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Dienstag, 9. Oktober 2012


Ifo-Präsident Sinns Target-Thesen lösen Streit aus

08.10.2012 ·  Hans-Werner Sinn warnt vor einer Falle durch das Euro-Target-System. Mit den Thesen in seinem neuen Buch hat der Ifo-Präsident zum Teil wütende Reaktionen hervorgerufen. Ein SPD-Politiker spricht von einer „Angstkampagne“.
Von Philip Plickert und Manfred Schäfers
© dapd Hans-Werner Sinn ist Ökonom und leitet das Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung in München
Das neue Buch des Ifo-Präsidenten Hans-Werner Sinn mit dem Titel „Die Target-Falle“ hat die Diskussion über die Euro-Krise nochmals befeuert und zum Teil wütende Reaktionen aus der Politik hervorgerufen. Sinn lenkt in dem Buch die Aufmerksamkeit auf das „Target-2-System“, in dem Zahlungsbilanz-Ungleichgewichte im Euroraums von inzwischen mehr als einer Billion Euro aufgelaufen sind.
Der SPD-Haushaltspolitiker Carsten Schneider sagte der F.A.Z., die Target-Salden seien ein Zeichen für Fehlentwicklungen in der Eurozone. Mit der Höhe der Zahlen werde jedoch „eine Angstkampagne“ geführt, erklärte Schneider. Zahlungsausfälle wären nur bei einem Auseinanderbrechen des Euro zu befürchten.
„Target 2“ ist das System der Europäischen Zentralbank (EZB) und der nationalen Notenbanken zur Abwicklung des grenzüberschreitenden Zahlungsverkehrs. Seit Ausbruch der Krise sind die Peripheriestaaten wie Griechenland, Irland, Portugal, Spanien und Italien tief in negative Salden abgerutscht.
Darin drücken sich Leistungsbilanzdefizite und eine ansteigende Kapitalflucht aus. Umgekehrt hat die Deutsche Bundesbank inzwischen sehr hohe Forderungen, die im Frühjahr 2011 noch bei gut 300 Milliarden Euro lagen, anderthalb Jahre später im August auf 751 Milliarden Euro geklettert sind. Nach den neuesten Zahlen hat sich der Saldo etwas auf 695 Milliarden Euro vermindert.
Der Ifo-Präsident kritisiert die Target-Kredite als zweiten Rettungsschirm – neben den vom Parlament gebilligten Rettungsfonds EFSF und ESM. Deutschland habe auch aus den dort offenen Target-Forderungen erhebliche Risiken, falls die Gegenparteien, die Zentralbanken der Peripherie, ausfallen sollten. Deutschland stecke mithin in einer Falle und werde erpresst, immer weitere Rettungsgelder nachzuschießen, um ein Auseinanderbrechen der Eurozone und damit Verluste aus Target-Forderungen zu vermeiden.
Ganz ähnlich sieht es Lüder Gerken, der Direktor des Centrums für Europäische Politik (CEP) in Freiburg. Deutschland sei erpresbar. Entsprechend seines EZB-Kapitalanteils von 27 Prozent sei es von Ausfallrisiken betroffen. „Das Target-System ist einer der Gründe, warum die Bundesregierung immer größeren Kredithilfen für die maroden Südländer zustimmt, die nie zurückgezahlt werden dürften“, sagte er der F.A.Z. „Wir werden also bluten, entweder als Sparer durch den Verlust eines großen Teils unserer Ersparnis oder als Steuerzahler durch Kredithilfen, die nie zurückgezahlt werden.“ Die Politik versuche die Problematik kleinzureden.
Unter Ökonomen wird die Analyse Sinns, der als erster kritisch auf die explodierenden Target-Salden hinwies, als wichtiger Beitrag anerkannt. „Die Target-Salden sind wie das Fieber-Thermometer“, sagt etwa Thomas Mayer, der frühere Chefvolkswirt der Deutschen Bank. „Sie zeigen an, was für Ungleichgewichte sich aufgebaut haben.“ Die Bundesbank lenke über das automatische Zahlungssystem überschüssige deutsche Ersparnisse nach Südeuropa.
Da die Target-Salden bei den Peripherie-Zentralbanken „durch teils nur sehr zweifelhafte Sicherheiten gedeckt“ sind, habe die Bundesbank ein erhebliches Bilanzrisiko, „wenn man die Annahme, dass der Euro irreversibel ist, nicht teilt“, sagte Mayer der F.A.Z.. Während die Bundesbank die Problematik inzwischen offener benenne, wolle die EZB die Risiken „unter den Teppich kehren“.
Der Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer sagte, dass die Target-Verbindlichkeiten Griechenlands von derzeit 108 Milliarden Euro ein erhebliches Risiko darstellten. „Wenn der griechische Staat offen zahlungsunfähig würde und das Land die Währungsunion verließe, wäre ein Großteil der 108 Milliarden Euro vermutlich nicht mehr eintreibbar.“
Kritik an Sinns Buch übte der frühere Vorsitzende des Sachverständigenrats, Bert Rürup. In einer Besprechung in der „Wirtschaftswoche“ lobte er zwar die „souveräne Stringenz der Argumentation, die bildhafte Sprache sowie die imponierende Fülle und Aktualität des – gelegentlich suggestiv aufbereiteten - Materials“. Rürup warf Sinn jedoch einen irritierenden „missionarischen Eifer“ vor. Außerdem sei die Forderung, die Target-Salden zu beschränken, nur langfristig machbar. Kurzfristig würde eine Begrenzung, wie sie auch der ehemalige Bundesbank-Präsident Helmut Schlesinger gefordert hat, sowie die Empfehlung eines Euro-Austritts einzelner Länder „zu Panik, Kapitalflucht, Bankeninsolvenzen und Depressionen führen“, schrieb Rürup.
Die Forderung, das Target-System abzudrehen, sei aber nicht machbar, sagte Thomas Mayer. Dann würde der Euro implodieren. Erst wenn die Krisenländer eine realwirtschaftliche Anpassung durchmachten, ihre Wettbewerbsfähigkeit erhöhten und damit ihre Leistungsbilanzen verbesserten, und wenn die Kapitalflucht aufhöre, sei damit zu rechnen, dass die Target-Salden wieder abgeschmolzen würden. Ähnlich äußerte sich auch Gerken.
Die Politik hat sich der Target-Problematik nur sehr zögerlich angenommen. Steffen Kampeter (CDU), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, sagte auf Nachfrage. „Die Target-Salden sind nicht Ursache, sondern ein Symptom der Vertrauenskrise in der Eurozone, an deren Bewältigung die Regierungen der Euro-Staaten mit Nachdruck arbeiten.“ Mit dem Rettungsfonds ESM sowie Wirtschafts-, Sozial- und Finanzmarktreformen könne verlorenes Vertrauen zurückgewonnen werden. „Schritt für Schritt werden die Ursachen der Krise beseitigt. Auf diese Weise werden sich auch die Target-II-Salden als Krisensymptom langfristig wieder entspannen“, gab sich Kampeter überzeugt.
Quelle: F.A.Z. 

http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/europas-schuldenkrise/ifo-praesident-sinns-target-thesen-loesen-streit-aus-11918652.html

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