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Mittwoch, 11. Juni 2014

Um die Zahlung sicherzustellen, nahm der Richter Thomas Griesa auch die mit der Zahlungsabwicklung beauftragte Bank of New York und andere Intermediäre in die Pflicht. Diese müssen zunächst die Forderungen der Kläger bedienen, bevor sie Zahlungen an die übrigen Anleihegläubiger leisten dürfen. Praktisch alle Schuldenzahlungen Argentiniens an ausländische Gläubiger werden über den Finanzplatz New York abgewickelt – viele Anleihegläubiger des Landes werden somit zu Geiseln der Konfliktparteien. Wenn Argentinien die Kläger nicht auszahlt, soll auch sonst niemand Geld bekommen.


Oberster Gerichtshof der Vereinigten StaatenLetzte Instanz für Argentinien und seine Gläubiger

Der Oberste Gerichtshof in Amerika entscheidet über einen Jahrhundertprozess um Argentiniens Staatsschulden. Das Urteil könnte zu neuen Zahlungsausfällen führen und künftige Umschuldungen generell erschweren.
© REUTERSVergrößernZentralbank in Buenos Aires: Verliert Argentinien den Rechtsstreit, sind die Devisenreserven des Landes in Gefahr
Das seit Jahren anhaltende Ringen Argentiniens mit rebellischen Gläubigern geht in die letzte Runde. An diesem Donnerstag wird der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten über einen Rechtsstreit zwischen Argentinien und klagenden Altgläubigern entscheiden, den Beobachter als „Jahrhundertprozess auf dem Gebiet der Staatsschulden“ bezeichnen. Urteilt der Supreme Court zu Ungunsten Argentiniens, könnte das zu neuen Zahlungsausfällen bei argentinischen Anleihen führen. Gemessen an den Preisen für Kreditausfallderivate (CDS), mit denen sich Anleger gegen den Ausfall von Anleihezahlungen absichern können, ist die Wahrscheinlichkeit von Zahlungsausfällen bei argentinischen Staatstiteln darum heute deutlich höher als bei Ländern wie Venezuela, Griechenland oder der Ukraine.
Im Prozess geht es um die Folgen des argentinischen Staatsbankrotts von 2001. Mehr als 100 Milliarden Dollar Schulden wurden damals notleidend – es war die größte Staatspleite aller Zeiten. Mit den meisten Gläubigern hat sich Argentinien seither auf eine Umschuldung geeinigt, bei der die Anleger auf rund 70 Prozent ihrer Forderungen verzichten mussten. Doch etliche Gläubiger, die Argentiniens 2005 und 2010 unterbreitete Umschuldungsangebote nicht akzeptieren wollten, haben vor Gerichten in aller Welt auf volle Bedienung ihrer Ansprüche geklagt und meist recht bekommen.

Ein Streitpunkt ist die Pari-Passu-Klausel

Kaum einem Gläubiger gelang indes eine Vollstreckung seiner Forderungen. Besonders nah an einem Erfolg steht der vom amerikanischen Milliardär Paul Singer geführte Hedgefonds NML Capital, der notleidende argentinische Anleihen nach der Pleite zu einem Bruchteil ihres Nennwertes aufgekauft hatte. Ein bereits 2012 in New York ergangenes Gerichtsurteil verpflichtet Argentinien, NML und einigen Mitklägern den vollen Wert ihrer Forderungen auszuzahlen, die sich inklusive Verzugszinsen auf rund 1,5 Milliarden Dollar belaufen. Nicht nur das: Um die Zahlung sicherzustellen, nahm der Richter Thomas Griesa auch die mit der Zahlungsabwicklung beauftragte Bank of New York und andere Intermediäre in die Pflicht. Diese müssen zunächst die Forderungen der Kläger bedienen, bevor sie Zahlungen an die übrigen Anleihegläubiger leisten dürfen. Praktisch alle Schuldenzahlungen Argentiniens an ausländische Gläubiger werden über den Finanzplatz New York abgewickelt – viele Anleihegläubiger des Landes werden somit zu Geiseln der Konfliktparteien. Wenn Argentinien die Kläger nicht auszahlt, soll auch sonst niemand Geld bekommen.
Argentinien wehrt sich gegen das Urteil. Die Regierung lehnt es ab, den Umschuldungsverweigerern (Holdouts) mehr zu zahlen als den etwa 93 Prozent der Anleihegläubiger, die einen hohen Forderungsverzicht akzeptiert hatten und seither pünktlich bedient werden.
Ein Berufungsgericht bestätigte jedoch die Entscheidung Griesas. Als letzte Instanz bittet Argentinien nun den Obersten Gerichtshof, das bisher ausgesetzte Urteil zu prüfen. Ein Streitpunkt ist die Auslegung der in den Anleiheverträgen enthaltenen Pari-Passu-Klausel, die eine Gleichbehandlung aller Gläubiger vorsieht. Für Richter Griesa bedeutet sie, dass Argentinien alle Forderungen der Anleihegläubiger gleichzeitig bedienen muss, unabhängig von der Höhe der jeweils akzeptierten Abschläge. Argentinien argumentiert dagegen, die Klausel gebiete, allen Gläubigern den gleichen Abschlag zu berechnen.

Gefahr eines neuen Zahlungsausfalls

Überdies hält Argentinien den vom Gericht verfügten Eingriff in die Zahlungsprozesse für eine Verletzung seiner Souveränität. Dies verstoße gegen amerikanisches Gesetz, das die Immunität von Staaten schütze. Das Urteil gefährde zudem künftige Restrukturierungen von Staatsschulden, wenn Hedgefonds wie NML eine von einer Mehrheit akzeptierte Umschuldung aushebeln könnten.
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Unterstützt wird Argentiniens Position vor Gericht auch durch Eingaben der Regierungen Frankreichs, Brasiliens und Mexikos sowie von ideologisch so unterschiedlich positionierten Ökonomen wie der ehemaligen Vize-Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Anne Krueger, und dem Nobelpreisträger Joseph Stiglitz. Auch der IWF zeigt sich „tief besorgt über die breiten systemischen Implikationen, die das Urteil der niederen Instanz auf den Schuldenrestrukturierungsprozess im Allgemeinen haben könnte“, wie IWF-Sprecher Gerry Rice jüngst sagte. Warum sollten Gläubiger künftig einen Kapitalschnitt akzeptieren, wenn andere voll bedient werden, lautet die Sorge der Kritiker.
Sollte Argentinien den Rechtsstreit endgültig verlieren, könnten NML und andere Holdouts Forderungen von 15 Milliarden Dollar stellen, kalkuliert die argentinische Regierung. Das entspräche mehr als der Hälfte der Devisenreserven Argentiniens und würde für das Land „eine ernste und imminente Gefahr eines neuen Zahlungsausfalls“ bedeuten, sagten Vertreter der argentinischen Regierung in ihrer letzten Eingabe beim amerikanischen Verfassungsgericht.

Milliardenentschädigungen an ausländische Investoren

Die Obersten Richter müssen nun entscheiden, ob sie den Fall zur Revision annehmen. Sie können vor einer Entscheidung die amerikanische Regierung um eine Stellungnahme bitten, zumal es um die Frage der Immunität von Staaten geht. Viele Beobachter halten Letzteres für das wahrscheinlichste Ergebnis der Sitzung am Donnerstag. Für Argentinien wäre dies positiv. Zwar glauben die meisten Rechtsexperten, dass das Urteil gegen Argentinien Bestand haben wird. Doch wenn der Supreme Court die Revision nicht unmittelbar ablehnt, dürfte sich das Verfahren bis 2015 hinauszögern. Ende 2014 jedoch läuft eine Klausel in den Anleiheverträgen aus, die den Besitzern der Umschuldungsanleihen garantiert, dass Argentinien jedes bessere Angebot an einen Gläubiger auf alle schon umgeschuldeten Anleihen ausdehnen muss. Argentinien würde danach größeren Spielraum für eine außergerichtliche Einigung mit den Klägern gewinnen.
Bei einer Ablehnung der Revision könnte der Zahlungsbefehl des New Yorker Gerichts dagegen kurzfristig in Kraft treten. In einem dieser Tage durchgesickerten vertraulichen Memorandum empfehlen Argentiniens Anwälte der Regierung für diesen Fall, alle Zahlungen auszusetzen und die gesamten Anleiheschulden abermals zu restrukturieren. Anleger müssten dann zumindest vorübergehend mit hohen Kursverlusten rechnen.
Argentiniens Regierung, die ihren Gläubigern und Gerichten in aller Welt lange die kalte Schulter gezeigt hatte, ist in den vergangenen Monaten auf einen Schmusekurs gegenüber der Finanzwelt geschwenkt. Nachdem ihre Devisenreserven zusammengeschmolzen sind, versucht die Regierung, Zugang zu internationalen Krediten zurückzugewinnen. So zahlte sie dem spanischen Ölkonzern Repsol und anderen ausländischen Investoren überfällige Milliardenentschädigungen für Vertragsbrüche und Enteignungen.

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