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Mittwoch, 23. Juli 2014

Private Gläubiger können die Rettung Griechenlands behindern, falls bei einer einseitigen Umschuldung ihre Eigentumsrechte verletzt werden.

GastbeitragSchnitt mit Schaden

Private Gläubiger können die Rettung Griechenlands behindern, falls bei einer einseitigen Umschuldung ihre Eigentumsrechte verletzt werden.
© GRESER & LENZVergrößern
Die Staatsschuldenkrise Griechenlands und anderer europäischer Staaten hat zahlreiche juristische Debatten hervorgerufen. Diese bezogen sich etwa auf mögliche und beschlossene Rettungsmaßnahmen, notwendige und wünschenswerte Reformen des Rechts der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion sowie den Euro insgesamt.
Weit weniger Aufmerksamkeit erlangt hat die Frage, welche rechtsstaatlichen Vorgaben bei einer Neustrukturierung von (griechischen) Staatsschulden zu beachten sind. Erst als Hedgefonds mögliche Klagen auch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg öffentlich in Erwägung zogen, um so der Drohung der griechischen Regierung zu begegnen, die Bedingungen für Staatsanleihen einseitig, also ohne Zustimmung der privaten Gläubiger, zu ändern, stand das Thema auf der Tagesordnung: Kann es sein, dass die "Rettung Griechenlands" durch die Geltendmachung von Rechtsansprüchen privater Finanzakteure behindert wird? Was sich vordergründig als technische Frage komplexer juristischer Vertragsklauseln beim Kauf und Handel mit Staatsanleihen darstellt, hat im Kern eine zentrale rechtsstaatliche Dimension. Es geht nämlich um die Frage, wie mit Forderungen aus Staatsanleihen als Eigentum und damit als Bestandteil eines "Freiheitsraums im vermögensrechtlichen Bereich" - so das Bundesverfassungsgericht - im Falle eines (drohenden) Staatsbankrotts im Mehrebenensystem des internationalen, europäischen und innerstaatlichen Verfassungsrechts umgegangen wird.
Die für die Haushaltsführung von Staaten heute zum Teil existentiellen Schwierigkeiten bei der Umschuldung sind ein relativ neues Phänomen: Bis in die 1980er Jahre finanzierten Staaten ihre Haushalte neben Eigeneinnahmen (Steuern) im Wesentlichen durch schon seit dem Mittelalter gebräuchliche Staatsanleihen, die allerdings im Regelfall auf Bürger des eigenen Volkes beschränkt waren, und Kredite, die durch andere Staaten oder von einzelnen internationalen Großbanken beziehungsweise Zusammenschlüssen von Banken (Konsortialkredite) bereitgestellt wurden. Im Falle eines Staatsbankrotts gab es damit eine überschaubare Anzahl von internationalen Gläubigern, mit denen über Umschuldungsmaßnahmen zu verhandeln war. Von etwa 1989 an zeigte sich dann immer deutlicher, dass der Kreislauf von großvolumigen Konsortialkrediten einer begrenzten Anzahl internationaler Großbanken an insbesondere Schwellenländer, Zahlungsausfall des Schuldnerstaates, Hilfsmaßnahmen durch den Internationalen Währungsfonds (IWF) und Umschuldung mit neustrukturierten Konsortialkrediten, wiederum Zahlungsausfall und so weiter durchbrochen werden musste. Das geschah durch eine radikale Neustrukturierung der globalen Staatsschuldenmärkte auf der Grundlage des nach dem damaligen amerikanischen Finanzminister benannten Brady-Plans. Nach diesem Plan wurden, vereinfacht ausgedrückt, bestehende Konsortialkredite an Schwellenländer verbrieft und die entstandenen sogenannten Brady-Bonds auf den globalen Kapitalmärkten breit gestreut und gehandelt. Damit änderte sich die Gläubigerstruktur für Schuldnerländer radikal. Während früher in erster Linie wenige Großbanken auf der internationalen Gläubigerseite auftraten, dominierten von nun an Staatsanleihen, die auf den großen Kapitalmärkten der Welt plaziert waren. Seither sind Staatsschuldenkrisen immer auch globale Finanzmarktkrisen.
Damit stellt sich zwangsläufig die Frage, welche Rechtsinstrumente geeignet sind, eine Umschuldung eines Staates herbeizuführen, selbst wenn nicht alle der nunmehr in ihrer Anzahl potentiell nicht mehr überschaubaren internationalen Schuldner zustimmen. An dieser Stelle versagte die Politik. Nur an vereinzelten Finanzplätzen (New York, London) wurde es rechtlich ermöglicht, durch besondere Umschuldungsklauseln (collective action clauses) in Staatsanleihebedingungen Mehrheitsentscheidungen - regelmäßig 75 Prozent - der Gläubiger herbeizuführen, also eine Umschuldung auch ohne Zustimmung einer Gläubigerminderheit durchzuführen. In Deutschland sind entsprechende Klauseln erst seit ungefähr zweieinhalb Jahren und das auch nur unter engen Voraussetzungen zulässig. Auch die theoretische Möglichkeit, durch ein geordnetes Insolvenzverfahren für Staaten rechtsstaatlich angemessen mit einer großen Anzahl von internationalen Gläubigern umzugehen, konnte bislang keine politische Unterstützung finden. Damit bleibt es bei der Hoffnung auf freiwillige Teilnahme aller Gläubiger an einem Umschuldungsprozess - wozu es regelmäßig keine Anreize gibt - oder aber beim einseitigen legislativen Einsatz des Rechts mit verpflichtender Wirkung für alle, dem "haircut".
Es liegt damit auf der Hand, dass Umschuldungsbemühungen von Staaten eine weitreichende rechtsstaatliche Dimension haben. Der legislative Eingriff in die Existenz oder den Vermögenswert einer Staatsanleihe, die von einer privaten natürlichen oder juristischen Person als Gläubiger gehalten wird, berührt Eigentumspositionen und unterliegt damit jedenfalls potentiell einem Entschädigungsvorbehalt. Das ergibt sich aus dem deutschen Grundgesetz (Artikel 14), aus den Verfassungen letztlich aller anderen Mitgliedstaaten der EU und aus Artikel 1 des 1. Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention. Auf völkerrechtlicher Ebene wird die Eigentumsgarantie durch das internationale Investitionsschutzrecht in Gestalt von mehr als 2800 bilateralen Investitionsschutzverträgen (BITs) zusätzlich geschützt. Für Anleihegläubiger besteht damit neben der schon immer gegebenen Möglichkeit, einen "haircut" vor den innerstaatlichen Gerichten des Schuldnerstaates anzugreifen, heute zusätzlich die Option, nach Ausschöpfung des innerstaatlichen Rechtsweges vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte oder gleich vor einem internationalen Schiedsgericht auf der Grundlage eines BIT zu klagen.
Diese Rechtsschutzmöglichkeiten sind an bestimmte, allerdings nicht unüberwindbare Voraussetzungen gebunden, wie eine aktuelle Klage von etwa 60000 privaten italienischen Anleihegläubigern gegen Argentinien vor einem internationalen Schiedsgericht zeigt. Inhaltlich stehen einem Schuldnerstaat durchaus Möglichkeiten offen, einen Eingriff in den wirtschaftlichen Wert von Staatsanleihen auch ohne Entschädigung zu rechtfertigen. Gesichtspunkte der Verhältnismäßigkeit und gegebenenfalls des Staatsnotstandes stehen hier zur Debatte.
Zentral ist dabei, ob die maßgebliche Staatsschuldenkrise durch die staatliche Wirtschaftspolitik mit herbeigeführt wurde und ob es für den Schuldnerstaat Alternativen zu dem Schuldenschnitt gab. Die konkrete Anwendung dieser internationalen rechtsstaatlichen Bewertungsmaßstäbe kann seit einigen Jahren in der Nachfolge der staatlichen Finanzkrise Argentiniens (2001/2002) beobachtet werden. Während bei früheren Finanzkrisen (etwa Pakistan, Ecuador und Ukraine in den Jahren 1999/2000) der befürchtete globale Gläubigerwettlauf zu den Gerichten ausgeblieben war, ist die Argentinien-Krise, zusätzlich zu dem bereits genannten Massenverfahren von 60000 Anleihegläubigern, durch eine unüberschaubare Anzahl gerichtlicher und schiedsgerichtlicher Auseinandersetzungen geprägt. An diesen Verfahren gibt es dem Grunde nach nichts zu kritisieren, im Gegenteil: Sie sind Ausdruck einer zunehmenden transnationalen rechtsstaatlichen Fundierung wirtschaftlicher Individualinteressen, ohne dass hiermit die (Schuldner-)Staaten ihrerseits rechtlos wären. Auch sie können rechtlich geschützte Interessen geltend machen.
Der Gang der Staaten auf die globalen Finanzmärkte zur Finanzierung ihrer Staatshaushalte hat also konsequenterweise zur Folge, dass sie sich rechtlich so behandeln lassen müssen wie auch jeder private Schuldner. Eine schrankenlose einseitige Änderung von Kreditbedingungen durch einen Schuldner ist ausgeschlossen; das gilt für Staaten ebenso wie für jeden privaten Kreditnehmer. Berücksichtigt man hierbei die bislang vorliegende internationale Rechtspraxis und das maßgebliche (Mit-)Verschulden der griechischen Politik an der gegenwärtigen Staatsschuldenkrise des Landes, bestehen jedenfalls im Investitionsschutzbereich durchaus Chancen für Anleihegläubiger, im Falle eines Schuldenschnitts Schadensersatz zugesprochen zu bekommen.
Professor Dr. Christian Tietje lehrt internationales Wirtschaftsrecht und ist Direktor der Forschungsstelle für Transnationales Wirtschaftsrecht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
Quelle: F.A.Z.

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