehörden in Sicherheit bringen will, kann nicht mehr einfach sein Geld in die Schweiz überweisen. Er muss gleich integral in die Schweiz auswandern. In einer Welt, die das Privateigentum immer weniger respektiert, wird die Schweiz ein Sehnsuchts- und Zufluchtsort bleiben.
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