Triumph der Opposition
Erstmalige Stichwahl in Argentinien
Das Oppositionsbündnis Cambiemos des konservativen Präsidentschaftskandidaten Mauricio Macri sorgt bei den Wahlen in Argentinien gleich für mehrere Überraschungen.
Lange bevor die offiziellen Resultate eintrafen, eröffnete Daniel Scioli den Wahlkampf für die Stichwahl am 22. November. In einer hitzigen Rede vor seinen Anhängern griff der Kandidat des regierenden Frente para la Victoria (FPV) von Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner frontal seinen Kontrahenten Mauricio Macri an, den bisherigen Bürgermeister von Buenos Aires und konservativen Kandidaten des Oppositionsbündnis Cambiemos. Offenbar wusste Scioli zu diesem Zeitpunkt schon, dass es ihm nicht reichen würde für einen Sieg im ersten Wahlgang – deutlich nicht reichen.
Alles offen
Und so sollten es die mit eklatanter Verspätung eintreffenden offiziellen Resultate denn auch bestätigen: Bei 90 Prozent der ausgezählten Stimmen lag Scioli bei 36,1 Prozent Stimmenanteil, während Macri auf 35,0 Prozent kam. Für einen Sieg im ersten Wahlgang hätte Scioli 45 Prozent benötigt, oder 40 Prozent mit 10 Prozentpunkten Differenz auf den Zweitplacierten. Einige der letzte Umfragen hatten noch einen Sieg Sciolis im ersten Wahlgang prognostiziert oder dieses Szenario zumindest als möglich angezeigt. Die Deutlichkeit, mit der Scioli dies nun verpasst hat, verblüfft selbst seine Kontrahenten.
Mit 21,2 Prozent belegte der abtrünnige Peronist Sergio Massa den dritten Rang, was ihm eine entscheidende Rolle für den zweiten Wahlgang einbringt. Massa, der einstige Kabinettschef Kirchners, hat mit seinem Frente Renovador (FR) einen oppositionellen Flügel innerhalb des Peronismus gebildet, der für einen Wandel eintritt und sich grossen Zulaufs erfreut. Bis am 22. November wird sich zeigen, ob Massa und seine Anhänger dem angepriesenen Wandel mehr verbunden sind als dem Peronismus. Experten gehen davon aus, dass sich seine Wähler zu gleichen Teilen auf Macri und Scioli aufteilen werden. Dass Massa sich offiziell einem der beiden Kandidaten anschliessen wird, ist nicht zu erwarten. Für die Stichwahl bleibt alles offen.
Signal aus der Provinz
Das Bekanntwerden der ersten Resultate hat das Oppositionsbündnis Cambiemos in einen Freudentaumel versetzt. Verantwortlich dafür war nicht nur der Einzug Macris in die erste Stichwahl der Geschichte, sondern auch das Abschneiden der Kandidaten bei den gleichzeitig stattfindenden Regional- und Kommunalwahlen. Macris Partei, die Propuesta Republicana (PRO), die sich bisher nur in der Hauptstadt Buenos Aires ernsthaft behaupten konnte, feierte in zahlreichen Provinzen und Gemeinden beachtliche Erfolge, allen voran in der Provinz Buenos Aires. Dort geht das Gouverneursamt an die junge Maria Eugenia Vidal (PRO), die damit überraschend Kirchners gegenwärtigen Kabinettschef Aníbal Fernández vom regierenden FPV aussticht. Auch mehrere Gemeinden der Provinz Buenos Aires und Vorstädte , die bisher in fester peronistischer Hand waren, gehen an die Opposition. Gleiches gilt für die Provinz Jujuy im Norden des Landes.
Er fragt sich im Hinblick auf den 22. November, wie gross die Ausstrahlungskraft dieser regionalen Resultate auf die Stichwahl ist. Gerade das Resultat in der Provinz Buenos Aires dürfte von grosser Bedeutung sein. Fast 40 Prozent der argentinischen Wählerschaft leben in dieser Provinz. Bis auf eine Ausnahme gehörten der Gouverneur von Buenos Aires und der Präsident immer dem gleichen Lager an.
Zweifel an Scioli
Das Abschneiden Sciolis kann derweil als eine Niederlage gewertet werden. Der bisherige Gouverneur von Buenos Aires und einstige Vize von Präsident Néstor Kirchner, hat es seit den Vorwahlen im August nicht geschafft, seinen Wähleranteil zu vergrössern. Er hat von einer treuen Basis profitiert, doch darüber hinaus vermochte er nicht zu überzeugen. Das Resultat ist auch Ausdruck von internen Zerwürfnissen im FPV und mangelndem Zusammenhalt. Als Gouverneur der Provinz Buenos Aires hatte Scioli seine Differenzen mit Kirchner. Die Präsidentin hatte lange gezögert, bis sie ihm ihren Segen gab. Und sie hat ihm mit Carlos Zannini einen Vize an die Seite gestellt, der zu ihren engsten Vertrauten gehört und deshalb wie ein Wachhund wirkt. Es scheint, als hätte man parteiintern Zweifel an Sciolis Loyalität und Linientreue, während gegen aussen Zweifel an seiner Unabhängigkeit entstehen. Der gestrige Wahlgang dürfte die Zweifel nicht beseitigen – besonders nicht die Selbstzweifel.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen