Ifo-Präsident Sinns Target-Thesen lösen Streit aus
08.10.2012 ·
Hans-Werner Sinn warnt vor einer Falle durch das
Euro-Target-System. Mit den Thesen in seinem neuen Buch hat der
Ifo-Präsident zum Teil wütende Reaktionen hervorgerufen. Ein
SPD-Politiker spricht von einer „Angstkampagne“.
Von
Philip Plickert und Manfred Schäfers
Das neue Buch des Ifo-Präsidenten Hans-Werner Sinn mit dem Titel „Die Target-Falle“
hat die Diskussion über die Euro-Krise nochmals befeuert und zum Teil
wütende Reaktionen aus der Politik hervorgerufen. Sinn lenkt in dem Buch
die Aufmerksamkeit auf das „Target-2-System“, in dem
Zahlungsbilanz-Ungleichgewichte im Euroraums von inzwischen mehr als
einer Billion Euro aufgelaufen sind.
Der SPD-Haushaltspolitiker Carsten Schneider sagte
der F.A.Z., die Target-Salden seien ein Zeichen für Fehlentwicklungen in
der Eurozone. Mit der Höhe der Zahlen werde jedoch „eine Angstkampagne“
geführt, erklärte Schneider. Zahlungsausfälle wären nur bei einem
Auseinanderbrechen des Euro zu befürchten.„Target 2“ ist das System der Europäischen Zentralbank (EZB) und der nationalen Notenbanken zur Abwicklung des grenzüberschreitenden Zahlungsverkehrs. Seit Ausbruch der Krise sind die Peripheriestaaten wie Griechenland, Irland, Portugal, Spanien und Italien tief in negative Salden abgerutscht.
Darin drücken sich Leistungsbilanzdefizite und eine ansteigende Kapitalflucht aus. Umgekehrt hat die Deutsche Bundesbank inzwischen sehr hohe Forderungen, die im Frühjahr 2011 noch bei gut 300 Milliarden Euro lagen, anderthalb Jahre später im August auf 751 Milliarden Euro geklettert sind. Nach den neuesten Zahlen hat sich der Saldo etwas auf 695 Milliarden Euro vermindert.
Der Ifo-Präsident kritisiert die Target-Kredite als zweiten Rettungsschirm – neben den vom Parlament gebilligten Rettungsfonds EFSF und ESM. Deutschland habe auch aus den dort offenen Target-Forderungen erhebliche Risiken, falls die Gegenparteien, die Zentralbanken der Peripherie, ausfallen sollten. Deutschland stecke mithin in einer Falle und werde erpresst, immer weitere Rettungsgelder nachzuschießen, um ein Auseinanderbrechen der Eurozone und damit Verluste aus Target-Forderungen zu vermeiden.
Ganz ähnlich sieht es Lüder Gerken, der Direktor des Centrums für Europäische Politik (CEP) in Freiburg. Deutschland sei erpresbar. Entsprechend seines EZB-Kapitalanteils von 27 Prozent sei es von Ausfallrisiken betroffen. „Das Target-System ist einer der Gründe, warum die Bundesregierung immer größeren Kredithilfen für die maroden Südländer zustimmt, die nie zurückgezahlt werden dürften“, sagte er der F.A.Z. „Wir werden also bluten, entweder als Sparer durch den Verlust eines großen Teils unserer Ersparnis oder als Steuerzahler durch Kredithilfen, die nie zurückgezahlt werden.“ Die Politik versuche die Problematik kleinzureden.
Da die Target-Salden bei den Peripherie-Zentralbanken „durch teils nur sehr zweifelhafte Sicherheiten gedeckt“ sind, habe die Bundesbank ein erhebliches Bilanzrisiko, „wenn man die Annahme, dass der Euro irreversibel ist, nicht teilt“, sagte Mayer der F.A.Z.. Während die Bundesbank die Problematik inzwischen offener benenne, wolle die EZB die Risiken „unter den Teppich kehren“.
Der Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer sagte, dass die Target-Verbindlichkeiten Griechenlands von derzeit 108 Milliarden Euro ein erhebliches Risiko darstellten. „Wenn der griechische Staat offen zahlungsunfähig würde und das Land die Währungsunion verließe, wäre ein Großteil der 108 Milliarden Euro vermutlich nicht mehr eintreibbar.“
Kritik an Sinns Buch übte der frühere Vorsitzende des Sachverständigenrats, Bert Rürup. In einer Besprechung in der „Wirtschaftswoche“ lobte er zwar die „souveräne Stringenz der Argumentation, die bildhafte Sprache sowie die imponierende Fülle und Aktualität des – gelegentlich suggestiv aufbereiteten - Materials“. Rürup warf Sinn jedoch einen irritierenden „missionarischen Eifer“ vor. Außerdem sei die Forderung, die Target-Salden zu beschränken, nur langfristig machbar. Kurzfristig würde eine Begrenzung, wie sie auch der ehemalige Bundesbank-Präsident Helmut Schlesinger gefordert hat, sowie die Empfehlung eines Euro-Austritts einzelner Länder „zu Panik, Kapitalflucht, Bankeninsolvenzen und Depressionen führen“, schrieb Rürup.
Die Politik hat sich der Target-Problematik nur sehr zögerlich angenommen. Steffen Kampeter (CDU), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, sagte auf Nachfrage. „Die Target-Salden sind nicht Ursache, sondern ein Symptom der Vertrauenskrise in der Eurozone, an deren Bewältigung die Regierungen der Euro-Staaten mit Nachdruck arbeiten.“ Mit dem Rettungsfonds ESM sowie Wirtschafts-, Sozial- und Finanzmarktreformen könne verlorenes Vertrauen zurückgewonnen werden. „Schritt für Schritt werden die Ursachen der Krise beseitigt. Auf diese Weise werden sich auch die Target-II-Salden als Krisensymptom langfristig wieder entspannen“, gab sich Kampeter überzeugt.
Quelle: F.A.Z.
http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/europas-schuldenkrise/ifo-praesident-sinns-target-thesen-loesen-streit-aus-11918652.html
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