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Mittwoch, 12. September 2012

Die Regierung verkauft dann an Goldman Sachs. Die hauen 0,5 Prozentpunkte drauf und geben die Papiere eine Stunde später an die EZB weiter // Schuldenkrise Was passiert, wenn Karlsruhe den ESM verbietet?

Schuldenkrise Was passiert, wenn Karlsruhe den ESM verbietet?

11.09.2012 ·  Die Mehrheit der Bevölkerung will, dass das Bundesverfassungsgericht den permanenten Euro-Rettungsfonds zu Fall bringt. Was aber passiert, wenn dieser Traum von Millionen Deutschen am Mittwoch wahr wird?
Von Christoph Schäfer
Die größte Verfassungsklage in der Geschichte Deutschlands nähert sich ihrem Höhepunkt. An diesem Mittwoch um 10 Uhr wird das Bundesverfassungsgericht verkünden, ob die Bundesregierung den permanenten Euro-Rettungsfonds in der Zeit bis zu einem endgültigen Urteil annehmen darf.

Nach der Entscheidung werden Tatsachen geschaffen

Um genau zu sein: Die Richter des Zweiten Senats entscheiden über die Eilanträge gegen den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und den europäischen Fiskalpakt. Der ESM soll kriselnde Euro-Staaten bei Bedarf mit bis zu 500 Milliarden Euro Kredit stützen, der Fiskalpakt ihre Haushaltspolitik disziplinieren. Der Beschluss am Mittwoch ist deshalb so wichtig, weil das endgültige Urteil nach menschlichem Ermessen kaum von der Vorentscheidung abweichen wird. Den Richtern ist bewusst, dass nach ihrer Entscheidung Tatsachen geschaffen werden, die kaum noch zurückzunehmen sind. Auch deshalb haben sie sich nicht die üblichen drei bis vier Wochen Zeit genommen, um die Eilanträge zu prüfen, sondern fast drei Monate.

Die Mehrheit der Deutschen sieht in Karlsruhe derzeit die letzte Bastion vor einer unkontrollierbaren Vergemeinschaftung der Schulden. Einer repräsentativen Umfrage des Instituts YouGov zufolge hoffen 54 Prozent der Menschen hierzulande, dass Karlsruhe jene Gesetze stoppt, die ihre Volksvertreter mit Zweidrittelmehrheiten in Bundestag und Bundesrat beschlossen haben.

„Ja, aber...“

Ein vollständiger Sieg der ESM-Gegner gilt indes als höchst unwahrscheinlich. Ende vergangener Woche befragte die Nachrichtenagentur Reuters dazu 20 deutsche Verfassungsrechtler. Nicht einer erwartete, dass Karlsruhe ein Veto gegen ESM und Fiskalpakt einlegen wird. Sehr viel wahrscheinlicher ist, dass die Richter ein „Ja, aber…“ formulieren werden. Beispielsweise könnten sie die Haftung für Deutschland auf einen bestimmten Höchstbetrag begrenzen, aus dem permanenten einen befristeten Rettungsfonds machen oder die Mitspracherechte des Bundestages abermals stärken.
Dennoch wäre es nicht das erste Mal, dass Karlsruhe die Prozessbeobachter überrascht und die Bundesregierung erheblich verärgert. Man denke nur an die jüngsten Entscheidungen zum Bundeswehreinsatz im Innern oder zur Wahlrechtsreform. Was also passiert, wenn Karlsruhe den ESM in Bausch und Bogen verdammt?
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) erwartet in diesem Fall „erhebliche wirtschaftliche Verwerfungen mit nicht absehbaren Folgen“. Gleiches befürchtet der Europa-Chefvolkswirt der Citigroup, Jürgen Michels, in der „Börsen-Zeitung“. „Sollte der ESM scheitern, hätte das erhebliche Folgen: Einige südeuropäische Staaten dürften ohne Hilfe von außen unter ihrer Schuldenlast zusammenbrechen, die Folge wären drastische Schuldenschnitte mit extrem negativen Folgen für das Finanzsystem im gesamten Euroraum.“ Am Ende „könnte sogar ein Auseinanderbrechen der Eurozone stehen“.

Homburg: „Die Ankündigung der EZB ist wichtiger, als es der ESM je sein könnte“

Doch muss es wirklich so weit kommen? Seit die Europäische Zentralbank (EZB) vergangene Woche angekündigt hat, Staatsanleihen kriselnder Euro-Staaten in unbegrenzter Höhe zu kaufen, kommt es auf den ersten Blick nicht mehr auf den ESM an. Die Pläne der „Euro-Retter“ sehen zwar vor, dass hilfsbedürftige Staaten zunächst einen Antrag beim ESM stellen und sich im Gegenzug zu Reformen verpflichten. Im Eurotrubel fiel allerdings kaum auf, dass die EZB von einem Programm beim ESM oder ihrem Vorgänger, der EFSF (Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität) gesprochen hat – und die EFSF besteht noch bis Ende Juni nächsten Jahres.

Weil die EZB die Staatsanleihen nicht direkt von den betroffenen Staaten erwerben darf, hat sie stets auch nur von Käufen am „Sekundärmarkt“ gesprochen, also von einem anderen Besitzer der Staatsanleihen. Hierfür braucht es den ESM ebenfalls nicht. Die EZB kann die Anleihen von jeder beliebigen Geschäftsbank kaufen. „Die Regierung verkauft dann an Goldman Sachs. Die hauen 0,5 Prozentpunkte drauf und geben die Papiere eine Stunde später an die EZB weiter“, sagt Stefan Homburg, der die Klägerseite in Karlsruhe berät, im Gespräch mit FAZ.NET. Die Ankündigung von EZB-Präsident Mario Draghi sei daher „mächtiger, als es der ESM je sein könnte“. Sollte der ESM wegbrechen, „reicht der Notenbank auch die EFSF“. In Notenbankkreisen wird diese Sicht der Dinge im Kern bestätigt.
Auch der CSU-Politiker und Eurokritiker Peter Gauweiler sieht es so. Die in Aussicht gestellten abermaligen Anleihenkäufe der Notenbank machten die Entscheidung der Karlsruher Richter im Grunde überflüssig, sagt er. Am Wochenende reichte er daher einen weiteren Eilantrag beim Bundesverfassungsgericht ein. Darin verlangte er, dass die Richter erst entscheiden, wenn die EZB ihre Ankündigung zurücknimmt. Dies lehnte das Bundesverfassungsgericht am Dienstagvormittag aber ohne Angabe von Gründen ab.

Von der Bazooka zur Wasserpistole?

Aus Sicht der Euroretter hat der ESM trotzdem Vorteile, die so schnell nicht zu ersetzen sind. Zum einen ist die EFSF zeitlich befristet und müsste nach einem Verbot des ESM wohl verlängert werden. Zum anderen ist die verfügbare Kreditsumme bedeutend niedriger. Darüber hinaus gewährt der ESM seinen zentralen Entscheidungsträgern vollständigen Schutz vor Strafverfolgung. „Er ist insofern gefährlicher als der EFSF“, sagt Homburg.
Bleiben nach einem Veto aus Karlsruhe die Märkte also gelassen? „Nein“, sagen Befürworter wie Gegner des ESM übereinstimmend. Fondsmanager, die viele Anleihen aus Krisenstaaten in ihren Portfolios haben, würden sich in diesem Fall deutlich mehr Sorgen machen, dass Deutschland am Ende aus der Währungsunion aussteigt und der der Euroraum dadurch auseinander bricht. Die europäischen Leitindizes dürften noch am gleichen Tag um einige Prozent nachgeben, die Risikoaufschläge für Staatsanleihen der Krisenländer deutlich steigen. „Wenn Deutschland die Währungsunion verlässst“, sagt Homburg, „dann hat Draghi nämlich keine Bazooka mehr, sondern nur noch eine Wasserpistole.“
Quelle: FAZ.NET

 http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/schuldenkrise-was-passiert-wenn-karlsruhe-den-esm-verbietet-11886098.html

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