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Dienstag, 16. Februar 2016

Kriegsentschädigung Hat Griechenland noch Schulden bei Deutschland? Mit einem Bericht der NS-Reichsbank begründen griechische Politiker ihre Milliardenforderungen an Deutschland. Ein Historiker zeigt jetzt, dass die Akte im Gegenteil Schulden Athens belegt.

5.02.16

Kriegsentschädigung

Hat Griechenland noch Schulden bei Deutschland?

Mit einem Bericht der NS-Reichsbank begründen griechische Politiker ihre Milliardenforderungen an Deutschland. Ein Historiker zeigt jetzt, dass die Akte im Gegenteil Schulden Athens belegt. Von 

Gewaltige Zahlen haben großen Reiz, besonders in der öffentlichen Auseinandersetzung. Seit Jahrzehnten schon überbieten sich griechische Politiker mit Forderungen, die ihr Land gegenüber Deutschland habe. Mal ist von zehn Milliarden Euro die Rede, mal von 70, mal von 100 oder gleich von exakt 278,7 Milliarden (Link: http://www.welt.de/139198271) Euro, die von der Bundesrepublik gezahlt werden müssten. Hintergrund in allen Fällen: die deutsche Eroberung Griechenlands vor 75 Jahren und die anschließende dreijährige Besatzungszeit.
Jetzt deutet sich aber an, dass – rein rechnerisch – nicht Deutschland Schulden bei Griechenland haben könnte, sondern dass es möglicherweise sogar umgekehrt sein könnte: Die griechische Regierung müsste eigentlich je nachdem, ob man auch Zins und Zinseszins berechnet, eine knappe bis Dutzende Millionen Euro nach Berlin überweisen, zusätzlich zu den vielen Milliarden, die sie im Rahmen der verschiedenen Rettungspakete um der Euro-Rettung willen erhalten hat.
Das ist das Ergebnis einer gründlichen Untersuchung deutscher Akten, vor allem eines im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes erhaltenen Berichts der Reichsbank durch den Mannheimer Historiker Heinz A. Richter. Der Experte für griechische Zeitgeschichte findet es "einfach erstaunlich", wie fundamental falsche Forderungen Griechenland gestützt auf eben diese Akten erhoben hat und teilweise immer noch erhebt.
Nun steht außer Frage, dass während der Gewaltherrschaft der Wehrmacht (und übrigens bis 1943 vor allem auch italienischer Streitkräfte) über Griechenland Kriegsverbrechen verübt worden sind (Link: http://www.welt.de/138346814) . Bundespräsident Joachim Gauck hat das(Link: http://www.welt.de/140410860) ebenso wie alle Bundesregierungen seit Konrad Adenauer ausdrücklich anerkannt.
Andererseits hat die Bundesrepublik dafür schon in erheblichem Umfang Entschädigungen geleistet: in demontierten Sachwerten von 120 Millionen Mark bereits in den ersten Nachkriegsjahren, außerdem durch direkte Geldzahlungen von 115 Millionen Mark im Rahmen eines Entschädigungsabkommens 1960 und durch getarnte Reparationen von 200 Millionen Mark, die offiziell als "Investitionskredite" liefen. Allein bei den letzten beiden Posten handelte es sich um mindestens 315 Millionen Mark nach damaligen Stand, umgerechnet auf heute eine Milliardensumme auch ohne Zinsen.
Nach Richters Erkenntnissen wurden allerdings von den 115 Millionen drei Viertel "zweckentfremdet und landeten in den Taschen von Politikern". Immerhin: Von den "Investitionskrediten" wurde unter anderem Griechenland elektrifiziert, was Zeitzeugen und Akten auch bestätigen.

"Rechnungsbetrag bezüglich der Besatzungskosten"

All das legt der knapp 76-jährige Emeritus detailliert in einem zehnseitigen Aufsatz dar, der in der kommenden Ausgabe der Fachzeitschrift "Thetis"(Link: http://www.rutzen-verlag.de/listen/liste-thetis.html) erscheinen wird, die gerade gedruckt wird. Noch brisanter aber ist, dass sich Richter noch einmal den Reichsbankbericht zu Griechenland angesehen hat, über den auch die "Welt" ausführlich berichtete (Link: http://www.welt.de/138498430) .
Auf einen Satz in diesem Bericht stützt sich die vor allem von dem deutsch-griechischen Historiker Hagen Fleischer erhobene Behauptung, das Dritte Reich habe Griechenland einen "Zwangskredit" von 476 Millionen Reichsmark abgepresst. Doch das ist nicht der Fall, wie jetzt feststeht, und damit die Berichterstattung der "Welt" bestätigt. In Wirklichkeit geht es nämlich um einen "Rechnungsbetrag bezüglich der Besatzungskosten".
Jedoch genügte diese Feststellung Richter nicht. Er hat den gesamten, in kaum verständlichem Deutsch geschriebenen Bericht genau analysiert – und kommt zu dem Ergebnis: Nicht Deutschland schuldet Griechenland Geld, sondern in Wirklichkeit ist es umgekehrt. Jedenfalls wenn man sich einlassen will auf derlei Aufrechnerei.
Da infolge der Besatzung die griechische Währung extrem an Wert verlor (die laut Haager Landkriegsordnung vom besetzten Land zu tragenden Besatzungskosten stiegen von 9,5 Milliarden Drachmen 1941 auf die rein rechnerische Zahl von 3.465.977,4 Milliarden Drachmen), importierte Deutschland zahlreiche Güter ins besetzte Land. Rechnet man Forderungen und Leistungen gegeneinander auf, so ergibt sich – der Einfachheit halber in britischer Währung angegeben – ein Saldo von 3000 bis 4000 Goldpfund zuungunsten Griechenlands.
Nun käme wohl kein vernünftiger Mensch hierzulande auf die Idee, diese Schuld von Griechenland eintreiben zu wollen. Längst dürfte jedem verständigen Beobachter klar sein, dass auch von den aktuell in der Euro-Krise überwiesenen Kredit-Milliarden kein Cent je wieder zurückgezahlt werden wird. Es handelt sich um reine Subvention einer von Korruption und Misswirtschaft zerfressenen Gesellschaft.
Jedoch mahnen Richters äußerst nüchtern und sachlich aufbereiteten Ergebnisse, mit historischen Schuldzuweisungen und Reparationsforderungen sehr vorsichtig umzugehen. Festzuhalten bleibt, dass Griechenland aus gleich mehreren Gründen wegen der Besatzungszeit 1941 bis 1944 keine finanziellen Forderungen an die Bundesrepublik erheben kann:

Vier Argumente sprechen gegen Reparationen

Erstens wurden dafür bereits in erheblichem Maße Reparationen gezahlt, auch wenn der Großteil davon veruntreut wurde. Zweitens hat Griechenland 1990 indirekt dem Zwei-plus-vier-Abkommen zugestimmt und damit auch der ausdrücklichen Erledigung sämtlicher Forderungen aus dem Zweiten Weltkrieg. Drittens zeigt die gewissenhafte Analyse, dass es den ominösen 476-Millionen-Kredit nie gegeben hat. Viertens dürfte jedes Aufrechnen, falls man sich denn darauf einlassen wollte, zu anderen Ergebnissen führen als von griechischen Politikern behauptet.
Die Anregung von Joachim Gauck, über eine Stiftung zugunsten von Überlebenden deutscher Untaten nachzudenken, verliert dadurch nichts von ihrer Bedeutung. Voraussetzung ist allerdings, dass die erregte Tonlage gemäßigt wird. Davon ist gegenwärtig leider nicht auszugehen.

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