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Mittwoch, 14. Mai 2014

Die prorussischen Kräfte in Donezk fordern den Beitritt zur russischen Föderation. Für Präsident Wladimir Putin ist die Entscheidung brisant. Hebt er den Daumen oder senkt er ihn? Beide Szenarien bergen Risiken.

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(Foto: REUTERS)

Was macht Moskau?Putin in der Separatisten-Falle

Von Christian Rothenberg
Die prorussischen Kräfte in Donezk fordern den Beitritt zur russischen Föderation. Für Präsident Wladimir Putin ist die Entscheidung brisant. Hebt er den Daumen oder senkt er ihn? Beide Szenarien bergen Risiken.
Der Ukraine-Konflikt ist auch die Stunde der Strategen. Russische Journalisten, die das Handeln von Wladmir Putin seit Jahren analysieren, haben ihre ganz eigene Theorie entwickelt, die Drei-Tage-Regel. Demzufolge vergingen nach Großereignissen stets drei Tage, bevor der Präsident eine wichtige Entscheidung trifft, schreibt die nicht-staatliche russische Zeitung "Moscow Times". Der Drei-Tage-Regel zufolge müsste Putin an diesem Mittwochabend erklären, wie es weitergehen soll.
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Darum geht es: Am Montag bekundete Moskau, die umstrittenen Referenden in der Ostukraineanzuerkennen. Doch die wirklich brisante Frage steht noch aus. Die Separatisten der so genannten "Volksrepublik Donezk" fordern den Beitritt zu Russland. Putin muss darauf eine Antwort finden. Das Problem ist: Egal ob er den Wunsch erfüllt oder ablehnt - es scheint, als könne er sich nur falsch entscheiden. Denn beide Szenarien haben für Russland vor allem Nachteile.
Zuletzt befürwortete Moskau die Umwandlung der Ukraine in einen föderativen Staat mit mehr Unabhängigkeit für die Regionen. Putin und sein Außenminister Sergej Lawrow betonten, keine Ambitionen zu haben, die Ostukraine aufzunehmen. Die Krim sei ein Sonderfall. Umso fataler wäre es, in dieser Frage nun eine Kehrtwende zu vollziehen. Schon auf der Krim dementierte Putin zunächst ein russisches Engagement, bevor er es schließlich doch bestätigte. Ein Ja zu den Separatisten würde seine Glaubwürdigkeit nachhaltig erschüttern. Für den Westen, der Russland als Anstifter sieht, wäre dies ein dankbarer Beleg, wie gerechtfertigt die am Montag verschärften Sanktionen sind. Spätestens dann könnte Moskau nicht mehr leugnen, den Zerfall der Ukraine aktiv zu betreiben.

Übernimmt sich Moskau?

Sollte Putin die "Unabhängige Volksrepublik" aufnehmen, sendet er zudem ein klares Signal an andere Regionen der Ukraine. Wahrscheinlich ist, dass sich dann auch separatistische Bewegungen in östlichen und südlichen Oblasten wie Odessa, Charkiw, Dnipropetrowsk ausweiten. Prorussische Minderheiten könnten sich dort ebenfalls durchsetzen, weil Kiew seine Regionen nicht schützen kann. Für Moskau heißt das: Möglicherweise gibt es weitere Aufnahmegesuche.
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Im Hinblick auf eine Destabilisierung der Ukraine hätte Putin sein Ziel erreicht. Es stellt sich jedoch die Frage: Übernimmt sich Russland mit weiteren Annexionen? Die heimische Wirtschaft befindet sich im Sturzflug. Angaben der Bundesregierung zufolge hat das Land in den vergangenen sechs Wochen auch infolge der Sanktionen 100 Milliarden Dollar verloren. Zwar gehört Donezk zu den wohlhabendsten Regionen der Ukraine, doch die Oblast leidet unter der massiven Wirtschaftskrise. Gehälter werden nicht mehr vollständig ausgezahlt, die Gaspreise schießen in die Höhe, Banken und Geschäfte haben geschlossen.
Und mal angenommen, Putin lehnt die Forderung der prorussischen Rebellen in der Ostukraine ab? Auch dieses Szenario hätte unpopuläre Nebenwirkungen. Nach den umstrittenen Referenden berichteten auch westliche Medien von der euphorischen Stimmung in den "Unabhängigen Volksrepubliken". Womöglich wird diese Feierlaune nicht lange anhalten, wenn Russland einen Beitritt ablehnt. Mit einem Nein riskiert Putin, große Hoffnungen zu enttäuschen. Von einer "Wiedervereinigung mit Russland" versprechen sich viele Menschen vor allem einen wirtschaftlichen Aufschwung. Schon seit Jahren monieren Ostukrainer, dass die strukturstarken östlichen Regionen das ganze Land ernähren. Viele wünschen sich, das Geld stärker selbst zu verwalten, anstatt die ukrainische Armee zu finanzieren, die in diesen Tagen als Feind empfunden wird.

"Neurussland" braucht Verbündete

Tausende Menschen in der Ostukraine zogen in den vergangenen Wochen mit russischen Fahnen und "Putin hilf"-Plakaten auf die Straße. Bislang half Moskau nur indirekt, indem es Zehntausende Soldaten an der Grenze stationierte. Ob als festes Mitglied in der russischen Föderation oder in einer privilegierten Partnerschaft, sicher ist: Nach dem Referendum braucht die "Unabhängige Republik", die von der Westukraine und dem Westen nicht anerkannt wird, Verbündete. Für wirtschaftliche oder gar militärische Unterstützung bleibt nur Russland. Sollte ausgerechnet der große Bruder im Osten nun absagen, wäre die Enttäuschung groß.
Wie bedrohlich die Lage ist und wie sehr die Zeit drängt, zeigt auch die Versorgungsfrage. Am Tag nach dem Referendum drohte Russland der Ukraine mit einemStopp der Gaslieferungen. Falls Kiew die Rechnung für Juni nicht bis Anfang des Monats vorab begleicht, erhalte das Land "null Kubikmeter Gas", sagte Gazprom-Chef Alexej Miller. Tatsächlich bedroht dies jedoch nicht nur die West-, sondern auch die Ostukraine - also auch die "Unabhängige Volksrepublik Donezk". Entweder Putin bekennt sich zu den schon als "Neurussland" bezeichneten neuen Republiken oder er lässt sie im Stich.
Zuletzt erschien es häufig, als sei es Moskau, das die Geschichte des Ukraine-Konflikts weiterschreibe und dem Westen stets einen Schritt voraus sei. Jetzt blicken alle gebannt zu Putin. Der Präsident steht vor einer seiner schwersten Entscheidungen. Ob Putin drei Tage dafür ausreichen? Denn diesmal ist die Lage besonders vertrackt.
Referendum im Osten der Ukraine: Die Brennpunkte
Quelle: n-tv.de

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