Griechenland-Krise
Die Chefs übernehmen
Die Griechenland-Krise wird zur Chefsache. An einem Spitzentreffen in Berlin haben die Spitzen der «Institutionen» mit Bundeskanzlerin Merkel und Staatspräsident Hollande Kompromisse ausgelotet.
Sie sollten Hemingways Meisterwerk «Wem die Stunde schlägt» lesen, hat der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras am Sonntag in einem Beitrag für «Le Monde» jenen empfohlen, die glaubten, dass es nur um Griechenland gehe. Tsipras versuchte mit dem Zitat ein «Europa der Solidarität» einzufordern, in dem jeder Verantwortung für die Gemeinschaft trägt. Dass es noch keine Einigung gebe, liege nicht an der angeblich intransigenten Haltung Griechenlands, sondern am Beharren mancher Vertreter der Gläubiger auf absurden Vorschlägen, fügte er in anklagendem Ton an.
Es geht um Tage
Wollte Tsipras vor dem Endspiel seine Verhandlungsposition stärken? Oder bereitet er bereits das Terrain vor für die im Falle eines Scheiterns unvermeidlichen Schuldzuweisungen? Noch weiss das niemand. Doch vieles spricht dafür, dass es zunächst er selbst sein wird, dem in Kürze die Stunde in Form einer unangenehmen, für die ganze Euro-Zone wichtigen Entscheidung schlagen wird.
Im Gegensatz zu früheren Dramen um die Griechenland-Hilfe gibt es diesmal eine klare Frist. Der europäische Teil des derzeitigen zweiten Hilfsprogramms läuft Ende Juni ersatzlos aus, sollte bis dann nichts entschieden sein. Ausstehende Hilfsgelder von 7,2 Mrd. € würden dann teils automatisch verfallen, teils könnten sie nicht mehr ausbezahlt werden. Auch weitere 10,9 Mrd. €, die noch beim Euro-Krisenfonds EFSF für allfällige Bankenhilfen in Griechenland bereitstehen, würden verfallen.
Wegen der im Falle einer Einigung noch nötigen Genehmigungsverfahren bleiben de facto nur noch Tage für einen Durchbruch. Dennoch kommen die Verhandlungen zwischen Vertretern der griechischen Behörden und Experten der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank (EZB) und des Internationalen Währungsfonds (IMF) in der «Brussels Group» nicht wirklich voran. Es gebe Fortschritte, die aber noch keinen Abschluss erlaubten, sagte der EU-Kommissions-Präsident Jean-Claude Juncker in einem Interview mit der «Süddeutschen Zeitung» (Montagsausgabe). Dies ist seit Wochen die Standardantwort auf einschlägige Fragen. Zu den unerfüllten Forderungen der Geber gehören Reformen des Rentenwesens und am Arbeitsmarkt, die den Staatshaushalt entlasten und das Land wettbewerbsfähiger machen sollen.
Spitzentreffen in Berlin
Vor diesem Hintergrund stand Griechenland im Zentrum eines Spitzentreffens der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, des französischen Staatspräsidenten François Hollande, Junckers, des EZB-Präsidenten Mario Draghi und der IMF-Chefin Christine Lagarde am späten Montagabend in Berlin. Bereits am Sonntag hatten Merkel und Hollande mit Tsipras telefoniert. Damit ist der Konflikt auf der obersten politischen Ebene angelangt, was Athen seit je anstrebte, während es die Gläubiger bisher zu verhindern suchten. Nun aber bereiten Letztere dem Vernehmen nach eine Art «letztes Angebot» an Athen vor. In Berlin wollten die erwähnten Spitzenvertreter hierzu Kompromissmöglichkeiten ausloten, um sie danach Tsipras vorzulegen.
Wie weit diese Überlegungen beim Treffen gekommen sind, blieb zunächst unklar. Ein deutscher Regierungssprecher teilte in der Nacht auf Dienstag laut Agenturberichten lediglich mit, die Teilnehmer seien übereingekommen, dass die Arbeit «mit grosser Intensität» weitergehen müsse.
Anzunehmen ist, dass die Geber als Bedingung für eine Auszahlung weiterhin einen Kern an Strukturreformen und finanzpolitischen Massnahmen fordern. Zudem müsste ein Kompromisspaket den Weg ebnen für das weitere Vorgehen. Alle Experten gehen inzwischen davon aus, dass Griechenland nach Ende Juni weitere Hilfen benötigen wird, da sich die Lage der Wirtschaft und der Staatsfinanzen wegen der anhaltenden Unsicherheit im letzten halben Jahr stark verschlechtert hat.
Da sich ein drittes Hilfsprogramm nicht innert Tagen aus dem Boden stampfen lässt, müsste der angestrebte Kompromiss eine Art Zwischenfinanzierung enthalten, die Athen über den Sommer helfen und Zeit für Gespräche schaffen würde. Denkbar ist zum Beispiel, dass die Europäer zur Überbrückung die erwähnten Mittel für Bankenhilfen umwidmen und im Sommer auszahlen würden. Eine Regelung der Finanzierung über den Juni hinaus ist nach den Regeln des IMF zudem eine Voraussetzung für dessen weitere Beteiligung. Manche Euro-Staaten wollen ihn unbedingt dabei behalten, auch wenn er – da sein eigenes Griechenland-Programm noch bis März 2016 läuft – möglicherweise keine zusätzlichen Kredite mehr sprechen wird.
Kommt es tatsächlich zu einem solchen «letzten Angebot» und nimmt Athen dieses an, müssten die Details wohl in der «Brussels Group» bereinigt werden, ohne dass dabei noch viel Verhandlungsspielraum bestünde. Gutheissen könnten die Europäer das Paket zum Beispiel an der nächsten Sitzung der Euro-Finanzminister am 18. Juni.
Und wenn Tsipras Nein sagt?
Und wenn Tsipras unter Verweis auf seine «roten Linien» Nein sagt? Dem Vernehmen nach dürfte Athen die am Freitag fällige Rückzahlung von rund 300 Mio. € an den IMF noch leisten können. Danach aber könnte es bald eng werden, zumal der griechische Staat zwischen Juni und August Zahlungen von insgesamt rund 11 Mrd. € (ohne T-Bills) zu leisten hat (vgl. Kasten und Grafik). Nach Einschätzung der Gläubiger kann er weder diese gesamte Summe selbst finanzieren, noch hat er einen für eine Kreditfinanzierung ausreichenden Zugang zu den Finanzmärkten.
Ohne Einigung mit den Gebern wäre deshalb eine Staatspleite kaum mehr abzuwenden. Sie würde zwar nicht automatisch zum «Grexit» führen, aber auf Dauer wäre dieser nur noch schwer zu vermeiden. Darunter leiden würden vor allem die Griechen, da die Euro-Zone seit 2012 robuster und die Ansteckungsgefahren geringer geworden sind. Dennoch fürchten auch die anderen Euro-Staaten eine solche Entwicklung: «An dem Tag, an dem ein Land ausscheiden sollte, würde sich die Idee in den Köpfen durchsetzen, dass der Euro eben nicht irreversibel ist», mahnte Juncker im erwähnten Interview. Wem die Stunde schlägt . . .
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