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Freitag, 24. Februar 2017

Unternehmenssteuerreform in den USA Nichts Geringeres als eine Revolution von Martin Lanz, Washington24.2.2017, 07:00 Uhr Republikanische Mehrheiten in Washington könnten eine Reform des US-Steuersystems ermöglichen. An der steuerlichen Behandlung von Importen und Exporten scheiden sich aber die Geister.

Unternehmenssteuerreform in den USA
Nichts Geringeres als eine Revolution

von Martin Lanz, Washington
Republikanische Mehrheiten in Washington könnten eine Reform des US-Steuersystems ermöglichen. An der steuerlichen Behandlung von Importen und Exporten scheiden sich aber die Geister.
Trump will demnächst einen konkreten Plan vorstellen. (Bild: Ron Sachs / Keyston)

Trump will demnächst einen konkreten Plan vorstellen. (Bild: Ron Sachs / Keyston)

Im US-Wahlkampf, der gefühlt auch nach der Amtsübernahme von Präsident Trump vor einem Monat nicht aufgehört hat, haben sich die Kandidaten mit wilden Vorschlägen für Steuersenkungen zu profilieren versucht. Trump selber hat versprochen, bei der Einkommenssteuer für natürliche wie juristische Personen anzusetzen, und immer wieder mit Strafzöllen gedroht, um die US-Wirtschaft zu schützen.

«Ein besserer Weg»

Tatsächlich präsentiert sich die Ausgangslage mit den Mehrheiten der Republikaner so, dass in den USA zum ersten Mal seit 30 Jahren eine Unternehmenssteuerreform möglich scheint. Trump will demnächst einen konkreten Plan vorstellen. Die Schlagzeilen dominiert aber seit einigen Wochen ein Vorschlag, der dem «A Better Way» genannten Reformprogramm der Republikaner entstammt.
Er läuft unter dem umständlichen Kürzel DBCFT (für Destination-Based Cash Flow Tax) und würde das US-Unternehmenssteuersystem richtiggehend umkrempeln. Das US-System würde so auf einen Schlag eines der weltweit wettbewerbsfähigsten, meint Kyle Pomerlau von der Tax Foundation. Da er aber im Vergleich zum Status quo in den USA mindestens vorübergehend Gewinner und Verlierer schaffen würde, ist die Reform höchst umstritten.
Eine DBCFT von 20% würde in den USA auf dem um grenzüberschreitende Transaktionen angepassten Cashflow – also der Differenz der betrieblichen Ein- und Auszahlungen – erhoben. Der Fokus auf den geschäftlichen Mittelfluss bedeutet im Kern eine Besteuerung des Konsums im Inland, wie das die meisten Industrieländer heute mit ihrer Mehrwertsteuer praktizieren. Dies im Gegensatz zur 35%igen US-Unternehmenssteuer von heute, die bei den weltweiten Gewinnen von US-Firmen ansetzt. Das geltende System gilt als komplex und investitionsfeindlich, es bremst die Exportaktivität und begünstigt Importe.
Die Nachteile des jetzigen Systems könnten durch die DBCFT ausgemerzt werden, sind deren grösste Befürworter, der republikanische Sprecher des US-Repräsentantenhauses, Paul Ryan, und der Vorsitzende des Haushaltsausschusses des Repräsentantenhauses, Kevin Brady, überzeugt. Die wichtigsten Pfeiler der Reform wären ein im internationalen Vergleich relativ niedriger Steuersatz, die sofortige steuerliche Abzugsfähigkeit von Investitionen, die Nichtabzugsfähigkeit von Zinszahlungen sowie die Umstellung auf ein territoriales System. Eigentliches Herzstück wäre aber die steuerliche Anpassung für grenzüberschreitende Transaktionen. Demnach würden Importe der Steuer-Bemessungsgrundlage – dem Cashflow – zugerechnet, Exporte aber würden davon abgezogen.
Uncle Sam würde damit eigentlich nur noch Güter und Dienstleistungen besteuern, die im Inland konsumiert werden. Da die USA derzeit ein Aussenhandelsdefizit von 500 Mrd. $ aufweisen, versprechen sich die Initianten Einnahmen von über 1 Bio. $ über zehn Jahre. Mit diesen Einnahmen könnte die Reduktion des Steuersatzes von 35% auf 20% finanziert werden; die Reform wäre somit haushaltsneutral.

Entgegen dem Trend

Die Gewinne der grossen US-Firmen (der sogenannten C-Corporations) unterstehen derzeit dem gesetzlichen Steuersatz von 35%. Unter den OECD-Staaten ist das auf zentralstaatlicher Ebene der höchste Satz. Kombiniert mit der subnationalen Ebene beträgt der Satz gar 38,9%, im OECD-Durchschnitt sind es 25%. Für die Schweiz kommt die OECD auf einen Wert von 21%.
Vor dreissig Jahren wurde der US-Spitzensteuersatz letztmals gesenkt, von 46% auf 34%. 1993 wurde er wieder angehoben, auf 35%. Dies im Gegensatz zur Entwicklung im Rest der Welt: Hatte der OECD-Durchschnitt Mitte der achtziger Jahre noch beinahe 50% betragen, ist es heute noch die Hälfte.
Trotz dem hohen US-Steuersatz sind die Einnahmen aus der Unternehmenssteuer aber bescheiden. Im Durchschnitt der Jahre 2000 bis 2014 waren es 2% des Bruttoinlandprodukts. Unter den G-7-Ländern weist nur Deutschland eine niedrigere Quote auf. Der effektive Steuersatz – also das Verhältnis der tatsächlich bezahlten Steuern zum Einkommen vor Steuern – liegt in den USA denn auch um einiges unter dem gesetzlichen Steuersatz von 35%. Mit anderen Worten: Die US-Unternehmenssteuerbasis ist schmal, weil das System voller Schlupflöcher in Form von Steuererleichterungen, Steuergutschriften und Abzugsmöglichkeiten ist, die von Partikulärinteressen getrieben sind. Wer diese Komplexität mithilfe von Steuerberatern zu durchdringen weiss und die Mittel dazu hat, fährt nicht schlecht.
Aber effizient ist es nicht. Zu diesem Schluss kommt auch der Index der internationalen steuerlichen Wettbewerbsfähigkeit der Tax Foundation. Die Rangliste wird nach den Kriterien der Wettbewerbsfähigkeit und der Neutralität erstellt. Wettbewerbsfähig ist ein Steuersystem dann, wenn es niedrige Grenzsteuersätze vorsieht. Neutral ist es, wenn es ein Maximum an Einnahmen mit einem Minimum an Verzerrungen erzielt. 2016 rangierten die USA in dieser Rangliste auf dem 31. Platz von 35 OECD-Ländern, gerade noch vor Griechenland, Portugal, Italien und Frankreich. Dank der Senkung des US-Steuersatzes von 35% auf 20% und der Verbreiterung der Steuerbasis würden die USA in die ersten fünf Plätze vorstossen, rechnet die Tax Foundation vor.
Das ist Balsam für Ryan und Brady. Sie heben aber zu Recht vor allem die angestrebte Änderung bei der steuerlichen Behandlung von Unternehmensinvestitionen hervor. Im heutigen System werden die meisten Investitionen nur allmählich über mehrere Jahre abgeschrieben, während der neue Vorschlag dank der sofortigen Abzugsfähigkeit einem effektiven Grenzsteuersatz von 0% auf neuen Investitionen gleichkäme. Nicht nur würde damit das System stark vereinfacht; auch die Anreize zum Investieren nähmen zu. Ryan und Brady möchten zudem mit all den steuerlichen Sonderbehandlungen aufräumen, wobei sie aber an (noch zu definierenden) Steuergutschriften für Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten festhalten wollen.
Unter der DBCFT soll auch die Abzugsfähigkeit von Zinszahlungen wegfallen. Damit wollen die Republikaner die Neutralität hinsichtlich der Finanzierungsform von Unternehmen wiederherstellen. Die Anreize für eine übermässige Verschuldung der Unternehmen würden dadurch eingedämmt. Immerhin will die Vorlage im Stile von Verlustvorträgen aber über die Jahre die Verrechnung von Nettozinsaufwänden mit Nettozinseinkommen zulassen.
Erklärtes Ziel der Steuerreform ist nicht zuletzt auch die Unterbindung von sogenannten Steuerinversionen. Damit ist die Praxis von US-Firmen gemeint, sich mit ausländischen Unternehmen zusammenzuschliessen und im Zuge der Transaktion das Steuerdomizil ins Ausland zu verlegen, um so der «Steuerhölle USA» zu entfliehen und auf Auslandgewinne zugreifen zu können.
Unter der derzeit geltenden Gesetzgebung werden die weltweiten Gewinne von US-Firmen zu 35% besteuert. Auf den im Ausland erzielten Gewinnen kommt die Steuer allerdings erst zur Anwendung (abzüglich bereits im Ausland bezahlter Steuern), wenn die Gelder in die USA zurückgeführt werden. Das hat dazu geführt, dass US-Firmen inzwischen rund 2,5 Bio. $ an ausländischen Gewinnen im Ausland parkiert haben, statt diese zu «repatriieren» und auszuschütten oder zu investieren.
Damit soll nun Schluss sein: Der Steuersatz von 20%, kombiniert mit der Umstellung auf ein territoriales System mit Anpassung an der Grenze, führt dazu, dass es künftig keine Rolle mehr spielen sollte, wo eine Firma registriert ist. Denn unter der DBCFT würden Verkäufe an USA-Ansässige besteuert, nicht aber solche an Kunden im Ausland, unabhängig davon, ob der Verkäufer bzw. das steuerpflichtige Unternehmen ausländisch oder einheimisch ist.
Wegen des an europäische Verhältnisse angepassten Steuersatzes würden zudem generell die Anreize für US-Firmen wegfallen, zu Zwecken der Steueroptimierung mit ausländischen Partnern zusammenzugehen und das Steuerdomizil zu verlegen. «A Better Way» will zudem Dividenden von US-Tochtergesellschaften im Ausland zu 100% von der Besteuerung ausnehmen. Nicht nur verhülfe das US-Firmen im Wettbewerb mit anderen Konzernen zu gleich langen Spiessen auf globalen Märkten; es eliminierte auch die Anreize, im Ausland erzielte Gewinne dort parkiert zu lassen. Bleibt das Problem der unter dem alten System angehäuften Gelder: Ryan und Brady wollen diese in die USA zurückholen mit dem Versprechen einer einmaligen, reduzierten Steuer von 8,75%.
So weit, so gut. Kein US-Unternehmer ist gegen niedrigere Steuersätze, die sofortige Abzugsfähigkeit von Investitionen oder die Umstellung auf ein territoriales System. Die Anpassung an der Grenze, also die Besteuerung von Importen und die Abzugsfähigkeit von Exporten, spaltet hingegen die Geister.
Die Initianten der DBCFT verneinen, dass es um eine industriepolitische Förderung von Exporteuren und Bestrafung von Importeuren gehe. Sie verweisen auf die Erstarkung des Dollars, die resultieren würde: Wenn US-Exporte von der Besteuerung ausgenommen werden, dürfte die Nachfrage nach US-Gütern und US-Dollars steigen. Gleichzeitig würden die neuerdings besteuerten US-Importe zu einer geringeren Nachfrage nach ausländischen Gütern und Fremdwährungen führen. Insgesamt könnte der Dollar deshalb um bis zu 25% erstarken, so dass die DBCFT am Ende des Tages handelsneutral wäre.

Importeure gegen Exporteure

Die Meinungen über die Art und Weise sowie den Umfang dieses Ausgleichs durch die Wechselkursentwicklung gehen freilich auseinander. Importeure haben verständlicherweise wenig Vertrauen in diesen Ausgleich via den Wechselkurs in der mittleren Frist, wie er nach Textbuch eintreten sollte. Angeführt von den Detailhändlern, hat sich eine Koalition von «Americans for Affordable Products» gebildet, welche gegen die Idee der Importsteuer Sturm läuft. Die Koalition ist überzeugt, dass die Reform zu höheren Kosten für Kleider, Nahrungsmittel, Medikamente, Benzin und andere Güter des täglichen Bedarfs führen würde. Ebenso nachvollziehbar ist die Unterstützung der Exportwirtschaft für die Reform. Anfang dieser Woche haben sechzehn Wirtschaftskapitäne – darunter die Chefs von Boeing, General Electric und Pfizer – in einem Brief an führende US-Kongressabgeordnete die Vorlage ausdrücklich gelobt. Offen ist, wie Präsident Trump zu der «Grenzsteuer» steht. Ursprünglich hat er die Idee der DBCFT als zu kompliziert bezeichnet. Für die Besteuerung von Importen müsste er aber eigentlich Sympathien haben.

Das Tabu der Carbon Tax fällt

mla. ⋅ Mitten in die Diskussion über die Reform des Unternehmenssteuersystems ist auch noch ein Vorschlag für eine Kohlenstoffsteuer (Carbon Tax) geplatzt. Nicht, dass die Idee neu wäre. Erstaunlich ist aber, wer hinter der Initiative steckt. Es sind so verdiente Republikaner wie James A. Baker III, Henry M. Paulson und George P. Shultz, die den US-Präsidenten Bush, Nixon und Reagan gedient haben. Zusammen mit den Ökonomen Martin Feldstein und Greg Mankiw vertreten sie das «konservative Argument» für Klimamassnahmen: Lieber eine Kohlenstoffsteuer, die bei 40 $ pro Tonne beginnt und schrittweise steigen soll, als der gegenwärtige Wust an Regeln, mit dem die Emission von Kohlenstoff eingedämmt werden soll. Die Einnahmen aus der Steuer würden an die Bevölkerung gehen.

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