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Mittwoch, 23. Oktober 2013

Landwirtschaft ist mit Risiken verbunden. Über die Jahrzehnte hinweg entwickelte sich ein Mechanismus zur Absicherung gegen Preisschwankungen: So sät beispielsweise ein Bauer Weizen und möchte zeitgleich seinen Verkaufspreis per Erntedatum fixieren. Er verkauft die Ware heute «auf Termin», damit er sicher ist, dass er mit seiner Kalkulation kein Verlustgeschäft einfahren wird, wenn die Preise bis zur Ernte fallen sollten. Ein solches Geschäft ist nicht ungewöhnlich, und wir kennen es von Wohnbaugesellschaften, die Wohnungen verkaufen, bevor der Bau überhaupt begonnen hat.

Michel Jacquemai
Die «Spekulationsstopp-Initiative» der Jungsozialisten setzt sich nichts Geringeres zum Ziel, als den Hunger auf der Welt zu stoppen. Ein Verbot der Spekulation auf Agrargüter und Nahrungsmittel soll erreichen, woran viele bereits gescheitert sind: Marktpreise zu fixieren, um Leid zu lindern. Manchmal kann eine gut gemeinte Kur aber fatale Folgen haben – wie im vorliegenden Fall. Die Preisausschläge an den Agrarmärkten könnten ohne Spekulanten gar zu- statt abnehmen. Dafür spricht die Dynamik der Preisentstehung und des Risikoverhaltens der beteiligten Akteure an den globalen Kapitalmärkten. Dabei ist besonders hervorzuheben, dass Spekulanten das Preisrisiko für die Produzenten übernehmen und dass periodische Preisexplosionen durchaus normal sind.

Keine goldene Nase
Landwirtschaft ist mit Risiken verbunden. Über die Jahrzehnte hinweg entwickelte sich ein Mechanismus zur Absicherung gegen Preisschwankungen: So sät beispielsweise ein Bauer Weizen und möchte zeitgleich seinen Verkaufspreis per Erntedatum fixieren. Er verkauft die Ware heute «auf Termin», damit er sicher ist, dass er mit seiner Kalkulation kein Verlustgeschäft einfahren wird, wenn die Preise bis zur Ernte fallen sollten. Ein solches Geschäft ist nicht ungewöhnlich, und wir kennen es von Wohnbaugesellschaften, die Wohnungen verkaufen, bevor der Bau überhaupt begonnen hat.

Damit der Bauer nun seine Ernte auf Termin verkaufen kann, muss er am Markt jemanden finden, der bereit ist, dieses Preisrisiko zu übernehmen. In erster Linie sind dies kommerzielle Marktteilnehmer, die sich mit dem Rohstoff Weizen eindecken müssen, d. h. die verarbeitende Nahrungsmittelindustrie wie z. B. Nestlé. Doch in den seltensten Fällen deckt das Angebot die Nachfrage. Hier kommen die Spekulanten ins Spiel. Je nachdem, ob zu viel angeboten oder nachgefragt wird und der Preis stark nach unten oder oben tendiert, übernehmen Spekulanten dieses sonst von niemandem gewollte Preisrisiko – in der Hoffnung, dass in der Zukunft der Preis sich wieder zum langfristigen Mittel hin bewegt. Dabei ist es ihnen grundsätzlich egal, ob sich die Marktpreise allzu stark nach unten oder oben bewegt haben. Sie suchen opportunistisch zeitweilige Preisverzerrungen an den Märkten, die aus ihrer Optik nicht aufrechtzuerhalten sind, und spekulieren auf eine Preisnormalisierung

Je nach weiterem Preisverlauf werden dann die Spekulanten für ihr Risiko belohnt oder bestraft; sie fahren Gewinne ein, wenn sich die Preise zum Durchschnitt hin normalisieren, und Verluste, wenn die Preise noch weiter in die Extreme gehen – nach unten oder nach oben. Was ein Spekulationsverbot bedeuten würde, ist offensichtlich: Es würde per Gesetz der ausgleichende Puffer verboten. Bei einer Dürre würden durch das Wegbleiben der Spekulanten die Preise noch höher steigen und bei einer Jahrhunderternte noch tiefer fallen.

Verdienen sich nun die Spekulanten auf Kosten anderer eine goldene Nase? Insidern in der Branche ist längst klar, dass nur sehr wenige Spekulanten fähig sind, über längere Zeiträume hinweg wirklich Geld zu verdienen. Erst kürzlich haben wieder zahlreiche grosse Rohstoff-Spekulations-Fonds wie beispielsweise Clive, Bluegold, Centaurus und Fortress dichtgemacht, weil sie die Ertragserwartungen ihrer Anleger nicht erfüllen konnten. Unter dem Strich sind die Spekulanten nur allzu oft Nettoverlierer. Es sollte denen, die nach Gewinnen streben, nicht noch Steine in den Weg gelegt werden, wenn sie eine volkswirtschaftlich bedeutende Funktion einnehmen.

Ein ähnliches Bild findet man auch bei passiv verwalteten Agrargüterfonds, denen unterstellt wird, dass auch sie die Nahrungsmittelpreise nach oben drücken und am Welthunger schuld sind. Gemessen am Rogers-Agriculture-Total-Return-Index, der die Preis für Agrargüter abbildet und in den auch Pensionskassen investieren, verdienten Anleger über die letzten 25 Jahre jährlich im Durchschnitt 1,73%. Dies entspricht – nicht wirklich überraschend – der Wachstumsrate der Weltbevölkerung über den gleichen Zeitraum.

Die Vertreter der «Spekulationsstopp-Initiative» führen zudem ins Feld, dass ein Grossteil des Handels mit Agrarrohstoffen rein spekulativer Art sei und zu Preisexplosionen führe. Was steckt hinter dieser Behauptung? Zur Klärung dieser Frage hilft die Betrachtung der langfristigen Preisentwicklung am Beispiel von Weizen in England (in britischen Shilling), die bis ins Jahr 1209 zurückverfolgt werden kann (vgl. Grafik). An der Statistik kann man erkennen, dass grosse Preisausschläge eher die Normalität als die Ausnahme sind. Plötzliche, vierfache Anstiege von Weizenpreisen gab es demnach schon zu Zeiten von Reformation und Hexenverbrennungen.

Wetterkapriolen
Wie kann das sein? Zu dieser Zeit gab es doch keine Spekulationsfonds oder Pensionskassen. Die Antwort liefert uns Moses, der über sieben Jahre Dürre und Hunger und sieben Jahre Überfluss berichtete. Es war in erster Linie das Wetter, das schon zu damaligen Zeiten regelmässig Kapriolen schlug. Und es ist auch heute noch der Hauptgrund für grosse Schwankungen. Wenn es nicht das Wetter war, lösten kriegerische Konflikte gewaltige Preisentwicklungen aus. Der Einfluss der beiden Weltkriege im letzten Jahrhundert ist in der Grafik klar ersichtlich. Sehr langfristig betrachtet, trugen zur Preisdynamik von Agrargütern das Bevölkerungswachstum auf der Nachfrageseite und die sich stetig verbessernden Anbautechniken auf der Angebotsseite bei.

Es wäre als Konklusion – überspitzt gesagt – zielführender, per Gesetz extremes Wetter (wie Dürre, Flut und Frost) und Kriege zu verbieten sowie weltweit das Bevölkerungswachstum einzudämmen, als die Spekulation zu unterbinden. Gesetzliche Eingriffe am Markt bleiben hoffnungslose Versuche, den Konjunktur- und Preiszyklus zu glätten bzw. sich langfristigen gesellschaftlichen Entwicklungen entgegenzustemmen.

* Michel Jacquemai ist Gründer des Princeton Economics Research Institute in Baar, das sich die Analyse der Finanzmärkte zur Aufgabe gemacht hat. Er war zuvor viele Jahre in der Hedge-Funds-Branche tätig.

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