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Sonntag, 27. Mai 2012

Falls Griechenland aus dem Euro austritt, könnten für die Schweiz Massnahmen nötig werden, die weit über das Wechselkurslimit hinausgehen.

27. Mai 2012, NZZ am Sonntag

Notfallszenario der Nationalbank

SNB prüft Einführung von Kapitalverkehrskontrollen, sollte die Euro-Krise eskalieren

Einstellen auf den Ernstfall: SNB-Chef Thomas Jordan, Direktoriumsmitglied Fritz Zurbrügg, Bundespräsidentin Eveline Widmer-Schlumpf. (Bild: Keystone/Peter Klaunzer)Zoom
Einstellen auf den Ernstfall: SNB-Chef Thomas Jordan, Direktoriumsmitglied Fritz Zurbrügg, Bundespräsidentin Eveline Widmer-Schlumpf. (Bild: Keystone/Peter Klaunzer)

Falls Griechenland aus dem Euro austritt, könnten für die Schweiz Massnahmen nötig werden, die weit über das Wechselkurslimit hinausgehen.

Sebastian Bräuer, Daniel Hug
Die Zuspitzung der europäischen Schuldenkrise bedroht auch die Schweiz. Da in den letzten Wochen die Wahrscheinlichkeit zugenommen hat, dass Griechenland aus der Euro-Zone austritt, ziehen die Bankkunden den in Krisenländern vermehrt ihre Guthaben ab. «Die Krise in Griechenland und in Spanien bewegt Anleger zur Kapitalflucht in Länder wie die Schweiz», sagt Marcus Hettinger, Chef des Devisen-Research bei der Credit Suisse Private Banking.
Damit liegt auf der Hand, dass die Flucht in den Schweizerfranken eine kaum kontrollierbare Dynamik annehmen könnte, sollten tatsächlich eines oder mehrere der hochverschuldeten Länder die Gemeinschaftswährung verlassen. Der Aufwärtsdruck wäre immens; die Schweizerische Nationalbank (SNB) hätte möglicherweise Mühe, die Untergrenze zum Euro von Fr. 1.20 zu verteidigen.
Die Nationalbank bestätigt nun erstmals, weitergehende Interventionen zu prüfen. «Falls es je zu weiteren Erschütterungen auf den Devisenmärkten kommen sollte, könnte es erforderlich sein, Massnahmen zu ergreifen, die über die im September eingeführte Untergrenze zum Euro hinausgehen», erklärt SNB-Sprecher Walter Meier.
Vor einigen Monaten hat die Nationalbank zusammen mit den Spitzen des Finanz- und Volkswirtschaftsdepartements eine Task-Force für die Notfallplanung gebildet. «Die Task-Force prüft den Einsatz von Massnahmen, welche die Kompetenzen der Nationalbank übersteigen – wie etwa die Einführung von Kapitalverkehrskontrollen», erklärt Meier.
Kontrollen und Beschränkungen der Kapitalströme in die Schweiz kämen dem weitreichendsten Eingriff in den Devisenmarkt seit der vorübergehenden Einführung von Negativzinsen in den 1970er Jahren gleich. Dass sie nun offen diskutiert werden, zeigt klar, wie ernst die Lage in Bern genommen wird. «Der Bund und die SNB erwarten in ihrem Basis-Szenario kein Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone», sagt Meier. «Sie können einen Exit aber auch nicht ausschliessen.»
Zusätzlich zur Task-Force haben Bund, Nationalbank und Finanzmarktaufsicht (Finma) einen «Ausschuss Finanzkrise» gegründet. Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf, SNB-Präsident Thomas Jordan und Finma-Präsidentin Anne Héritier Lachat beurteilen darin laufend die Lage.
In den vergangenen Tagen musste die SNB gemäss Marktteilnehmern mehrfach Euro kaufen, um die Untergrenze zu verteidigen. «Die Märkte hatten begonnen, an der Untergrenze zu zweifeln», sagt Pablo Frei, Partner beim Währungsspezialisten Quaesta Capital in Pfäffikon. Bis vor kurzem hätten Spekulanten die steigende Nachfrage nach Franken bedient, doch dies habe sich zu ändern begonnen.
CS-Experte Hettinger findet in den Statistiken der SNB einen Hinweis, dass es bereits in der letzten Woche Stützungskäufe gegeben haben könnte: Die Giroguthaben inländischer Banken bei der SNB stiegen in der Woche zum 18. Mai um nahezu 5 Mrd. Fr. auf 155,9 Mrd. Fr., es handelte sich um den ersten Anstieg im Wochenvergleich seit langer Zeit. «Das kann darauf zurückzuführen sein, dass die SNB Euro gekauft hat», urteilt Hettinger. «Wenn die SNB gekauft hat, muss sie den Betrag danach der Geschäftsbank auf ihrem Konto gutschreiben.»

1 Kommentar:

  1. Der ehemalige kommissarische Premierminister Lukas Papadimos warnte bereits nach den Parlamentswahlen am 06 Mai 2012 vor dem völligen Zusammenbruch in Griechenland.

    In besonders düsteren Farben beschrieb Lukas Papadimos die volkswirtschaftliche Lage des Landes in einer geheimen Notiz, die er Karolos Papoulias am 11 Mai, also in der Zeit der Sondierungsaufträge zur Bildung einer Regierung übergab: “Das Land nähert sich dem Punkt des Zusammenbruchs.“

    Die Sonntagsausgabe der Zeitung To Vima (27 Mai 2012) präsentiert die Notiz mit den detaillierten Positionen des ehemaligen Premierministers bezüglich der wirtschaftlichen Lage, worin er unter anderem anführt:

    Die Kassenbestände des Fiskus werden sich ab dem 20 Juni auf das negative Niveau in der Größenordnung von 1 Mrd. Euro gestalten.
    Die reale Entwicklung bei den Steuereinnahmen erweist sich niedriger als vorgesehen, der Anstieg der Ausgaben dagegen größer als die Vorsehungen des zentralen Szenariums. Ab Mitte Juni wird der Fiskus folglich großen Schwierigkeiten bei der Deckung der gesamten Ausgaben begegnen.
    Ab Ende Juni und danach wird die Fähigkeit des Fiskus zur Finanzierung seiner Bedürfnisse ausschließlich von der nächsten Tranche nächsten der EFSF und des IWF abhängen.
    Die Liquidität des Banksystems ist in den letzten Jahren dramatisch geschrumpft, mit dem Ergebnis, dass die griechischen Banken ausschließlich von der EZ und allgemeiner dem Euro-System gestützt werden.
    Das Umfeld, in dem sich das Land bewegt, und die Anzweiflung seiner Fähigkeit, in der Eurozone zu verbleiben, kann in Kombination mit irgendeinem unvorhergesehenen Ereignis katalytische Auswirkungen auf die Liquidität der Banken, die Finanzierung der Wirtschaft und die globalere wirtschaftliche Aktivität haben.
    “Rückschließend verstärken die obigen Einschätzungen die Notwendigkeit der Schaffung von Umständen der Stabilität und des Vertrauens“, endet Herr Papadimos.

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