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Sonntag, 25. Oktober 2015

Ihrem Nachfolger hinterlässt Fernández de Kirchner ein schweres Erbe. Nach zwei Amtszeiten darf sie selbst nicht mehr antreten. Der Kandidat ihres Bündnisses „Front für den Sieg“ ist Daniel Scioli, ein ehemaliger Rennbootfahrer und Gouverneur der Provinz Buenos Aires. Er ist kein enger Vertrauter Kirchners. Er gilt als konservativer und weniger dogmatisch und kündigt einen graduellen Wandel an. Vorsichtig ließ er sein Umfeld andeuten, mit den Hedgefonds verhandeln zu wollen, deren erfolgreiche Klage vor einem amerikanischen Gericht auf volle Schuldentilgung Argentinien 2014 in den technischen Zahlungsausfall trieb und damit von den Finanzmärkten abschnitt. Dasselbe verspricht Sciolis größter Konkurrent, Maurício Macri, Sohn eines der reichsten Unternehmer des Landes und Bürgermeister von Buenos Aires. Macri tritt für das liberal-konservative Bündnis „Cambiemos“ („Auf zum Wechsel“) an. Er hat angekündigt, Steuern auf landwirtschaftliche Produkte zu senken und Exportbeschränkungen aufzuheben.

Wahl in ArgentinienNach dem großen Schlachten

In Argentinien endet die Regierungszeit von Cristina Fernández de Kirchner. Wie sehr ihre Politik der Wirtschaft des Landes geschadet hat, zeigt die kriselnde Rinderzucht.

© DAVID KLAUBERTDas isst der Gaucho: Ein Rinderhirte grillt in der Pampa bei Buenos Aires.
Sechsundsechzig Bullen und 91 Kühe, prächtige Angus-Rinder, sollen an diesem Nachmittag auf der Estancia Casamú versteigert werden. Doch vor der Auktion wird erst einmal gegessen. Seit 7.30 Uhr liegt das Fleisch über der Glut, mehrere Kilo schwere Brocken. Es brutzelt, Pampa-Wind bläst den Rauch über die benachbarte Weide. Dort reihen sich Geländewagen aneinander.
Gut 150 Rinderzüchter aus dem ganzen Land sind zu der Auktion zwei Autostunden nordwestlich von Buenos Aires gekommen. Die Züchtung von Casamú gilt als eine der besten Argentiniens: geringes Geburtsgewicht, schnelles Muskelwachstum und Fettschwarten, die das Fleisch auf dem Grill besonders saftig und geschmackvoll machen. Serviert wird es von großen Platten, dazu gibt es Sekt und Rotwein. Mitten im Festzelt ist ein Gatter aufgebaut, in dem vor dem Nachtisch die Zuchtrinder versteigert werden. Es herrscht Jahrmarktstimmung. „Wir kommen aus einer langen Nacht. Jetzt spüren wir frischen Wind“, sagt der Tierarzt Pancho Fattorini, der in den Familienbetrieb Casamú eingeheiratet hat. „Schlimmer kann es ja kaum werden.“
Rindfleisch, das war neben Fußball einst der Stolz der Argentinier, eines der wichtigsten Exportprodukte und Grundnahrungsmittel. Nach zwölf Jahren „Kirchnerismus“ aber, zunächst unter Präsident Néstor Kirchner, dann unter seiner Frau Cristina Fernández de Kirchner, ist es zum Symbol geworden für Misswirtschaft. Ihre Ära, die mit der Wahl am kommenden Sonntag zu Ende geht, war geprägt von Protektionismus und dirigistischen Eingriffen, die auf kurzfristig positive Effekte setzten, langfristig aber enorme strukturelle Probleme aufgebaut haben.
36793835Boina-Mütze und hoch zu Ross: Gauchos auf der Hacienda Casamú© DAVID KLAUBERTBilderstrecke 
Als Néstor Kirchner 2003 an die Macht kam, war Argentinien bankrott. Armut und Arbeitslosigkeit stiegen in die Höhe, wütende Demonstranten füllten die Straßen. Ein Präsident war im Hubschrauber aus dem Regierungssitz geflohen, vier weitere lösten sich innerhalb von Monaten ab. Kirchner gelang es, einen Schuldenschnitt durchzusetzen. Er führte Argentinien in eine Phase der Stabilität und brachte dank steigender Rohstoffpreise einen wirtschaftlichen Aufschwung. Auch der Export von Rindfleisch boomte. 2005 verkaufte Argentinien 771.000 Tonnen und war damit drittgrößter Rindfleisch-Exporteur der Welt.
Kirchner hatte aber auch versprochen, den „Tisch der Argentinier“ mit günstigen Lebensmitteln zu füllen. Als die Preise für Rindfleisch im Inland stiegen, griff seine Regierung ein. Für mehrere Wochen verbot sie den Export vollständig, danach ließ sie ihn nur stark eingeschränkt wieder zu. Und tatsächlich fielen dank des plötzlichen Überangebots die Preise in den argentinischen Metzgereien. Doch die Freude darüber hielt keine drei Jahre lang. Für viele Viehzüchter lohnte sich das Geschäft nicht mehr. Sie schlachteten ihre Herden, der Bestand sank von 59 Millionen auf unter fünfzig Millionen. Auf dem Weltexportmarkt fiel Argentinien auf den zwölften Platz zurück und liegt nun noch hinter dem kleinen Nachbarn Uruguay. An den argentinischen Kühltheken aber stiegen die Preise bald wieder, ungeachtet immer neu diktierter Höchstgrenzen.
Viele Bauern begannen, auf den Weiden Soja anzubauen. Der Weltmarktpreis schoss in die Höhe und machte die kleinen Bohnen extrem profitabel – auch für die argentinische Regierung. Sie erhöhte die Exportsteuer auf 35 Prozent und nimmt damit inzwischen geschätzte sieben Milliarden Dollar ein. Die Anbaufläche für Soja wuchs auf über zwanzig Millionen Hektar, mehr als die Hälfte der gesamten Ackerbaufläche. Der Weg von Buenos Aires durch die Pampa führt auch jetzt im südamerikanischen Frühling an kilometerlangen, herbstlich gelben und braunen Feldern vorbei. Für die Sojasaat werden sie mit Glyphosat besprüht, einem Herbizid, das alle Pflanzen abtötet – nur die genveränderten Sojapflanzen überleben. Die Weltgesundheitsorganisation stuft Glyphosat seit März als „wahrscheinlich krebserregend für den Menschen“ ein. Immer wieder gibt es Berichte von Krebserkrankungen und Missbildungen im Umfeld der Plantagen.
Kartendaten © 2015 Google, INEGI
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Mit dem Sojaboom wurde auch das Land teurer. Das wiederum begünstigte die Entstehung Tausender „Feedlots“, riesiger Freiluftstallungen, in denen Rinder mit Kraftfutter gemästet werden. Weil auch die Ausfuhr von Mais und anderen Getreiden hoch besteuert und immer wieder mengenmäßig eingeschränkt wird, ist es für viele Bauern rentabler, ihre Ernte zu verfüttern. Die Rinder wachsen so schneller als in der Weidehaltung. Statt nach zwei bis drei Jahren sind sie schon nach anderthalb Jahren schlachtreif – was nicht zuletzt das Risiko angesichts einer unberechenbaren Politik verringert. Und so stammt heute mindestens die Hälfte des argentinischen Fleisches nicht mehr von grasfressenden Pamparindern, sondern aus der Mastproduktion, in der die Tiere zusammengepfercht in Matsch und Mist stehen und wegen der hohen Ansteckungsgefahr Antibiotika bekommen.
Doch nicht alle Bauern konnten sich diese Umstellungen leisten. Der Sociedad Rural Argentina (SRA) zufolge, dem ältesten Landwirtschaftsverband, haben in den Kirchner-Jahren mehr als 95.000 landwirtschaftliche Betriebe geschlossen. Zehntausende Arbeiter und Rinderhirten, Gauchos, wurden entlassen. 139 Schlachthöfe machten dicht. Betroffen waren vor allem kleinere und mittlere Betriebe, so dass die kirchnersche Politik, die sich auch gegen die Macht der traditionellen Großgrundbesitzer wandte, die Konzentration doch letztlich beschleunigte: Der milliardenschwere Sojaexport ist heute in der Hand von sieben Großkonzernen.
Und weil Soja gut ein Viertel der Gesamtexporterlöse ausmacht, leidet Argentinien besonders unter dessen starkem Preisverfall. Der Regierung fehlen Devisen. Seit der Staatspleite mag ihr an den internationalen Finanzmärkten kaum jemand etwas leihen. Den Devisenfluss im In- und ins Ausland hat sie deshalb streng begrenzt. Internationale Unternehmen können mögliche Gewinne nicht mehr außer Landes transferieren, weshalb sich viele zurückgezogen haben. Argentinische Privatleute dürfen zum Sparen gegen Vorlage eines Finanzamtsbescheids zwanzig Prozent ihres Einkommens in Dollar wechseln. Für höhere Summen brauchen sie eine Begründung, etwa eine Reise. Oder sie wechseln auf dem Schwarzmarkt.
Das hat zur Folge, dass auf der Calle Florída, der wichtigsten Einkaufsmeile von Buenos Aires, alle paar Meter ein „Arbolito“ steht, ein „Bäumchen“, und den Passanten „Cambio, cambio“ zuruft. Die meisten von ihnen sind peruanische oder kolumbianische Einwanderer. Sie kaufen Dollars, Euros oder brasilianische Reais. Den besten Kurs bieten sie für große Scheine. Für 100 Dollar zahlen sie derzeit 1575 Pesos; der offizielle Kurs in der Bank liegt bei 946 Pesos. Die Devisen, erzählt ein junger Peruaner, verkaufe er weiter an einen „Mayorista“, einen Großhändler in der Nebenstraße. Die Peso-Stapel, die er dort im Gegenzug bekomme, stammten größtenteils aus den Geschäften der Drogenkartelle, die sich in den vergangenen Jahren in Argentinien immer weiter ausbreiten. Um ungestört in der Fußgängerzone arbeiten zu können, sagt der „Arbolito“, müsse er der Polizei jeden Monat 400 Dollar Schmiergeld zahlen. „Direkt an den Chef.“
Die Regierung toleriert das illegale Treiben, Argentinier sprechen von einem „blauen“ Markt. In manchem Fernsehsender läuft der Kurs des „Dólar Blue“ noch vor den Börsenkursen. Er bietet der Bevölkerung ein Ventil, die der eigenen Währung nicht traut. Dass auf den neuen Hundert-Peso-Scheinen Nationalheldin Evita Perón abgebildet ist, hilft da nicht viel. Um ihr Staatsdefizit zu finanzieren, druckt die Regierung Geld und befeuert die Inflation. Derzeit liegt sie bei etwa 25 Prozent. Sie trifft besonders diejenigen, die ohne festen Vertrag arbeiten und nur schleppend Lohnanpassungen bekommen. Das sind mehr als ein Drittel aller Beschäftigten.
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Insgesamt aber blieben beide Kandidaten während des Wahlkampfs gerade bei Wirtschaftsthemen vage. Um unpopuläre Maßnahmen wird der neue Präsident – in den Umfragen liegt Scioli vorn – kaum herumkommen. Die künstliche Überbewertung des Pesos, da sind sich die meisten argentinischen Experten einig, ist nicht länger aufrechtzuerhalten. Eine Abwertung wird besonders die ärmeren Schichten treffen. Zugleich sind die Staatskassen fast komplett leer. Nur dank chinesischer Kredite konnte die Regierung Sozialausgaben und öffentliche Investitionen noch einmal erhöhen und die Konjunktur etwas ankurbeln. Lange über den Wahltag hinaus aber wird das Geld nicht reichen, mit dem die zuversichtliche Stimmung bezahlt wird.
Die Rinderauktion auf Casamú verläuft trotzdem gut. Ein Gaucho mit Baskenmütze und Halstuch treibt Kühe und Bullen in das Gatter, während im Zelt Eis serviert wird. Der Auktionator ruft die Gebote aus, willige Käufer winken mit ihren Angebotskatalogen. Sie denken in längeren Zyklen: neun Monate Schwangerschaft, sechs Monate Säugen und noch einmal zwei Jahre bis zur Schlachtung. Dann, so hoffen sie, sind die politischen Bedingungen für ihr Geschäft wieder besser. „Wir wollen vorbereitet sein“, sagt Freddy Zarattini, ein Rinderbauer aus der Nähe, der für jeweils 18.500 Pesos zehn schwangere Kühe ersteigert hat. „Es ist eine Wette. Wie Roulette.“
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© DPA, AFPArgentinien: Ära Kirchner geht zu Ende

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